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Tagebuch „Krieg und Frieden“ beendetLieber Leid teilen als gar nichts

Das Schreiben über den Krieg hat unserer russischen Autorin geholfen, etwas gegen ihre Angst und Wut zu tun. Jetzt zieht sie ein trauriges Fazit.

St. Petersburg im Dezember Foto: Maksim Konstantinov/imago

M it diesem Text beendet die taz Panter Stiftung nach 20 Monaten das Projekt Krieg und Frieden. Wir danken allen AutorInnen und SpenderInnen, die das Projekt ermöglicht haben. Ein Sammelband ist im September 2022 im Verlag edition.fotoTAPETA erschienen. Die Tagebuch-AutorInnen werden weiter für die taz schreiben, etwa im Rahmen der Osteuropa-Workshops, die die taz Panter Stiftung organisiert.

Война и мир – дневник

Чтобы как можно больше людей смогли прочитать о последствиях войны в Украине, taz также опубликовал этот текст на русском языке: here.

St. Petersburg taz | Meinen ersten Text für „krieg und frieden: ein tagebuch“ habe ich im März vergangenen Jahres geschrieben. Ich weiß noch, wie mich der Anruf des Projektleiters Tigran Petrosyan beflügelte, der mir vorschlug, Kolumnentexte über das Leben in Russland im Krieg zu schrei­ben. Es war wie ein frischer Wind in einer Zeit der erstickenden, lähmenden Angst und Verzweiflung. Die Gefühle brodelten und das Einzige, was mich rettete, war, darüber zu sprechen. Das Tagebuch gab mir dazu Gelegenheit.

Die taz Panter Stiftung hat etwas Unglaubliches getan. Im Moment eines akuten Konflikts hat sie nicht nur Stimmen von beiden Seiten der Front Raum gegeben, sondern auch denen, die keiner der kämpfenden Seiten angehören, sondern willkürlich in diesen Konflikt hineingeraten waren.

Olga Lizunkova

ist Journalistin und Videoproduzentin. Sie lebt und arbeitet in St. Petersburg.

Denn der Krieg betrifft nicht nur die Menschen in der Ukraine beziehungsweise in Russland. Auf die ein oder andere Weise sind seine Auswirkungen in ganz Eurasien zu spüren. Und fast niemandem hat er etwas gebracht außer Verlusten. Die Menschen verlieren ihre Angehörigen und Freunde, ihr Zuhause, Arbeit, Wohlstand, den Sinn des Lebens, die Hoffnung und oft den gesunden Menschenverstand.

Russland hinter der eisernen Wand

Ich will nicht verhehlen, dass mir das Projekt auch die Möglichkeit gab zu erklären, dass in Russland auch Menschen leben, die diesen Krieg ablehnen. Unter den Bedingungen totaler Isolation und hinter einer eisernen Wand, die mein Land von der Außenwelt abschirmte, war es mir wichtig zu zeigen, dass wir existieren. Was ich hingegen absolut nicht wollte, war, dass es so klang, als würde ich versuchen, mich mit diesen Texten von der Schuld freizukaufen.

Während dieser fast zwei Jahre haben Journalistinnen und Journalisten aus unterschiedlichen Ländern über Dutzende von Themen geschrieben, aber vor allem haben sie ihre eigene Geschichte erzählt und wie sie in dieser Zeit überlebt haben. Es glich einer großen Zoom-Konferenz, wenn alle abwechselnd in einem kleinen Fenster in Echtzeit zeigen, was gerade bei ihnen passiert. Und jetzt, wo die Konferenz zu Ende geht, ist es an der Zeit, sich zu fragen: Was konnten wir ändern? Ehrlich gesagt: nichts. Und gleichzeitig: vieles.

Wir können den Krieg nicht stoppen. Aber es ist falsch, zu viel von sich zu erwarten. Der erste Schritt zur Lösung eines Problems ist, es sichtbar zu machen. Das Hässliche der Welt zu zeigen. Und auch zu sagen, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten noch Licht gibt. Ich möchte glauben, dass wir diesen ersten Schritt gegangen sind.

Annäherung unter tragischen Umständen

Die Panter Stiftung gab den Autorinnen und Autoren die Möglichkeit, sich durch die Texte einander anzunähern und sich persönlich kennenzulernen. Durch tragische Umstände saß ich in Berlin mit Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine, Belarus, Georgien, Armenien und Moldau an einem Tisch. Wir versuchten, einander zuzuhören, trotz allem, was passierte. Ehrlich gesagt wäre ich viel lieber mit ihnen in eine Bar gegangen, nach irgendeiner langweiligen Pressekonferenz über die Landwirtschaft.

Ich habe die ganze Zeit nach etwas gesucht, das uns eines Tages vereinen könnte. Irgendetwas außer der Sprache, in der wir schreiben und in der wir aufgehört haben, einander zu verstehen. Ich habe nichts gefunden außer Schmerz. Aber vielleicht ist Schmerz besser als nichts.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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2 Kommentare

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  • Was bleibt? Die berechtigte Hoffnung, dass die trotz aller Hoffnungslosigkeit Hoffenden nicht nur recht hatten und haben, sondern irgendwann auch ihr Recht in einer demokratischen Heimat bekommen.

  • Vielen Dank für Ihren Text / Ihre Texte - besser so, als sprachlos.