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Suizide nehmen zuLieber tot als im Pflegeheim

Die Suizidraten steigen leicht an. Der wachsende Anteil Älterer und die Medien, die das Leben in Heimen oft negativ darstellen, sind dafür mitverantwortlich.

Besonders ältere Männer sind stark suizidgefährdet Bild: dpa

BERLIN taz | Die Suizidraten in Deutschland sind nach einem deutlichen Rückgang in den vergangenen Jahrzehnten seit dem Jahre 2008 wieder beständig angestiegen. Zum Teil sei dies auf die Alterung in der Bevölkerung zurückzuführen, aber auch der mediale Umgang mit Selbsttötung und Pflegebedürftigkeit spielen eine große Rolle.

Dies erklärte der Vorsitzende der Initiative „Nationales Suizidpräventionsprogramm für Deutschland“, Armin Schmidtke, am Montag in Berlin anlässlich des Welttages der Suizidprävention am 10. September.

Im Jahr 2011, neuere Zahlen liegen nicht vor, nahmen sich in Deutschland 10.144 Menschen das Leben, davon waren 7.646 Männer. Besonders im Alter steigt das Suizidrisiko deutlich an: Nach der von Schmidtke vorgelegten Statistik nehmen sich bei den über 90-jährigen Männern fast 70 von 100.000 das Leben.

Bei den Frauen im gleichen Alter liegt die Ziffer bei 20. Unter den 40-jährigen Männern sterben nur 20 von 100.000 durch die eigene Hand. Diese Anteile sind in den vergangenen Jahren zwar nicht gestiegen, aber die Tatsache, dass in der Bevölkerung mehr Ältere und damit mehr Suizidgefährdete leben, führt am Ende dazu, dass die absolute Zahl der Menschen, die sich selbst töten, steigt.

Besonders ältere Männer sind gefährdet

Dass besonders ältere Männer stark suizidgefährdet sind, liegt nach Meinung von Barbara Schneider, Chefärztin an der LVR-Klinik in Köln, auch daran, dass Männer es tendenziell eher nicht zulassen könnten, Schwäche zu zeigen. Auch seien Frauen eher in der Lage, sich ein soziales Netz aufzubauen.

Die Berichterstattung in den Medien, wonach das Leben in einem Pflegeheim oft sehr negativ dargestellt werde, führe zudem dazu, dass sich Ältere sehr vor der Pflegebedürftigkeit fürchteten, sagte Schmidtke.

Hinzu kämen Medienberichte über die Suizide Prominenter, die leider oft Nachahmungen nach sich zögen, sagte Schmidtke. So bringen sich in Deutschland im Schnitt etwa zwei bis drei Personen pro Tag auf den Gleisen um.

Nach der Selbsttötung des Fußballtorwarts Robert Enke 2009 mit anschließender großer Trauerfeier stieg die Zahl der Schienensuizide auf bis zu zwölf pro Tag an, berichtete Schmidtke.

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15 Kommentare

 / 
  • MT
    my tortured eyes

    ich bin pfleger und sehe tag für tag was mich im alter erwartet, sollte ich selbst einmal in einem pflegeheim enden. die entscheidung im alter suizid zu begehen bevor ich unter den selben umständen leben muss wie viele heimbewohner ist die einzige logische und menschenwürdige konsequenz die ich für mich selber ziehen kann

  • W
    W.Dillenburger

    W.Dillenburger

    Mich irritiert die Aussage "und die Medien, die das Leben in Heimen oft negativ darstellen".

    Wir sollten uns zwei Fragen stellen:

    1. Wer profitiert davon?

    2. Wer beeinflusst die aktuellen Zustände?

     

    In 1. wird man diejenigen finden, die man in 2. identifiziert hat, und von 1. monetär beeinflusst wurden.

     

    Unter dem Oberbegriff Altenheim stellt man sich oft über 80-jährige vor, die keine Zähne mehr haben, mit Schlafkittel und dem Rollator 2 Meter pro Minute durch Gänge schlurfen.

    Das geht an der Realität kilometerweit vorbei.

    Ein nicht unerheblicher Anteil der Bewohner von Altenpflegeheimen sind die Nachwehen extensiven Alkoholkonsums und darauf aufbauender Demenz im Alter von 50+. Körperliche Gebrechen haben diese Mitmenschen oft keine.

     

    Schuld an den Misständen in Altenpflegeheimen sind in erster Linie die entscheidenden Köpfe der Politik, das sind die unter Punkt 2., die mangels Fachwissen versuchen, die Gesundheit von Individuen über einen Kamm geschoren in Tabellen zu erfassen, Mittelwerte zu ziehen, diese zu kürzen und Ausreißer zu streichen.

    Wer verstanden hat, daß der Mensch sich nicht einfach in Kategorien einteilen lässt, daß es, solange wir noch einen Funken Moral haben, nie zwei völlig identische Menschen geben wird, der wird einsehen können, daß ein Gesundheitssystem wie wir es haben, keinen Sinn macht, daß es die Misstände verschlimmern wird.

  • WV
    Wenzel v. Mührhausen

    Es kann nicht darum gehen, dass sich die Alten aus den verschiedensten Gründen wie berichtet selbst umbringen.

    Es muss darum gehen, sie im Alter auf einer würdigen und qualitativ guten Verständigungsebene zusammen zu bringen, und ihnen diese Perspektive mit Gewissheit anzubieten.

    Dazu gehörte aber eine altenverträgliche Körpermedizin (anstelle einer chemischen Ruhigstellung), eine menschenfreundliche räumliche Unterbringung (die Nähe und Distanz nach Wahl zulassen), eine bedarfsgerechte, vollwertige und nährstoffreiche Ernährung (anstelle des gemanschten Grossküchenfrasses), sowie ein motivierendes, warmherziges soziales Umfeld, das Interaktionsmöglichkeiten schafft.

    Nichts Besonderes eigentlich, wenn man es mit den zivilisatorischen Ansprüchen "Nichtalter" an ihr Leben vergleicht.

    Ich bin sicher, dass das alles auch im gesamtgesellschaftlichenMassstab mit etwas gutem Willen und langem Atem machbar sein wird. Nicht von dem widerlichen Behördenungeist, den man heute im Altenbusiness spürt, aber von einer Generation Engagierter mit klarem ethischem Menschenbild.

  • T
    Trixy

    Ich verstehe nicht warum man alle Menschen dazu zwingen muss so lange zu leben wie es irgendwie noch geht. Ich finde man sollte aufhören dürfen, wenn es am schönsten ist und man die Entscheidung noch treffen kann. Ich hab keine Lust Jahre lang bettlägerig in einem Altenheim vor mich hin zu vergammeln bis ich endlich erlöst werde. Dann geh ich vorher lieber zum sterben in den Wald.

  • S
    Starost

    Schuld daran, dass sich Kinder nicht mehr für die Pflege ihrer Eltern verantwortlich fühlen (oder dass diese Kinder überhaupt nicht geboren wurden) ist die genderlinke "Dekonstruktion" der Gesellschaft, im Kern der klassischen Familien, insbesondere der Großfamilien, und die Bekämpfung eines vermeintlich zu bekämpfenden "konservativen" Wertekanons.

  • G
    gast

    Die Zahlen werden mit Sicherheit weiter steigen.

     

    Und der Bahn wäre mal zu empfehlen, jeden Suizid auf den Gleisen auch mit allen Folgen für den übrigen Zugverkehr anzusagen. Es dürften pro Suizid einige dutzend bis hundert Züge betroffen sein. Man könnte fast meinen, die Bahn kann infolge dieser Ereignisse gar nicht pünktlich sein. Autofahrer an den Übergängen kommen ja auch noch dazu.

     

    Tatsachen wegzuschweigen bringt selten was.

  • M
    Masouki

    Teil 2

     

    - Gerade viele alte Männer sind sehr einsam. Wer einsam ist hat meist wenig, was ihn am Leben hält. ABER die meisten dieser einsamen Männer haben Kinder und Enkelkinder. Nur wo sind die? Auf jeden Fall nicht da, wo sie gebraucht würden.

     

    - Alt und krank sein ist NICHT schön! Jeder Mensch, der sich umbringt nur um nicht ins Heim zu müssen ist zuviel und eine Schande für unsere Gesellschaft!

    ABER es ist mE auch ein Menschenrecht, seinem Leben selbst ein Ende zu setzen, wenn man/frau es nicht mehr erträgt. Jeder Mensch hat das Recht zu sagen: Ich will und kann nicht mehr weiter dahin siechen.

     

    P.S. Als ich mit 23 Jahren halbseitig gelähmt im Rollstuhl saß habe ich noch keinen Gedanken an Selbstmord verschwendet. Heute 12 Jahre später mit einem immer kränker werdenden Körper, dank Arbeitsunfähigkeit & Hartz4 von Leben in immer größeren Teilen ausgeschlossen, bin ich auch noch nicht so weit.

    Aber ich werde mit Sicherheit abwarten, bis ich irgenwann jämmerlich verrecke. Wenn mir das Leben zur Qual wird und mein kranker Körper nur noch Leid verusacht - dann ist's vorbei.

  • M
    Masouki

    Teil 1

    Obwohl ich den meisten hier zustimme gebe ich doch einige Dinge zu bedenken:

     

    @ Sabine: Sie haben Recht, wer sich um nix kümmert wird irgendwann da untergebracht, wo grad Platz ist. Genauso wie ich andere Lebensabschnitte plane, muss eben auch das Altwerden geplant werden. Da reicht übrigens für's erste schon der Umzug in 'ne barrierefreie Wohnung & gründliche Infos über Pflege/Hilfen.

     

    @ Wenzel: Der Verlust der Selbständigkeit und das Angewiesen-Sein auf Hilfe fremder Leute ist für jeden Menschen ein schreckliches bis traumatisches Erlebnis. Für junge Menschen ist dies etwas leichter zu ertragen, da sie noch viel Lebenszeit vor sich haben und häufig die Perspektive auf Besserung, für die es sich zu kämpfen lohnt. Für alte Menschen ist von Anfang an klar, dass dies der endgültige Anfang vom Ende ist. - Kombiniert mit der Aussicht, vllt stundenlang in der eigenen Sch... zu liegen ein tödlicher Cocktail.

  • S
    Sabine

    Ich würde auch nicht einem sogennaten Pflegeheim alt bzw. am Leben erhalten werden wollen. Ich würde mich dagegen wehren, zwangsuntergebracht zu werden, wie es in diesem Land Realität ist.

    Lieber würde ich in meiner Wohnung verhungern.

    Eine Alternative zu den Heimen sind WGs für alte Menschen. Doch ein solches Leben muss man selbst planen. Wenn man 75 ist, krnak und einsam, ist es zu spät, da muss nur der Hausarzt kommen und ein Alleinwohnen in Frage stellen und schwupps befindet man sich in einem Heim außerhalb des Viertels, in dem man gelebt hat und vermutlich noch in einem 2-Bett-Zimmer, in dem die andere Bewohnerin einen annervt,

    Ich hoffe, ich werde nicht so alt ...

  • M
    Müller

    Die Zustände in den Heimen sind erschreckend.Wer auf Pflege angewiesen ist und noch Herr seiner Sinne,für den ist einen Wechsel von der häuslichen Pflege zur Pflege im Heim eine Katastrophe.Da wollen die Meisten lieber ihren endgültigen Frieden,als in diese Maschinerie eingespannt zu werden.

    Mir ginge es da nicht anders.

  • AU
    Andreas Urstadt

    Nach Aerzteblatt sind 20% der Suizide wg Mobbing. Das sind nach Aerzteblatt pro Jahr 3000-5000 Suizide wg Mobbing. Wobei eine Dunkelziffer dazu kommt, Statistiken von NGO s reden von ueber 17 000 Suiziden pro Jahr, davon 5000 wg Mobbing.

     

    In der EU Statistik mobben die Sozialberufler am meisten. Ergo Fakten, kein Medienhype.

     

    Die Forschung ist katastrofal, da geht viel unerkannt durch und das muesste korrigiert werden.

    • @Andreas Urstadt:

      Da stimmt aber etwas nicht.



      Es gibt in Deutschland rund 9.600-10.000 Suizide (als es nach Enke rund 10.000 waren, klapperten die Suizidologen schon wegen gefährlicher Berichtersattung O_o). In den 80ern war es pro 100.000 Einwohner mal um das Dreifache.



      Wenn aber 4000 ein Fünftel wäre, gäbe es rund 20.000 Suizide. Das stimmt nicht.



      Fake News! ;-) .

  • T
    topotoby

    "Die Berichterstattung in den Medien, wonach das Leben in einem Pflegeheim oft sehr negativ dargestellt werde, führe zudem dazu, dass sich Ältere sehr vor der Pflegebedürftigkeit fürchteten"..

     

    Was soll das? Nicht die Berichterstattung ist das Problem, sondern die menschenverachtenden Zusände in den duetschen "Pflege"-heimen, die letztlich nichts anders sind als Gefängnis, wo Sie dir jede Würde nehmen und vorschreiben, wann du zu essen hast (wenn es überhaupt was gibt), wann du aufzustehen und zu schlafen hast, wenn du nicht spurst, wird dein Wille mit Medikamenten. Ich aheb Erfahrungen mit Angehörigen in Pflegeheimen und kann nur sagen jeder Suizid ist besser also ein Tag in einem solchen Knast!

  • WV
    Wenzel v. Mührhausen

    Aufgrund von Erfahrungen im familiären Umfeld halte ich es für zutreffend, dass sich insbesondere alte Männer vor der Pflegebedürftigkeit fürchten und deswegen den Freitod suchen, solange dies noch geht.

    Ebenso spielt die Rezeption einschlägiger angsterzeugender Printmedien (na, wer weiß jetzt nicht, was gemeint ist ?) mit ihrer Skandalisierungsvermarktung eine kausale Rolle. Der seelische Schaden bei den Betroffenen ist direkt wahrnehmbar.

     

    Wer die oft grauenvollen Zustände in der Altenpflege kennt, weiss, dass die Furcht vor dem hilflos Ausgeliefertsein, zumal bei Krankheit, im Alter wohlbegründet ist. Der Kontrast zu dem vorher weitgehend selbstbestimmt geführten Leben ist einfach zu gross. Niemand will sich wie Müll fühlen müssen, sondern als ganzer Mensch angenommen werden. Das leisten jedoch nur sehr wenige Pflegeeinrichtungen in zufriedenstellender Form.

     

    Der massenhafte Selbstmord alter Männer quer durchs Land ist also eine schreiende Kritik an der Altenaufbewahrung und ihrem Bild in der "christlichen" Gesellschaft. Die Anstaltspflege muss sich fragen lassen, ob sie eigentlich nur für diejenigen da ist, die zu feige waren, sich vorher umzubringen, und deshalb auch die Pflegedefizite hinzunehmen bereit oder gezwungen sind.

  • R
    Ratz-TAZ!

    Die Suizide Älterer nehmen seit einigen Jahren beständig zu!

    Nun ist es aber Tatsache, dass die Pflege in Heimen für die Alten

    eine fortgesetzte Demütigung, Erniedrigung, Entwürdigung und sehr

    oft auch brutale Gewalterfahrung ist.

    Es gilt der Ausspruch eines engagierten Altenpflegers, der anonym bleiben will: ALTERSHEIME SIND GEWALTEINRICHTUNGEN!!!

    Es ist bedauerlich, dass Frau Dribbusch in ihrem Artikel den Eindruck erwecken will, dass die negative Darstellung von Alten- und Pflegeheimen per se falsch sei.

    Soll sie doch mal ein Praktikum in einem solchen Heim machen - da gehen ihr dann hoffentlich die Augen auf!

     

    Gruß

    Ratz-TAZ