Tagebuch aus Moldau: Kekse, Cola, Strafandrohung
Die Großmutter unserer Autorin kann erzählen, wie in der Republik Moldau moskautreue Kräfte auf Stimmenkauf gehen. Die Justiz kommt kaum dagegen an.

I ch stand an einer Weggabelung und wartete auf das Auto meines Onkels. Er wollte mich in das Dorf meiner Kindheit bringen. Dort wartete meine Großmutter auf mich. Das Dorf, versteckt zwischen Hügeln, 80 Kilometer von der moldauischen Hauptstadt Chișinău entfernt, ist über die Jahre immer schwieriger erreichbar geworden. Der öffentliche Nahverkehr wurde wegen mangelnder Fahrgastzahlen eingestellt, zurück bleiben vergessene Straßen und einsame alte Menschen.
In den vergangenen drei Jahrzehnten hat die Republik Moldau 34 Prozent seiner Bevölkerung verloren. Allein in den letzten zehn Jahren sind die Dörfer aufgrund fehlender Perspektiven, schlechter Infrastruktur, Korruption und Armut noch einmal um fast ein Drittel entvölkert worden. Das Tempo nimmt zu.
Am 28. September finden in Moldau entscheidende Parlamentswahlen statt. Die Polizei warnt, die Methoden der Einflussnahme würden immer raffinierter. Die pro-europäische Präsidentin Maia Sandu behauptet, dass Russland Moldau unter seine Kontrolle bringen wolle und „extreme Eingriffe“ vorbereite, darunter illegale Finanzierung, Cyberangriffe, Desinformation, der Einsatz von Kryptowährungen sowie bezahlte Proteste.
Die Großmutter unserer Autorin
Bei Sonnenuntergang kommen wir bei Großmutter an. Sie erwartet uns mit einem gedeckten Tisch. „Ich habe den Kontakt zu dir vermisst“, sagt sie. Sie hat vier Kinder und sieben Enkelkinder, aber niemand ist im Dorf geblieben. Seit dem Tod meines Großvaters lebt sie allein.
Zu unserer Überraschung erfuhren abends aus dem Fernsehen, dass es im Zusammenhang mit dem Wahlbetrug unter der Führung des Oligarchen Ilan Șor neue Festnahmen gegeben hatte. Nachdem Shor an einem Bankbetrug beteiligt war, der Moldau 12 Prozent seines BIP gekostet hatte, nutzte Șor jahrelang die Schwäche älterer Menschen aus, um daraus politisches Kapital zu gewinnen und sich der Justiz zu entziehen: Er bot Sozialläden, Geschenke, Konzerte und Bargeld an.
Nachdem das Urteil gegen ihn rechtsgültig war, floh er nach Moskau, wo er die russische Staatsbürgerschaft erhielt und weiterhin einflussreiche Netzwerke in Moldau finanziert, um den proeuropäischen Weg des Landes zu untergraben. Bei den Wahlen im vergangenen Jahr erhielten über Shors System mehr als 130.000 Wähler:innen Geld aus Russland.
Moldaus Präsidentin Maia Sandu verurteilte die „beispiellosen Fälschungen“ und warnte, dass der Kauf von 300.000 Stimmen geplant war, um das Referendum über den EU-Beitritt zu verhindern. Dieses fand im Oktober des vergangenen Jahres eine knappe Mehrheit von 50,35 Prozent.
Meine Großmutter erzählte mir, dass auch sie zu den Veranstaltungen von Șor eingeladen wurde. „Komm mit, Schwester, du bekommst Kekse und Cola – alles umsonst“, hatte man ihr gesagt. Sie lehnte ohne zu Zögern ab. Nach Aufdeckung des Betrugs wurden Tausende Menschen bestraft und Hunderte verhaftet, darunter auch ältere Dorfbewohner.
Meine Oma aber bleibt skeptisch: „Wenn die Wahlen näher rücken, fängt alles wieder von vorne an“, sagt sie.
Das Europäische Parlament fordert eine Beschleunigung des Beitritts von Moldau zur EU. Meine Oma sagt: „Ich warte auf die Rente und ja, ich muss zum Arzt.“
Als ich abreiste, befand ich mich wieder an derselben Weggabelung – genau wie mein Land, das an einem Scheideweg steht. Dieses Mal erwische ich einen Kleinbus. Das Banner in dem Wagen, in den ich stieg, schien mich zu mehr Optimismus zu bewegen. Es versicherte mir: „Moldau kann es schaffen.“
Daniela Calmîş ist eine unabhängige Journalistin aus der Republik Moldau. Sie ist Teilnehmerin des Osteuropa-Workshop der taz Panter Stiftung.
Aus dem Russischen von Tigran Petrosyan.
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