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Refugee-Karawane Tagebuch (3)„Freiheit“ in allen Sprachen, die wir kennen

Bis August hatte Thüringen kein Abschiebegefängnis. Seitdem werden in Arnstadt Menschen vor der Abschiebung eingesperrt. Der Betrieb kostet Millionen.

Der Protest der Karawane vor dem Abschiebegefängnis in Arnstadt Foto: Leona Goldstein

Guten Morgen aus Waltershausen in Thüringen. Es ist der dritte Tag der Karawane für Bewegungsfreiheit. Am Morgen ist der Himmel ist bewölkt, es soll bald regnen. Ich bin wie jeden Tag früh aufgewacht, habe mich mit einem Kaffee an meinen Computer gesetzt. Es gibt viel zu tun.

Tagebuch von der Refugee-Karawane ​

Vom 20. bis zum 27. September 2025 ist die „Karawane für Bewegungsfreiheit“ des antirassistischen Netzwerks „We’ll come United“ von Thüringen nach Berlin unterwegs. Mit Aktionen vor Lagern und Abschiebeknästen wollen sie gegen die zunehmenden Einschränkungen für Geflüchtete protestieren. Die Karawane endet mit einer Parade in Berlin. Sie ist Teil der europäisch-afrikanischen Aktionskette Transborder Chain of Action zum 10. Jahrestag des „Summer of Migration“ 2015. Für die taz schreibt Muna Abdi ein Tagebuch von der Karawane.

Weiteres zu dem Thema auch auf unserem taz.de-Schwerpunkt zum Flüchtlingssommer.

Ich stelle mich in die Frühstücksschlange, es gibt Schwarzbrot, Kaffee, Tee, Obst und Erdbeermarmelade. Danach beginnt das Plenum, es geht um die Aktionen am heutigen Tag. Wir fahren mit allen Autos und dem Bus nach Arnstadt. Dort hat das Bundesland kürzlich ein neues Abschiebegefängnis eröffnet. 3 Millionen Euro pro Jahr kostet der Betrieb. Das Gefängnis ist Teil eines Komplexes, zu dem auch ein Jugendgefängnis gehört. Mitte August wurden hier die ersten Menschen inhaftiert.

Die Fahrt dauert etwa 30 Minuten. Wir kommen am späten Vormittag an, teilen uns auf dem Platz vor dem Gefängnis in Teams auf. Wir bauen Zelte auf, hängen Transparente auf. Es gibt Applaus und Pfiffe. „Keine Grenzen, keine Nationen. Stoppt die Abschiebungen“, rufen einige. „Kein Mensch ist illegal, Flüchtlinge sind hier willkommen“.

Bild: privat
Muna Abdi

Die 28-Jährige stammt aus Hargeysa, der Hauptstadt von Somaliland. Sie hat dort Journalismus, Massenkommunikation und Öffentliche Verwaltung studiert. Nach sieben Jahren Berufstätigkeit in Somalia kam sie 2024 als Asylsuchende nach Deutschland. Für die taz schreibt sie bis zum 27. September ein tägliches Tagebuch von der Karawane für Bewegungsfreiheit.

Redner ergreifen das Mikrofon. „Heute, 10 Jahre später, liegt es an uns, die Hoffnung von 2015 weiterzutragen. Die Karawane ist unterwegs“, sagte Ida, eine Aktivistin. Musik wird abgespielt.

Ak­ti­vis­t:in­nen fordern die Schließung des Abschiebegefängnisses.„Unser Protest hier heute ist notwendig, denn seit Anfang August gibt es dieses Gefängnis mit 37 Plätzen“, sagt Husni. Er stammt aus Syrien. 2015 floh er vor den Kriegen in seinem Land als junger Flüchtling nach Deutschland. Heute lebt er in Jena und engagiert sich für Geflüchtete in Thüringen. Er studiert seit sechs Jahren Medizintechnik und arbeitet als Ingenieur.

„Es ist überraschend, wie unsere Regierung mit den steigenden Stimmenanteilen der AfD umgeht“, sagt er. Die anderen Parteien scheinen ihnen hier in Thüringen einfach zu folgen. Sie konzentrierten sich populistisch darauf, Minderheiten zum Sündenbock zu machen, anstatt sich auf die wirtschaftlichen Probleme in diesem Land zu konzentrieren, meint Husni.

Danach wird eine Sprachaufnahme aus dem Jugendgefängnis abgespielt. Der Gefangene spricht über die rassistische Behandlung, von den Wärtern und der Leitung des Gefängnisses. „Viele Menschen werden hier unter schlechten Bedingungen festgehalten“, sagt er.

Die Stimme dieser Person zu hören ist herzzerreißend, alle sind betroffen, frustriert. Wir nehmen unsere Wut, nehmen die Plakate, die wir haben. Wir stellen uns gemeinsam direkt vor das Gefängnis und rufen laut „Freiheit“, in allen Sprachen, die wir kennen.

Danach fahren wir zum Lager Arnstadt, in dem viele Geflüchtete untergebracht sind. Kurz nach unserer Ankunft erscheint die Polizei. Sie beobachtet uns, forderte uns auf, zu gehen. Es gibt eine Diskussion darüber, warum der Eingang geschlossen wurde. Der Mitarbeiter des Landratsamtes sagt uns, dass wir keinen Zutritt habe. Er versucht, dies als Schutzmaßnahme für die Flüchtlinge darzustellen. Aber es ist klar, dass sie jeden Kontakt zwischen ihnen und uns vermeiden wollen.

Aber wir werden immer Wege finden, um in Kontakt zu treten. Wir werden weiterhin Flüchtlinge in den Lagern besuchen. Und wir werden weiterhin gegen die Isolation protestieren.

Das Tagebuch wird fortgesetzt.

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