Tempo-30-Zonen: Der Lärm bleibt
Hamburg will dutzende Tempo-30-Abschnitte auf besonders lauten Straßen einführen. Das wird nichts bringen, beklagen Anwohner:innen.
„Das sind diese fiesen Lärmspitzen“, sagt W., als beide vorm Haus auf dem schmalen Gehweg stehen und auf den Straßenverkehr blicken. Kurz nachdem sie das gesagt hat, beschleunigt ein Auto lautstark, um noch schnell über Ampel zu kommen, ehe sie auf rot schaltet. Die Hoffnung, dass sich daran zumindest nachts etwas ändert, hatten beide kürzlich. Die ist mittlerweile weg.
Dutzende Tempo-30-Zonen auf stark befahrenen Straßen sollen in den kommenden Jahren in Hamburg eingerichtet werden. Das hatte Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) im Mai im Rahmen des Lärmaktionsplans des Senats bekannt gegeben. „Es gibt in Hamburg Umweltprobleme, die wir nicht überhören können und dürfen und deren Hauptverursacher der Kfz-Verkehr ist“, sagte Kerstan damals.
Die beiden Anwohner:innen an der Max-Brauer-Allee hatte sich darüber zunächst gefreut, denn auch sie würden künftig davon profitieren: Ein Teil der Max-Brauer-Allee vor ihren Wohnungen gehört auch zu den Abschnitten, in denen es nach Ansicht der Umweltbehörde zu laut ist. Immerhin eine nächtliche Temporeduzierung hatte die Umweltbehörde dafür anvisiert.
35.000 Menschen sollen vom Tempo-30 profitieren
An einigen wenigen sogenannten Lärmbrennpunkten wurde das bereits in den vergangenen Jahren eingeführt. 2013 waren erstmals nächtliche Tempo-30-Gebote auf einigen viel befahrenen Straßen beschlossen worden. Im Laufe der Jahre kamen weitere Straßen hinzu, in denen es mit mindestens 60 Dezibel zu laut ist – lauter sogar, als es nachts in einem Gewerbegebiet zulässig wäre.
So auch an der nahe gelegenen Holstenstraße. Laut der Umweltbehörde dürfen sich rund 500 betroffene Anwohner:innen über einen reduzierten Lärm freuen, weil dort Fahrzeuge seit 2014 zwischen 22 und 6 Uhr mit maximal 30 Stundenkilometern fahren dürfen. Doch über die Rückseite ihrer Wohnungen sind Miriam W. und Raphael H. auch Anwohner:innen der Holstenstraße. „An das nächtliche Tempolimit hält sich niemand“, sagt H.
Er fragte kürzlich bei der Polizei nach, ob und in welchem Umfang die nächtliche Temporeduzierung kontrolliert würde. Genaue Angaben konnte die Polizei ihm nicht mitteilen. Allerdings gebe es auf allen Straßenabschnitten, die zur Tempo-30-Zone bestimmt wurden, keine stationären Blitzer. „Damit ist die Hoffnung weg, dass sich künftig vorm Haus etwas bessert.“ Ihre Erfahrungen aus der Holstenstraße zeigen den beiden, dass ohne Kontrollen ein Tempolimit nichts bringt.
Das wirft Fragen auf, wie viel Wert die Ankündigung der Umweltbehörde hat, dass bald rund 35.000 Hamburger:innen vom sinkenden Lärm profitieren sollen. Hamburg soll bis 2026 mehr als 80 neue Tempo-30-Zonen auf besonders viel befahrenen Straßen bekommen. Aktuell sind nachts etwa 130.000 Menschen von Lautstärken über 55 Dezibel betroffen.
Vorbild Stresemannstraße
Auf Nachfrage verweist die Umweltbehörde darauf, dass an einigen Stellen sogenannte Dialogdisplays – digitale Geschwindigkeitsanzeigen – installiert wurden, die Fahrer:innen auf ein überhöhtes Tempo hinweisen. „Untersuchungen belegen, dass diese Dialogdisplays eine positive Wirkung haben“, sagt eine Sprecherin.
Nur kann mit diesen Displays auch die Polizei nicht sagen, wie hoch der Anteil an Fahrer:innen ist, die sich nicht an die nächtliche Geschwindigkeitsbegrenzung halten. Und sie konnte H. auf Nachfrage auch nicht sagen, wie häufig dort mobil kontrolliert würde. Er glaubt: selten.
Dass Temporeduzierung gepaart mit Blitzern und digitalen Geschwindigkeitsanzeigen tatsächlich nicht nur gegen den Lärm hilft, zeigt sich auf der nicht weit entfernten und wohl noch mehr befahrenen Stresemannstraße. Die verbindet die City mit der A7 und es gilt seit vielen Jahren auf einem Abschnitt ganztägig Tempo 30. Zwei fest installierte Blitzer stehen dort, hinzu kommen digitale Geschwindigkeitsanzeigen. Auch mobile Blitzer hatte die Polizei zeitweilig aufgestellt.
„Das Schlimme ist ja: Dort ist es nur so, weil es Tote gab“, beklagen die beiden Anwohner:innen. In den 90er-Jahren wurden mehrere Kinder und Erwachsene von zu schnell fahrenden Lastwagen überrollt. Erst nach massivem Protest der Anwohner:innen reagierte die Stadt mit Tempolimit und verstärkter Kontrolle. „Muss das auch erst vor unserer Haustür passieren?“, fragt H.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich