Tagebuch aus der Ukraine: Schlimmer, als würde die Welt uns nur alleine lassen
Viele Verwandte und Freunde unseres Autors verstehen nicht mehr, was geschieht. Ihr Land soll plötzlich der Aggressor sein? Wie verrückt ist die Welt?
E in unangenehmes Déjà-vu. Das beschreibt in etwa, wie ich den dritten Jahrestag der vollständigen russischen Invasion in der Ukraine, einfach gesagt: des Krieges, erlebt habe. Denn wieder einmal muss ich ständig die Nachrichten lesen, wieder muss ich den Blick zum Himmel richten und mich fragen: „Was zum Teufel ist da los? Hat es diese ohnehin schon verrückte Welt geschafft, noch verrückter zu werden?“
Die Nachrichten waren in jüngster Zeit nicht gerade abwechslungsreich, sie handelten von Fronten, Beschuss und Toten. Man könnte sagen: Daran kann man sich gewöhnen, auch wenn es schrecklich klingt. Doch jetzt ist Donald Trump auf der Bildfläche erschienen und hat versprochen, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden – und damit hat sich ein wahres Tor zur Hölle geöffnet.
Der Krieg steht keinesfalls vor seinem Ende. Es gibt nun bloß Anschuldigungen, dass die Ukraine diejenige sei, die keine Einigung mit Russland erzielen könne, und die deshalb die Schuld an seiner Fortdauer trage. Das ist er, der erste Aufruf zur Aufführung des Theaters der „Realpolitik“, das von rechten Politiker:innen in aller Welt so geschätzt wird.
Ich möchte die Aufmerksamkeit der Leser:innen auf die Weltkarte lenken: War dieses Land am Schwarzen Meer tatsächlich in der Lage, eine Atommacht zu provozieren? Sollen wirklich wir Ukrainer:innen es sein, die Russland gegenüber einen Akt der Aggression begangen haben?
Die Menschen in der Ukraine sind leidgeprüft
Die Ukrainer:innen sind es gewohnt, dass viele Politiker:innen sich es sehr einfach machen und en passant die Kapitulation der Ukraine fordern. Das war im Februar 2022 so, und eine solche Meinung gibt es auch jetzt. Warum bieten diese Spezialisten für einfache Lösungen nicht einfach an, die russischen Truppen abzuziehen? Schade, dass auf diese Idee niemand kommt, aber das ist schon in Ordnung, wir kennen es ja.
Als nächstes kommt Trumps Forderung nach den seltenen Erden in der Ukraine. Er will „das Geld zurückhaben“, das die USA für die Ukraine ausgegeben haben. Hier werden die Augen der Ukrainer:innen vor Überraschung groß, und die Worte „Lithium“, „Titan“ und „Graphit“ sind sogar in öffentlichen Verkehrsmitteln zu hören. Natürlich wissen die Ukrainer:innen seit ihrer Schulzeit, dass ihr Land über riesige Mineralienvorkommen verfügt, aber wer hätte gedacht, dass sie für die Hilfe, die sie erhielten, bezahlen müssen?
Womit gehen wir in das vierte Jahr des großen Krieges? Zumindest ist da die große Angst, dass zu viel ohne die Ukraine entschieden wird. Man muss kein politikwissenschaftlicher Experte sein, um zu erkennen, dass der US-Präsident ein konservatives, rechtsextremes Russland einer komplexen, unangenehmen, schmerzhaften und herausfordernden Ukraine vorzieht.
Lange Zeit glaubte man hierzulande, dass die konventionelle Welt, auch wenn es sich vor allem um den Westen handelt, an unserer Seite steht. Jetzt ist dieses Gefühl immer weniger verbreitet. Immer öfter höre ich von Verwandten und Freunden, dass sie einfach nicht mehr verstehen, was um sie herum geschieht. Immer häufiger lösen die Nachrichten nicht den üblichen Stress aus, sondern Apathie.
Man hat hier nicht das Gefühl, dass das Grauen des Krieges aufhört, wie es in Washington behauptet wird, sondern im Gegenteil: dass das Grauen weitergeht, dass es wächst und sich immer weiter entwickelt.
Vasili Makarenko ist freier Autor aus Kyjiw und war Teilnehmer eines taz Panter Workshop für Osteuropa.
Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan. Finanziert wird das Projekt von der taz Panter Stiftung.
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