Tarifverhandlungen 2022: Kaum Spielraum für Gewerkschaften
Angesichts von Inflation und hohen Energiepreisen dürften die Tarifverhandlungen 2022 schwierig werden. Die bisherigen Ergebnisse sind bescheiden.
Doch es wird schwer werden für die Einzelgewerkschaften des DGB, das Wort Fahimis zu halten. Für knapp 10 Millionen Arbeitnehmer:innen wird in diesem Jahr über neue Vergütungstarifverträge verhandelt. Die größte Gruppe sind dabei die rund 3,8 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie. Mit welchen Forderungen die IG Metall in die im Herbst beginnenden Tarifverhandlungen gehen wird, ist derzeit noch offen. Das sieht in der Eisen- und Stahlindustrie anders aus, wo an diesem Freitag die Tarifrunde startet: Für die 92.000 hier Beschäftigten fordert die IG Metall ein Lohnplus von 8,2 Prozent.
Das ist eine ambitionierte Forderung. Die Ergebnisse der bereits in diesem Jahr abgeschlossenen Tarifrunden liegen in der Regel deutlich darunter und werden angesichts der hohen Inflationsrate zu Reallohnverlusten führen.
Das gilt beispielsweise für die Verdi-Abschlüsse in der Druckindustrie (2 Prozent mehr ab Mai, weitere 1,5 Prozent ab Mai 2023), den Tageszeitungen (500 Euro Coronaprämie und 1,5 Prozent ab September, weitere 2 Prozent ab Juni 2023), im Versicherungsgewerbe (Einmalzahlungen von 500 Euro in diesem und 550 Euro im nächsten Jahr, 3 Prozent mehr ab September und weitere 2 Prozent zum 1. September 2023) oder im privaten Bankgewerbe (plus 3 Prozent ab August, weitere 2 Prozent zum 1. August 2023 sowie zwei Einmalzahlungen von jeweils 500 Euro).
Gewerkschaften unter Druck
Auf einem vergleichbaren Niveau bewegt sich der Abschluss der IG BCE für die Beschäftigten in der industriellen Fotoentwicklung: Sie erhalten eine Lohnerhöhung von 3,5 Prozent ab März und weitere 3,3 Prozent ab August 2023.
Die Hauptauseinandersetzung im Chemiebereich wurde indes Anfang April auf den Herbst vertagt: Die 580.000 Tarifbeschäftigten in der chemisch-pharmazeutischen Industrie erhalten zunächst einmal nur eine Brückenzahlung in Höhe von einmalig 1.400 Euro, die von notleidenden Betrieben auf 1.000 Euro reduziert werden kann. Ab Oktober will dann die IG BCE mit der Arbeitgeberseite „klären, inwieweit die zunächst kurzfristig gegen die ausufernde Inflation wirkende Entlastung in eine nachhaltige, tabellenwirksame Entgelterhöhung gewandelt werden kann“.
Die unter Mitgliederschwund leidenden Gewerkschaften stehen mächtig unter Druck. „Wir schaffen bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne und Gehälter“, sagte die neue DGB-Chefin Fahimi in ihrem Grundsatzreferat am Montag. Genau hier liegt die Attraktivität – und Notwendigkeit – von Gewerkschaften.
Aber ob sie dem gerecht werden können, liegt nicht alleine in ihrer Hand. Schon in der Coronapandemie sahen sie ihre Arbeitskampfmöglichkeiten drastisch reduziert, was sich entsprechend negativ auf die Tarifabschlüsse ausgewirkt hat. Jetzt sind die Gewerkschaften aufgrund des Ukrainekriegs auch noch mit einer äußerst unsicheren wirtschaftlichen Situation konfrontiert, die erneut ihren Spielraum stark einschränkt. Einerseits ist angesichts schon jetzt steigender Preise für Lebensmittel sowie explodierender Energie- und Treibstoffkosten die Erwartungshaltung auf wenigstens ausgleichende Lohnabschlüsse hoch.
Andererseits dürfte gerade in der energie- aber eben auch personalintensiven Eisen- und Stahlindustrie der absehbare Arbeitskampf zum Balanceakt werden: das Bestmögliche herauszuholen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.
Ganz froh dürften die Gewerkschaften sein, dass sie in einigen größeren Tarifbranchen in diesem Jahr nicht verhandeln müssen, weil die bestehenden Verträge erst zum Ende 2022 auslaufen oder sogar über das Jahr hinaus gelten. Dies gilt beispielsweise für die rund 2,7 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen, deren aktueller Tarifvertrag erst im Dezember ausläuft, aber auch für den Einzelhandel, das KfZ-Gewerbe oder das Bauhauptgewerbe. Keine einfachen Zeiten für die Gewerkschaften in Deutschland.
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