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Tarifverhandlungen 2022Kaum Spielraum für Gewerkschaften

Angesichts von Inflation und hohen Energiepreisen dürften die Tarifverhandlungen 2022 schwierig werden. Die bisherigen Ergebnisse sind bescheiden.

Vor schwierigen Tarifverhandlungen: die neu gewählte DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi Foto: Fabian Sommer/dpa

Berlin taz | Die Ansage der neugewählten DGB-Vorsitzenden dürfte Beschäftigtenherzen höherschlagen lassen. Die Gewerkschaften ließen sich „diesen Unsinn einer Lohn-Preis-Spirale wegen der grassierenden Inflation nicht aufquatschen“, gab sich Yasmin Fahimi kämpferisch. „Wer jetzt Lohnzurückhaltung verlangt, der will in Wahrheit nichts anderes, als die Krisenbewältigung allein auf dem Rücken der Beschäftigten abzuladen“, sagte sie mit Blick auf die anstehenden Tarifverhandlungen in diesem Jahr. „Und das werden wir nicht mitmachen.“ Der Beifall auf dem DGB-Bundeskongress, der an diesem Donnerstag in Berlin zu Ende geht, war groß.

Doch es wird schwer werden für die Einzelgewerkschaften des DGB, das Wort Fahimis zu halten. Für knapp 10 Millionen Ar­beit­neh­me­r:in­nen wird in diesem Jahr über neue Vergütungstarifverträge verhandelt. Die größte Gruppe sind dabei die rund 3,8 Millionen Beschäftigten in der Metall- und Elektroindustrie. Mit welchen Forderungen die IG Metall in die im Herbst beginnenden Tarifverhandlungen gehen wird, ist derzeit noch offen. Das sieht in der Eisen- und Stahlindustrie anders aus, wo an diesem Freitag die Tarifrunde startet: Für die 92.000 hier Beschäftigten fordert die IG Metall ein Lohnplus von 8,2 Prozent.

Das ist eine ambitionierte Forderung. Die Ergebnisse der bereits in diesem Jahr abgeschlossenen Tarifrunden liegen in der Regel deutlich darunter und werden angesichts der hohen Inflationsrate zu Reallohnverlusten führen.

Das gilt beispielsweise für die Verdi-Abschlüsse in der Druckindustrie (2 Prozent mehr ab Mai, weitere 1,5 Prozent ab Mai 2023), den Tageszeitungen (500 Euro Coronaprämie und 1,5 Prozent ab September, weitere 2 Prozent ab Juni 2023), im Versicherungsgewerbe (Einmalzahlungen von 500 Euro in diesem und 550 Euro im nächsten Jahr, 3 Prozent mehr ab September und weitere 2 Prozent zum 1. September 2023) oder im privaten Bankgewerbe (plus 3 Prozent ab August, weitere 2 Prozent zum 1. August 2023 sowie zwei Einmalzahlungen von jeweils 500 Euro).

Gewerkschaften unter Druck

Auf einem vergleichbaren Niveau bewegt sich der Abschluss der IG BCE für die Beschäftigten in der industriellen Fotoentwicklung: Sie erhalten eine Lohnerhöhung von 3,5 Prozent ab März und weitere 3,3 Prozent ab August 2023.

Die Hauptauseinandersetzung im Chemiebereich wurde indes Anfang April auf den Herbst vertagt: Die 580.000 Tarifbeschäftigten in der chemisch-pharmazeutischen Industrie erhalten zunächst einmal nur eine Brückenzahlung in Höhe von einmalig 1.400 Euro, die von notleidenden Betrieben auf 1.000 Euro reduziert werden kann. Ab Oktober will dann die IG BCE mit der Arbeitgeberseite „klären, inwieweit die zunächst kurzfristig gegen die ausufernde Inflation wirkende Entlastung in eine nachhaltige, tabellenwirksame Entgelterhöhung gewandelt werden kann“.

Die unter Mitgliederschwund leidenden Gewerkschaften stehen mächtig unter Druck. „Wir schaffen bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne und Gehälter“, sagte die neue DGB-Chefin Fahimi in ihrem Grundsatzreferat am Montag. Genau hier liegt die Attraktivität – und Notwendigkeit – von Gewerkschaften.

Aber ob sie dem gerecht werden können, liegt nicht alleine in ihrer Hand. Schon in der Coronapandemie sahen sie ihre Arbeitskampfmöglichkeiten drastisch reduziert, was sich entsprechend negativ auf die Tarifabschlüsse ausgewirkt hat. Jetzt sind die Gewerkschaften aufgrund des Ukraine­kriegs auch noch mit einer äußerst unsicheren wirtschaftlichen Situation konfrontiert, die erneut ihren Spielraum stark einschränkt. Einerseits ist angesichts schon jetzt steigender Preise für Lebensmittel sowie explodierender Energie- und Treibstoffkosten die Erwartungshaltung auf wenigstens ausgleichende Lohnabschlüsse hoch.

Andererseits dürfte gerade in der energie- aber eben auch personalintensiven Eisen- und Stahlindustrie der absehbare Arbeitskampf zum Balanceakt werden: das Bestmögliche herauszuholen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.

Ganz froh dürften die Gewerkschaften sein, dass sie in einigen größeren Tarifbranchen in diesem Jahr nicht verhandeln müssen, weil die bestehenden Verträge erst zum Ende 2022 auslaufen oder sogar über das Jahr hinaus gelten. Dies gilt beispielsweise für die rund 2,7 Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen, deren aktueller Tarifvertrag erst im Dezember ausläuft, aber auch für den Einzelhandel, das KfZ-Gewerbe oder das Bauhauptgewerbe. Keine einfachen Zeiten für die Gewerkschaften in Deutschland.

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8 Kommentare

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  • Ja wie? Herr Pascal Beucker - U 2?!

    “ Andererseits dürfte gerade in der energie- aber eben auch personalintensiven Eisen- und Stahlindustrie der absehbare Arbeitskampf zum Balanceakt werden: das Bestmögliche herauszuholen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden.“



    Ach was! © Vagel Bülow

    Wissen wir doch: “Es paßt doch nie!“ 👹



    Sie sind doch - Woll!



    Leck mich inne Däsch!



    Außem Pott - Na toll. Esch.



    & Däh!



    Früher grün beie Jungdemokraten.



    Da! Sünns hück wieder hingeraten.



    Als Antidot mal (wieder¿) lesen =>



    Bernhard Bussmann



    “Woanders wars auch Scheiße: Jahre der Krise 1920 bis 1936. Ein Roman aus dem Ruhrgebiet.“



    de.wikipedia.org/w...nhard_Bu%C3%9Fmann



    & Ach nee! - vergriffen - nie wieder aufgelegt!



    SPD? - drauf gepfiffen! & servíce =>



    Falls ehna nicht in den BücherReihen?!



    Würd ich ehna meins glatt leihen 🙀🥳



    & heiter in den Tag - 😅 - Däh! les grad



    “ Jungle World eine Plattform für unterschiedliche linke Positionen“



    Verdiense ooch noch’n paar Euronen!😱



    Liggers. Doch. Zu spät is nie - beim BDI -



    Tät’s sich sicher eher lohnen. - 🤣 - 🪱 -

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Kennen Sie nicht mein Gedicht? Taz-Autor:innen leben vom Verzicht.



      taz.de/Besuch-der-...-in-Kiew/!5850822/

  • Schafft endlich diese verd... Prozentuale Lohnerhöhung ab. Pauschal jedem Arbeiter das selbe. Geringverdiener helfen 50, 70, 100 € weiter, Großverdiener brauchen nicht noch ein paar Hunderter mehr. Die Prozentuale Lohnerhöhung ist die größte soziale Ungerechtigkeit.

    • @Günter Witte:

      So wie der Kapitalismus läuft, würde dadurch keiner mehr bekommen, weil die pauschale Lohnerhöhung auf die Bedürfnisse der Geringverdiener ausgerechnet würde; mit Inflation wäre es auf Dauer eine Lohnsenkung für alle Nicht-Geringverdiener.

      • @undnix:

        Die Prozentuale Erhöhung von Lohn und Renten ist dafür verantwortlich das die Scherre Arm - Reich immer weiter auseinander geht.



        Sie haben recht das bei den momentanen Inflationsraten jeder an Kaufkraft verliert, nur kann das jemand mit einem höheren Einkommen eher kompensieren als ein gering Verdiener.

  • „Wer jetzt Lohnzurückhaltung verlangt, der will in Wahrheit nichts anderes, als die Krisenbewältigung allein auf dem Rücken der Beschäftigten abzuladen“

    Ich habe 1,8 Prozent mehr Geld erhalten, dass dürfte zum Ende des Jahres ein Minus von ca. 6 bis 12 Prozent werden. Abhängig Beschäftigte werden in großer Zahl am Ende des Jahres weniger verdienen. Danach werden sie auch weniger ausgeben und ihren Konsum drosseln. Das hat dann volkswirtschaftliche Wirkung auf das Wachstum des BIP haben.

    8 Prozent ist eine moderate absolut vertretbare Forderung für die Eisen- und Stahlindustrie der IG Metall.

    Die IG Metall sollte Richtung 10 Prozent denken und Streiks nicht ausschließen. Das wird nämlich zu einem Signal. Und ver.di könnte abermals eine Frustwelle abbekommen, wenn niedrige Ergebnisse in Wirklichkeit Einkommensverluste sind. Die öffentlichen Arbeitgeber sollten sich das auch gut überlegen, wie sie mit angemessenen Forderungen umgehen.

    Ich weiß nicht, wie der DGB sich am Ende verhält bzw. wie die Mitgliedsgewerkschaften ihre Forderungen stellen und wie konfliktfähig sie sind, aber 1,8 Prozent oder 2 Prozent sind keine Erhöhungen, das sind Negativ-Ergebnisse und das kann über Jahr ein Minus von €1800-€3800 brutto werden. Das sind Größenordnungen wie eine Urlaubsreise, eine Anschaffung oder größere Ausgabeposten, die bei vielen dieses Jahr flöten gehen. Gute Laune macht das nicht.

    Wenn DGB-Gewerkschaften dann viele heiße Luft ventilieren und am Ende nichts passiert, wird das dem Ansehen von Gewerkschaften absolut nicht nützlich sein, da muss ich Pascal Beuker zustimmen.

  • Spekulationsgewinne müssen abgeschöpft werden.



    Der permanennte Kaufkraftverlust muss gestoppt werden.



    Die Neoliberale Attitüde des Autors - und bei der taz- ich kanns nicht glauben!

    • @KielerSprotte:

      Der Autor sagt doch nicht, dass es so sein muss, sondern beschreibt die aktuelle Situation (inkl. der schwachen Poistionierung der Gewerkschaften, die auf mindestens Kaufkraftausgleich streiken müssten).