Talfahrt der Börsen: Erst mal kein Grund zur Panik
Schlechte US-Arbeitsmarktzahlen ließen die Börsenkurse zeitweise rutschen. Doch sollte eher der Krieg im Nahen Osten beunruhigen.
Thomas Theobald, Finanzmarktexperte
Am Montagmorgen hatte zunächst eine Hiobsbotschaft die Finanzwelt erschüttert: Der japanische Aktienleitindex Nikkei war um 12,4 Prozent eingebrochen. Das war der größte Kursrutsch seit 1987. Andere Börsen wurden mit der schlechten Stimmung angesteckt. Auch der deutsche Leitindex DAX rutschte am Montag um 1,82 Prozent auf 17.339 Punkte ab. Doch die Erholung folgte sogleich. Der Nikkei stieg am Dienstag wieder um ebenfalls rekordverdächtige 9,4 Prozent, auch in Frankfurt kletterten die Aktienkurse wieder nach oben. Es war also alles doch nicht so schlimm.
Dabei sind Aktienkurse so etwas wie Wetten auf künftige Gewinne. Steigen sie, dann bedeutet das, dass die Investoren davon ausgehen, dass die Unternehmen ordentlich Gewinne machen. Gleichzeitig sinken sie, wenn die Geschäftsaussichten mau sind. Insofern sind die Finanzmärkte eigentlich so etwas wie ein Spiegel der Wirtschaft. Zumindest in der Theorie. Denn praktisch gibt es eine Reihe weiterer Faktoren, die die Börsenkurse beeinflussen.
Zum einen ist auf den Finanzmärkten eine ganze Menge Psychologie mit im Spiel. Zum anderen beeinflussen auch die Notenbanken die Börsenkurse maßgeblich. Senken sie ihre Zinsen, dann bedeutet das frisches Kapital für die Finanzmärkte, was wiederum die Aktienkurse in die Höhe treibt. So kam es schon häufiger vor, dass es den Börsen gut ging, obwohl die Realwirtschaft darbte.
„Übertriebene Marktpsychologie“
Beim jüngsten Kursrutsch war laut Experte Theobald eine gute Portion „übertriebene Marktpsychologie“ mit im Spiel. Denn der Auslöser waren neue Konjunkturdaten aus den USA. Doch die sind eigentlich gar nicht so schlecht, wie die Reaktion der Börsen erwarten ließ. Was die Börsen aufschreckte, war die Nachricht, dass in den USA im Juli weniger neue Arbeitsplätze geschaffen wurden als zunächst erwartet. So kamen „nur“ 114.000 neue Jobs außerhalb der Landwirtschaft hinzu. Experten hatten mit rund 175.000 gerechnet.
Für Theobald rechtfertigt dies nicht die Stärke der Kursrutsche. „Zwar zeichnet sich eine Konjunkturdelle in den Vereinigten Staaten ab, eine Rezession ist derzeit aber nicht in Sicht“, sagt er. So ist die US-Wirtschaft bisher relativ gut durch die letzten Krisen gekommen. Im vergangenen Jahr wuchs sie um 2,5 Prozent. Zum Vergleich: Die deutsche Wirtschaft schrumpfte 2023 um 0,3 Prozent.
„Es ist weniger überraschend, dass die US-Wirtschaft einen Zinsdämpfer erfährt, sondern dass sie so lange so robust durchgehalten hat“, sagt deshalb Ökonom Theobald. Für ihn gibt es drei andere Gründe, warum die Börsenkurse am Montag so abgesackt sind: Erstens warteten in letzter Zeit eine Reihe von Tech-Unternehmen mit schlechten Quartalszahlen auf, für die sich überzogene Erwartungen gebildet hatten. Das setze auch die Aktien von IT-Giganten wie Apple, Amazon und Alphabet unter Druck.
Zweitens herrscht derzeit an den Börsen derzeit so etwas wie Urlaubsstimmung. Das heißt, dass weniger gehandelt wird. Dies wiederum führt dazu, dass einzelne Transaktionen größere Auswirkungen auf den Kurs haben und es so schneller zu Ausschlägen kommen kann.
Angst vor Eskalation in Nahost
Vor allem aber verunsichert die Situation im Nahen Osten auch die Finanzmärkte. „Es herrscht derzeit eine große Unsicherheit, ob es zu einer Eskalation kommt. Und solche Ungewissheiten sind immer Gift für die Finanzmärkte“, sagt Theobald. Er geht davon aus, dass deshalb in nächster Zeit Marktschwankungen häufiger auftreten können, weil sich die Lage unmittelbar auf den Ölpreis auswirkt.
Schließlich ist der Nahe Osten laut Angaben der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) mit einem Anteil von knapp einem Drittel an der globalen Förderung nach wie vor der weltweit wichtigste Erdölproduzent. Kriege in der Region trieben in der Vergangenheit schon mehrfach die Ölpreise nach oben.
Im Rahmen des Jom-Kippur-Krieges 1973 zum Beispiel drosselten die arabischen Länder ihre Ölforderung, um die westlichen Länder bezüglich ihrer Unterstützung Israels unter Druck zu setzen. Die Folge war eine Ölpreiskrise. Das ließ die Inflation damals in der Bundesrepublik auf über 7 Prozent steigen. So hoch waren die Teuerungsraten erst wieder in der Energiepreiskrise, die der russische Angriff auf die Ukraine 2022 ausgelöst hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“