TV-Debatte Biden gegen Sanders: Sanders punktet, Biden gewinnt
Das Coronavirus bestimmt auch die Debatte der demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden und Bernie Sanders in den USA.
Und eine Minute vor Beginn der Debatte am Sonntagabend, als die Zahl der Corona-Virus-Infizierten in den USA auf 3.486 und die Zahl der Toten auf 66 gestiegen ist, lässt die Gesundheitsbehörde CDC eine Bombe platzen. Sie verkündet, dass wegen der Pandemie ab sofort alle Veranstaltungen mit mehr als 50 TeilnehmerInnen untersagt sind. Weitere radikale Schritte, darunter auch Reiseverbote im Inneren der USA, könnten folgen.
Die Pandemie bestimmt den Ton der Auseinandersetzung der beiden letzten Männer im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten. Beide kommen in dunklen Anzügen, begrüßen sich per Ellbogenschubs und machen klar, dass der Präsident angesichts des Virus versagt hat. „Wir müssen diesen Präsidenten zum Schweigen bringen“, sind die ersten Worte von Bernie Sanders in der zweistündigen Debatte, „sein Geplapper ist inakzeptabel.“
Dann beschreibt Sanders seine „Medicare for all“-Initiative, die staatliche Krankenversicherung für alle. Er verspricht, dass seine Regierung sämtliche Kosten für die Opfer der Pandemie übernimmt – von den Tests über die Behandlung bis zu Lohnausfällen. Und dass er als Präsident die Schließungen von ländlichen Krankenhäusern rückgängig machen und den Preiswucher der Pharmaindustrie – „eine Verbrecherbande“ – beenden wird. Allen Virus-Betroffenen sagt Sanders zu: „Macht euch keine Sorgen über die Kosten. Wir sind eine zivilisierte Nation.“
Alles spricht für Sanders – aber Biden gewinnt
Die dramatische Eskalation der Gesundheitskrise in den USA, von der Pannenserie bei den Tests über den Mangel an Intensiv-Betten, an Beatmungsgeräten und Personal bis hin zu den prohibitiven Behandlungs- und Medizin-Kosten in den USA – all das scheint Sanders recht zu geben.
Auch die existenziellen Ängste, die jetzt die Mehrheit der Beschäftigten in den USA umtreiben – unzureichende Krankenversicherungen, kein Anspruch auf Krankentage, keine Lohnfortzahlung, seit Jahrzehnten stagnierende Reallöhne und keine Sparrücklagen et cetera –, sind exakt die Themen, mit denen sich Sanders profiliert hat. Der „demokratische Sozialist“ ist derjenige, der den Kampf für soziale Gerechtigkeit zum Hauptthema der DemokratInnen gemacht hat. Und derjenige, der die konkretesten Vorstellungen zu allen Punkten hat.
Dennoch ist Biden und nicht Sanders am Sonntagabend der Gewinner der Debatte. Biden, der bei den vorausgegangenen Debatten so oft gestottert und den roten Faden verloren und der immer wieder wie abwesend dabei gestanden hat, während die anderen DemokratInnen debattierten, wirkt so selbstbewusst wie nie zuvor.
Sanders hält dem ehemaligen Vizepräsidenten seine politischen Fehler der Vergangenheit vor – vom Votum für den Irakkrieg über seine langjährigen Versuche, die Leistungen der Sozialversicherung zu kürzen, von den Freihandelsverträgen in Nordamerika und Asien bis hin zum Festhalten an privaten Krankenversicherungen. Aber Biden lässt ihn abblitzen.
Biden will eine Frau als Vizepräsidentin
Bei früheren Debatten hat Biden darauf geachtet, sich hinter Barack Obama und hinter seiner achtjährigen Arbeit als dessen Nummer zwei zu verstecken. Aber an diesem Sonntag will er nicht mehr über die Vergangenheit reden. Oder allenfalls, um zu bestreiten, dass Sanders recht hat – trotz Videos und Artikeln, die das Gegenteil beweisen.
Biden hat am 29. Februar die Vorwahlen in South Carolina und wenige Tage später die Mehrheit der Delegierten in zehn Bundesstaaten gewonnen. Er hat damit zwar noch nicht die Nominierung in der Tasche, aber er gibt sich bereits als der nächste Präsident der USA.
Er äußert Mitgefühl mit den Opfern, verspricht allen seine Hilfe und sagt, wo er als Präsident sitzen würde, während Trump gestikuliert: im Situation Room. Dort würde Biden „täglich auf die Wissenschaftler und ihren Rat“ hören. Er sei ein Macher, die Wähler wollten „Lösungen, keine Revolution“, meint er.
Dann zieht Biden seine Trümpfe des Abends aus der Tasche. Er verspricht, dass seine Nummer zwei eine Frau werden wird. Er verspricht, dass er die erste schwarze Frau ans oberste Gericht schicken wird. Und er macht sich zwei Anliegen der ausgeschiedenen Senatorin Elizabeth Warren zu eigen, die er zuvor für unrealistisch gefunden hat. Plötzlich will auch Biden die Streichung privater Schuldenlasten – inklusive Studienschulden – erleichtern und die Gebühren an öffentlichen Universitäten abschaffen.
Coronavirus: Wahlkampf ohne Öffentlichkeit
Die Namen seiner Frauen für die Spitzenämter oder die Details seiner Pläne nennt Biden nicht. Er will Frauen und Linke für sich gewinnen. Aber er will sich auf keine Diskussion mit Sanders einlassen.
Beide Kandidaten machen klar, dass sie den jeweils anderen unterstützen werden, falls er die Nominierung bekommt. Und beide versprechen, dass sie Trump ablösen werden. Aber Sanders, der rein rechnerisch immer noch die Nominierung gewinnen könnte, weist auf die Schwächen von Biden. Seine Abhängigkeit von Spenden aus Pharmaindustrie, Mineralölindustrie und Wall Street. Seine halbherzige Klimapolitik, zu der auch die Weigerung gehört, das Fracking zu verbieten. Und seine enge Zusammenarbeit mit autoritären und kriegerischen Regimen wie Saudi-Arabien. „Er macht es hart für mich“, sagt Biden, als ein Moderator ihn fragt, wie er es schaffen will, die mehrheitlich jungen AnhängerInnen von Sanders für sich zu gewinnen.
Während die beiden Männer in einem Studio von CNN in Washington diskutieren, stellt sich ihr Land auf mindestens acht Wochen Rückzug ins Private ein. Nach langem Zögern hat New Yorks Bürgermeister Bill de Blasio am Sonntagabend auch entschieden, alle Schulen zu schließen. Bars und Restaurants in der „Stadt, die nie schläft“, dürfen keine Gäste mehr an ihren Tischen bedienen. Und an diesem Dienstag wird zum ersten Mal in der Geschichte die Sankt Patricks Parade in New York ausfallen.
Die Männer, die im November ins Weiße Haus gewählt werden wollen, müssen ihre Kampagnen unter Ausschluss der Öffentlichkeit führen. Die nächsten Vorwahlen sind am Dienstag in den Bundesstaaten Florida, Arizona, Illinois und Ohio. Georgia und Lousiana, die eigentlich auch hätten wählen sollen, haben ihre Vorwahlen wegen des Coronavirus in die Monate Mai und Juni verschoben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen