Syrien-Verbrechen vor deutschem Gericht: Anklage gegen mutmaßlichen Folterer

Die Bundesanwaltschaft wirft dem Mediziner vor, für das syrische Regime gefoltert zu haben. 2015 kam der Mann nach Deutschland, er arbeitete hier als Arzt.

Verrotestes Gitter und Stacheldraht

Erst Gericht, dann Gefängnis? Die Bundesanwaltschaft erhebt Anlage gegen mutmaßlichen Folterer Foto: Jonsso/Mauritius

BERLIN taz | In Deutschland soll bald ein zweiter Prozess wegen Verbrechen des Regimes von Diktator Baschar al-Assad in Syrien beginnen. Wie der Generalbundesanwalt am Mittwoch mitteilte, wurde am 15. Juli vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Anklage gegen den syrischen Arzt Alaa M. unter dem Völkerstrafgesetzbuch erhoben. „Er soll in 18 Fällen Menschen gefoltert und einen dieser Menschen anschließend getötet haben“, so die Bundesanwaltschaft.

Alaa M. war demnach zwischen April 2011 und Ende 2012 als Assistenzarzt in Militärkrankenhäusern der Städte Homs und Damaskus in Syrien tätig, außerdem in einem Gefängnis des Militärgeheimdienstes in Homs.

„Im Sommer 2011 übergoss Alaa M. in der Notaufnahme des Militärkrankenhauses Nr. 608 in Homs die Genitalien eines 14 oder 15 Jahre alten Jungen mit Alkohol und entzündete die Stelle mit einem Feuerzeug. Auf dieselbe Weise misshandelte der Angeschuldigte im Juli oder August 2011 einen in die Notaufnahme des Militärkrankenhauses eingelieferten Mann“, so die Zusammenfassung der Anklage durch den Generalbundesanwalt. „Im Juli oder August 2012 trat Alaa M. im Militärkrankenhaus Nr. 608 in Homs einem Gefangenen mit Stiefeln auf dessen vereiterte Wunde am Ellenbogen, aus der daraufhin Blut und Eiter austraten.

Sodann begoss der Angeschuldigte die Wunde mit einem alkoholhaltigen Desinfektionsmittel und entzündete dieses. Anschließend trat der Angeschuldigte dem Gefangenen in das Gesicht (…) Wenige Tage danach schlug und trat Alaa M. auf mehrere in einer Zelle des Militärkrankenhauses Nr. 608 in Homs untergebrachte Gefangene ein. Weil sich ein Häftling durch Tritte wehrte, prügelte Alaa M. mit einem Schlagstock auf ihn ein und fixierte ihn sodann mit Hilfe eines Krankenpflegers am Boden. Kurze Zeit später verabreichte der Angeschuldigte dem Häftling eine Injektion mit einer tödlich wirkenden Substanz in den Oberarm, an der er innerhalb weniger Minuten verstarb.“

Alaa M. praktizierte als Arzt in Göttingen und Bad Wildungen

Alaa M. reiste Mitte 2015 nach Deutschland – nicht als Flüchtling, sondern mit einem von der deutschen Botschaft in Libanons Hauptstadt Beirut ausgestellten Arbeitsvisum, wie der Spiegel berichtete. Den Recherchen zufolge praktizierte der Arzt danach in Göttingen und Bad Wildungen und qualifizierte sich als Orthopäde. Am 19. Juni 2020 wurde er festgenommen, nachdem ehemalige Kollegen ihn in Deutschland belastet hatten. Er sitzt seit dem 20. Juni in Untersuchungshaft.

Einen Termin für die Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Alaa M. wird es erst mit der Zulassung der Anklage geben, also nach Prüfung der Anklageschrift durch das Gericht. Möglicherweise wird der Prozess somit erst beginnen, wenn der erste deutsche Prozess gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher des Assad-Regimes, der seit April 2020 in Koblenz läuft, zu Ende gegangen ist. Anders als den beiden Koblenzer Angeklagten wird Alaa M. vorgeworfen, persönlich gefoltert zu haben.

In Koblenz wurde der Angeklagte Eyad A. im Februar wegen Beihilfe zu Folter und schwerwiegender Freiheitsberaubung in 30 Fällen zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Urteil gegen den Hauptangeklagten Anwar R., angeklagt wegen 58-fachen Mordes und Folter in mindestens 4.000 Fällen, Vergewaltigung und sexueller Nötigung, wird im Herbst erwartet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.