Tag der offenen Tür in Stasi-Gedenkstätte: Flori und der böse Wolf

Wolf Biermann singt in Hohenschönhausen. Das passt Florian Havemann, Sohn eines bekannten DDR-Dissidenten, gar nicht.

Wolf Biermann tritt durch einen roten Vorhang hindurch

Nimmt nie ein Blatt vor dem Mund: Wolf Biermann Foto: Michael Kappeler/dpa

Christa Wolfs erste Worte im Roman „Kindheitsmuster“ sind ein Fluch, zuerst gesprochen von William Faulkner: „Das Vergangene ist nicht tot, es ist nicht einmal vergangen.“ Ein Fluch, den Wolf in sich und ihrer Generation erkannte: Kriegskinder, bis ins Mark von den Verbrechen der Elterngeneration geprägt. Ein Fluch der aber auch eine, gerne übersehene, auf der nächsten Generation lastende bittere Prophezeiung war.

Die Kinder der DDR können ein trauriges Lied davon singen – oder ein böses. Wolf Biermann der sich nie lange bitten ließ, Lumpen und jene, die er dafür hielt, als solche zu bezeichnen, hatte entsprechend zügig die Hand in den Saiten um auszuteilen wie es nur der Sänger kann: Die Gitarre eine Knarre, die Worte Patronen.

„Der ausgeflippte Have /

Hier war er ein dreister Sklave /

dort macht er den linken Clown /

Wer abhaut aus dem Osten /

Der ist auf unsere Kosten /

von sich selber abgehaun.“

Im Jahr 1976, Florian Havemann, Sohn des Chef-Dissidenten der DDR, des Physikers Robert Havemann, war gerade einmal 24 Jahre alt und seit fünf Jahren im Westen, als Biermann ihn auf einem Konzert mit diesen Worten grüßte. Der Auftritt in Köln war der letzte vor der Ausbürgerung des Liedermachers, der mehr als einmal kolportierte, „Flori Havekind“ hätte nur mithilfe der Stasi das Arbeiter- und Bauernparadies verlassen können. Nicht grad der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Ganz ohne falsche Bescheidenheit

Der stolze „Drachentöter“ (Biermann über Biermann) wurde darauf zum klampfenden Faktotum der antikommunistischen Nationale, herausgeputzt (nicht zu sehr, selbstredend) und ausgestellt immer dann, wenn es den Kronzeugen, einen wahren Kommunisten nämlich brauchte, um den realexistierenden Sozialismus als das verlogene Dreckstück anzuprangern, das er zweifellos war. Biermanns Ich war eines, das ganz ohne falsche Bescheidenheit seinen Applaus annehmen konnte. Havemann derweil folgte nicht dem Vater in die Naturwissenschaften, viel näher an Biermann entschied er sich fürs kreative Fach: Theater.

Der Knast Am Sonntag lädt man ab 10 Uhr in der Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen, Genslerstraße 66, zum Tag der offenen Tür. Dabei wird um 14 Uhr Wolf Biermann singen. An dem Auftritt stößt sich Florian Havemann, der in Hohenschönhausen einsaß. Biermann und den Sohn des DDR-Regimekritikers Robert Havemann verbindet eine Konfliktbeziehung (siehe Text oben).

Das Lied Diese Beziehung ist auch deutsche Popgeschichte mit dem Lied „Enfant perdu“ (erschienen 1973 auf dem Album „Warte nicht auf bessre Zeiten“), das Biermann Florian Havemann hinterhergesungen hat: „Jetzt hockt er hinter der Mauer/ und glaubt, dass er vor ihr sitzt/ Er ist hinüber.“ Musikalisch ist das Lied schon deswegen interessant, weil sich hier eine krude Klangcollage mit Liedermacher-Gitarre trifft. (tm)

Als die Zumutung DDR endlich das Zeitliche gesegnet hatte, waren Biermanns Verdienste im Dienste des Antagonisten von hinreichendem Umfang, um nicht zum gänzlich alten Eisen gelegt zu werden, für das ihn der inzwischen gesammelte Rost im Schnauzbart sicher qualifiziert hätte. Havemanns linkslastige Ideentreue machten aus dem Schriftsteller kurz vor der Jahrtausendwende einen Laienrichter am brandenburgischen Verfassungsgericht – auf dem Ticket der PDS, die später in der Linken aufgehen sollte.

Und dann kamen die Abrechnungen. Diesmal legte Flori vor. „Havemann“ hieß der fette Schinken, in dem er 2007 mit dem Vater, dem Großvater, Biermann, ja der ganzen Welt reinen Tisch machte. Zumindest so lange, bis der Verlag eine ungebührlich verleumdete Protagonistin entschädigen und im Buch kräftig schwärzen musste. Biermann ließ Havemanns Behauptung, er hätte ein Verhältnis mit Margot Honecker gehabt, in der Welt. Kaum einer hatte sein Genital näher an der Macht. Tausendsassa, der.

Ein Jahrzehnt später folgte die Biermann-Autobiografie: „Warte nicht auf bessre Zeiten!“. Darin wiederholt Biermann die Flucht-Kolportage, gewiss vom Verlagsjustiziar geprüft und als Meinungsäußerung nicht zwingend faktisch zu belegen: „Florian Havemann floh 1971 auf – so schätzen wir es ein – dubiosen MfS-Wegen in den Westen“. „So schätzen wir es ein“ – mit Worten kann er ja, der Biermann.

B. singt einfach weiter

Dieser Satz nun stößt dem Havemann kräftig auf. Schließlich hat ihm die vormalige Chefin der Stasi-Unterlagenbehörde, Marianne Birthler, bescheinigt, dass es so nicht war. Die Behauptung Biermanns aber steht im Raum und will den partout nicht verlassen. Auch B. selber bleibt und singt einfach weiter, zum Beispiel am 7. Juli in der Gedenkstätte Hohenschönhausen beim Tag der offenen Tür (schön ironischer Titel für ein Event im früheren Stasiknast).

Nun ist es aber so, dass der Liedermacher zwar durchaus sein Fett wegbekommen hat von den Genossen, gesessen in Hohenschönhausen hat er aber nicht. Havemann schon. 1968. Der junge Florian hatte seinen Unmut über den sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei kundgetan und teuer für den kritischen Ausbruch bezahlt. Nun beklagt er sich, dass Biermann in „seiner“ Gedenkstätte Programm mache, während der gleichzeitig Ehrabschneiderisches über einen früheren Häftling verbreite.

Kein Stasi-Offizier hätte sich das ausdenken können. Das machen die alles selber, in Freiheit noch dazu

Havemanns Ärger kommt nicht von ungefähr, ist viele Jahre alt. Und von Biermann kann man ja sowieso halten, was man will. Eines aber ist gewiss: Kein Stasi-Offizier hätte sich das ausdenken können. Das machen die alles selber, in Freiheit noch dazu.

Der zweite Satz in Christa Wolfs Kindheitsmustern sagt über das Vergangene: „Wir trennen es von uns ab und stellen uns fremd“. Frieden kann so kein Mensch je finden, denn der Fremde wird er selbst.

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