Syrisches Folteropfer über Prozess: „Es war wie in Schwerelosigkeit“
Wassim Mukdad sagte am 19. August in Koblenz gegen seinen mutmaßlichen Folterer im syrischen Gefängnis aus. Er ist Zeuge dieses bisher einmaligen Prozesses.
taz am wochenende: Herr Mukdad, Sie haben gerade in dem Prozess gegen den Verantwortlichen des syrischen Geheimdiensts Anwar R. ausgesagt, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Koblenz vor Gericht steht. Wie geht es Ihnen?
Wassim Mukdad: Mir geht es richtig gut, ich fühle mich erleichtert.
Anwar R. soll in Syrien für die Folter an mindestens 4.000 Menschen mitverantwortlich sein, manche sind an den Folgen gestorben. Sie gehören zu den Überlebenden. Wie kamen Sie nach al-Khatib – in das Gefängnis, das Anwar R. unterstellt war?
Ich war am 30. September 2011 mit zwei Freunden in Duma in der Nähe von Damaskus auf der Suche nach einer Demonstration. Die gab es dort jeden Freitag. Aber an diesen Tag waren Hunderte, wenn nicht Tausende Sicherheitsleute auf der Straße, um Demonstrationen zu verhindern. Einige von ihnen haben uns festgenommen, nur weil wir auf der Straße waren. Uns wurden unsere T-Shirts über den Kopf gezogen, wir wurden getreten und geschlagen, mir wurde mit einem Gewehr eine Rippe gebrochen. Im Bus, der uns ins Gefängnis bringen sollte, hat man uns die Haare angezündet und sie dann ausgepinkelt. So kam ich in al-Khatib an.
Was hat man Ihnen vorgeworfen?
Es gab gar keinen Vorwurf. Plötzlich hast du keine Rechte mehr. Ich war fünf Tage in al-Khatib, dann wurde ich in ein anderes Gefängnis gebracht. Nach 17 Tagen wurde ich freigelassen.
Was genau ist in al-Khatib passiert?
Die Zellen waren sehr klein, wir waren mit neun oder zehn Personen in einem Raum, der vielleicht sechs Quadratmeter groß war. Wir konnten nicht gleichzeitig schlafen, der Platz reichte nicht. Das Essen war nicht ausreichend. Manchmal gab es nur eine Kartoffel und ein Stück Brot oder sechs oder sieben Oliven. Im zweiten Gefängnis war es noch viel schlimmer. Ich musste mehrere Nächte stehen. Ich habe in den 17 Tagen dort 17 Kilo abgenommen. Medizinische Versorgung gab es nicht. Ich hatte ja die gebrochene Rippe und später eine Augenentzündung, das wurde ignoriert.
Der Zeuge: Wassim Mukdad, 35, ist Musiker und Arzt; er unterstützte die Revolution in Syrien. Dreimal saß er in einem Gefängnis des Assad-Regimes und wurde gefoltert. 2014 verließ er das Land und floh nach Deutschland. Am Mittwoch sagte Mukdad vor dem Oberlandesgericht Koblenz im Al-Khatib-Prozess aus.
Der Al-Khatib-Prozess: Seit April müssen sich vor dem Oberlandesgericht Koblenz zwei Syrer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten. Anwar R., der Hauptangeklagte, soll beim syrischen Geheimdienst in der Abteilung 251 die Unterabteilung Ermittlungen geleitet haben, der das berüchtigte Gefängnis al-Khatib in Damaskus unterstellt war. Die Bundesanwaltschaft wirft Anwar R. Mittäterschaft zu 58-fachen Mord und Folter in mindestens 4.000 Fällen vor. In seiner Einlassung räumt R. ein, dass er Wassim Mukdad verhört hat.
Was passierte bei den Vernehmungen?
In al-Khatib wurde ich drei Mal vernommen. Ich musste mich mit verbundenen Augen auf den Bauch legen und die Knie anwinkeln. Wenn dem Verhörer die Antworten nicht gefielen, habe ich Schläge auf die Fußsohlen gekriegt, auch auf die Fersen und die Unter- und Oberschenkel. Ich glaube, mit einem Kabel und einem Plastikschlauch. Sie wussten genau, wie sie maximalen Schmerz verursachen. Ich habe versucht, meine Aussage zu variieren oder Dinge zu berichten, die schon bekannt waren. Aber das war schwierig. Außerdem durften wir die ganze Zeit keinen Kontakt zur Außenwelt haben.
Wusste Ihre Familie, wussten Ihre Freunde denn, wo Sie sind?
Nein, das wusste keiner. Ich selbst wusste erst auch nicht, wo ich war. Es war wie in einer Schwerelosigkeit. Niemand wusste, was passiert. Vielleicht werde ich morgen freigelassen, vielleicht sterbe ich.
Was haben Sie befürchtet, was passieren könnte?
Leider alles Mögliche. Es gibt ja Berichte von sexueller Gewalt, viele Leute wurden ermordet. Das hätte mir auch passieren können. Außerdem hatte ich Angst um meine Hände.
Warum?
Ich bin Musiker, aber das habe ich die ganze Zeit nicht gesagt, sondern nur von meinem Medizinstudium gesprochen, damit sie nicht extra auf meine Hände schlagen. Ich dachte: Sollen sie mir die Füße zerschlagen. Aber nicht die Hände, dann kann ich keine Musik mehr machen. Bei den Verhören habe ich meine Hände unter die Brust gelegt. Erst, um meine Rippen zu schützen, dann, um meine Hände vor den Schlägen zu verstecken.
Warum sind Sie misshandelt worden?
Das war systematische Folter, andere Inhaftierte haben Ähnliches erlebt. Ich glaube, dass es um Strafe ging, weil wir uns getraut haben, gegen Bashar al-Assad etwas zu sagen. Das Regime hat auf die Proteste für Freiheit, Demokratie, Pluralismus und Zivilgesellschaft gleich mit großer Gewalt reagiert. Das sollte Angst verursachen und das Land unter Kontrolle halten.
Leiden Sie noch an diesen Erlebnissen – körperlich, psychisch?
Meine kaputten Rippen sind die einzige körperliche Nachwirkung. Aber psychisch, ja. Das ist eine schlechte Erfahrung. Und es ist ja mehrmals passiert. Ich wurde insgesamt dreimal vom Regime inhaftiert und einmal hat al-Nusra mich gekidnappt. Deshalb habe ich Syrien 2016 verlassen.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Sie sind Musiker, Sie spielen Oud, die arabische Laute. Sie haben in Deutschland etwa für das Gorki-Theater und die Komische Oper in Berlin gearbeitet. Was bedeutet Ihre Erfahrung in al-Khatib für Ihre Arbeit, Ihre Musik?
Musik benutzt Dissonanz und Konsonanz als Ausdrucksmittel. Ich glaube, dass diese schwierigen Erfahrungen in die Dissonanzen mit einfließen, wenn ich sie spiele. Aber glücklicherweise gibt es nicht nur das. Gerade allerdings arbeite ich an einem Stück, dass auch das Thema Folter aufnimmt.
Welches?
„Reich des Todes“, ein neues Stück am Hamburger Schauspielhaus. Es geht um den Krieg der USA im Irak und Folterfälle in Abu Ghraib. Ich bin Teil des fünfköpfigen Musikerensembles. Ich freue mich, diese Erfahrungen nicht nur in diesem Prozess aufzuarbeiten, sondern gleichzeitig auch künstlerisch. Nur juristisch wäre vielleicht zu hart für mich. Musik war immer Teil meiner Selbstheilung. Dass ich das mit Hilfe anderer auf die Bühne bringen kann, hilft mir selbst, diese Wunden zu heilen. Und dass ich anderen davon erzählen kann, hilft auch. Folter darf nicht akzeptiert werden. Das sagen wir vor Gericht und auch auf der Bühne.
In Gerichtssaal saß der Hauptangeklagte Anwar R. bei Ihrer Aussage schräg hinter Ihnen. Wie ist das, ihn heute so zu sehen?
Ich weiß nicht, ob er mein Vernehmer war, ich konnte ihn damals ja nicht sehen. Heute haben sich unsere Blicke gekreuzt; ich habe ihn gegrüßt. Ich habe ja keinen Hass auf ihn, aber ich habe ein Recht. Er hat gegen meine Menschenrechte verstoßen und deshalb bin ich nun Nebenkläger. Er ist ein Täter und dafür soll er bestraft werden. Zum ersten Mal habe ich ihn bei der Prozesseröffnung im April gesehen, das war nicht leicht. Zum ersten Mal hatte die Gewalt, die mir angetan wurde, eine Verkörperung.
Warum ist Ihnen dieser Prozess so wichtig?
Es ist ein Pilotprozess, ein erster Schritt auf einem langen Weg für Gerechtigkeit für Opfer, für Verstorbene, für die, die schon entlassen wurden, und die, die immer noch im Gefängnis sind. Es ist ein Prozess, der diesen Menschen ihre Würde zurückgeben soll.
Im Prozess wird immer wieder deutlich, dass Zeugen Angst haben – um sich selbst, um ihre Familie in Syrien. Haben Sie keine Angst?
Ja, ich mache mir auch Sorgen. Aber dieser Prozess ist mir wichtiger. Dieser Prozess ist ein Signal. So viele haben Angst, von ihren Erfahrungen zu berichten. Ich muss auch ihre Stimme sein.
Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie ausgesagt haben?
Das war Zufall. Ich war beim Grillen in Kreuzberg, im Görlitzer Park. Und da war eine Frau aus Syrien, die ich damals nicht kannte. Sie erzählte mir, dass sie beim ECCHR arbeitet, dem European Center for Constitutional and Human Rights. Und dass sie an mehreren rechtlichen Interventionen gegen Folter in Syrien arbeitet, die größte betreffe al-Khatib. Ich sagte: Ich war 2011 in al-Khatib. Und als sie fragte, ob ich aussagen würde, sagte ich sofort Ja.
In seiner Einlassung, die Anwar R. hat verlesen lassen, bestreitet er alle Anklagepunkte. Folter habe es in seinem Bereich nicht gegeben und ohnehin sei er entmachtet worden. Wie war es für Sie, als Sie davon erfahren haben?
Ich habe davon erst heute gehört, vor meiner Aussage bin ich von meinen Anwälten nur sehr grob über das Verfahren informiert worden, damit ich nicht beeinflusst werde. Erst heute nach meiner Aussage haben Sie mir das erzählt. Und ich muss sagen: Sein Präsident Bashar al-Assad hat dasselbe gesagt: Dass es keine Folter gibt. Aber sie lügen.
Anwar R. hat dem Assad-Regime lange gedient, ist dann aber desertiert und hat mit der Opposition zusammengearbeitet. Beeinflusst das Ihren Blick auf ihn?
Kaum. Wenn man ein Verbrechen begeht, muss man dafür bezahlen. Egal was danach passiert. Das löscht ja nicht die Verantwortung und die Schuld.
Wäre er nicht desertiert, wäre er nicht geflohen, stünde er wohl heute nicht in Deutschland vor Gericht.
Das könnte sein und das ist problematisch. Aber Russland und China blockieren alle anderen Möglichkeiten im Weltsicherheitsrat. Deshalb ist der Prozess hier notwendig und richtig. Es ist, wie gesagt, der erste, aber hoffentlich nicht der letzte Prozess. Das ist mir sehr, sehr wichtig. Wir reden ja nicht nur über die Vergangenheit. Während wir hier reden, werden in Syrien Menschen gefoltert. Jetzt, in diesem Moment.
Sie flohen 2014 aus Syrien und sind über die Türkei und Griechenland nach Deutschland gekommen. Es ist nicht Ihr erster Aufenthalt in Deutschland.
Das stimmt, ich bin in Leipzig geboren, mein Vater hat hier seinen Doktor in Landwirtschaft gemacht. Elf Monate vor dem Mauerfall sind meine Eltern mit mir und meinem Bruder zurück nach Syrien geflogen. Ich bin als Flüchtling in mein Geburtsland zurückgekehrt.
Wünschen Sie sich, irgendwann nach Syrien zurückzukehren?
Ja, das ist ein Wunsch. Aber dafür müsste die Diktatur verschwinden, auf jeden Fall. Und es müsste die Möglichkeit für die Gesellschaft geben, sich auszudrücken. Und ich als Künstler brauche einen Freiheitsraum, in dem ich mich bewegen kann. Wenn es den nicht gibt, habe ich dort keinen Platz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los