Stuttgart 21 und der Plan B der Gegner: Den Pfennig noch mal umdrehen
Die Kritiker des Bahnhofprojekts sind sich jetzt sicher: Es wird scheitern. Nun haben sie eine Alternative zu den bisherigen Plänen vorgelegt.
Ist Stuttgart 21 (S 21) noch zu stoppen? Am Freitag hat das Aktionsbündnis gegen den unterirdischen Bahnhof ein neues Konzept vorgelegt. „Umstieg 21“ heißt es und kommt zum richtigen Zeitpunkt. Denn im Bahnvorstand kriselt es, der Bundesrechnungshof legt Horrorzahlen für die Kosten vor. Bund, Land und Stadt wollen aber nicht mehr bezahlen. Das ganze Bauvorhaben droht unwirtschaftlich zu werden. Antworten auf ein paar der wichtigsten Fragen.
Es wird doch schon gebaut, kann man das jetzt noch stoppen?
Tatsächlich sind schon metertiefe Baugruben vor dem Bahnhof ausgehoben. Die Seitenflügel des historischen Bonatzbaus sind abgerissen, und auch mit Tunnelbohrungen wurde begonnen. Doch nach Einschätzung von Experten ist das Projekt trotzdem noch zu stoppen. Alle bisherigen Baumaßnahmen könnten in das Umstieg-Konzept integriert werden.
Aber 2011 gab es in Baden-Württemberg doch eine Volksabstimmung, bei der sich die Befürworter von Stuttgart 21 durchgesetzt haben.
Stimmt, sie ging mit 58,9 Prozent relativ klar für Stuttgart 21 aus. Die S-21-Gegner haben nicht einmal in Stuttgart selbst die Mehrheit hinter sich gebracht. Allerdings haben die Bürger streng genommen nur darüber abgestimmt, ob das Land seinen zugesagten Anteil von 930,6 Millionen Euro noch zurückzieht. Damit wäre Stuttgart 21 damals tot gewesen. Wenn jetzt die Bahn oder der Bund das Projekt stoppen, widerspräche das der Volksabstimmung nicht.
Warum sollte man denn aussteigen?
Vor allem wegen der Kosten. Bei der Volksabstimmung rechnete die Bahn noch mit 4,5 Milliarden, gab dann 2013 eine Kostensteigerung auf 6,5 Milliarden Euro zu. Der Bundesrechnungshof ist Anfang Juli intern zu dem Ergebnis gekommen, das Bahnhofsprojekt könnte bis zu 10 Milliarden kosten. Diese Zahl entspricht genau der Kalkulation der Gegner. Ein Umstieg zu einem modernen Kopfbahnhof wäre nach Schätzungen des Aktionsbündnisses dagegen um mindestens 6 Milliarden Euro günstiger. Außerdem bleiben natürlich die Einwände gegen den zweifelhaften Sinn. Der unterirdische Bahnhof ist je nach Sicht der Gegner oder Befürworter nicht oder nur wenig leistungsfähiger als der jetzige Bahnhof. Durch die Reduzierung der Gleise werden in Stoßzeiten sogar Engpässe erwartet.
10 Milliarden also. Wer müsste die Mehrkosten bezahlen? Die Bürger?
Über diese Frage streitet sich die Bahn jetzt schon mit Stadt, Land und Bund. Am Ende wären es wahrscheinlich die Bürger. Der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, und sein Verkehrsminister Hermann haben immer betont, dass das Land über die vereinbarten 930,6 Millionen hinaus nicht bezahlt. Für den Fall, dass die Kosten doch steigen, gibt es im Vertrag allerdings sogenannte Sprechklauseln. Das heißt: Über die Kostenverteilung wird wieder verhandelt.
Das Land hat in diesen Verhandlungen allerdings wenig Spielraum. Im Koalitionsvertrag haben sich CDU und Grüne festgelegt, auch bei höheren Kosten nicht mehr zu zahlen. Die Stadt Stuttgart und der Bund weigern sich ebenso einzuspringen. Abgesehen vom politischen Willen: Kostet das Projekt tatsächlich 10 Milliarden, wäre die Finanzierung von mehr als 3 Milliarden Euro offen. Diese Summe würde jeden Landeshaushalt sprengen. Deshalb würde man sich dann wohl vor Gerichten streiten. Bisher leugnet die Bahn allerdings eine weitere Kostenexplosion. Sie gibt nur zu, dass sie lange vor Bauende die Obergrenze von 6,5 Milliarden erreicht hat. Offiziell heißt es: Weitere Kostensteigerungen sollen nun durch Einsparungen kompensiert werden.
Welchen Ausweg aus diesem Milliardengrab schlagen die S-21-Gegner vor?
Sie wollen die bisherigen Baumaßnahmen in ihr Konzept integrieren: Aus der Baugrube vor dem Bahnhof entstünde ein Busbahnhof und ein Parkhaus. Der bereits zerstörte Schlosspark würde wiederhergestellt, und aus dieser Baugrube ein Amphitheater, das einen bereits abgerissenen Veranstaltungspavillon im Park ersetzen könnte.
Welche Vorteile hätte ein Ausstieg?
Wenn man dem Aktionsbündnis glaubt: einen moderneren und leistungsfähigeren Kopfbahnhof mit neu gestalteten Seitenflügeln. Und das für weniger als die Hälfte des Geldes. Dazu eine leistungsfähigere Streckenführung für den Regionalverkehr. Auf Tunnelbohrungen unter dem Stadtgebiet, die als riskant gelten, könnte verzichtet werden. Zudem sieht das alternative Konzept vor, dass viel schneller Wohnraum geschaffen werden kann. Das sogenannte C-Areal des Bahnhofs mit 12,5 Hektar könnte praktisch sofort bebaut werden. Beim Tiefbahnhof müsste man noch jahrelang warten.
Stuttgart 21 verspricht, dass man schneller von Paris nach Bratislava kommt. Wäre das beim neuen Kopfbahnhof auch so?
Die Verkürzung der Fahrzeit hat nichts mit dem Stuttgarter Bahnhof zu tun. Sondern mit der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. Die ist weitgehend unumstritten und auch im Umstieg-21-Konzept vorgesehen. Aus Sicht der Stuttgart-21-Gegner wäre der Kopfbahnhof mit seinen 16 sanierten Gleisen besser in der Lage, den Bahnverkehr auch zu Stoßzeiten abzufertigen. S-Bahn und Regionalzüge würden in den Untergrund wandern. Dass ein hoch frequentierter Kopfbahnhof gut funktionieren kann, sieht man etwa in Frankfurt am Main.
Hat das Ausstiegskonzept denn Hand und Fuß?
Die Kompetenz des Aktionsbündnis wurde schon bei den Schlichtungsverhandlungen mit Heiner Geisler anerkannt. Auch von der Gegenseite. Die Arbeitsgemeinschaft „Umstieg 21“besteht aus Architekten, Ingenieuren und Verkehrsplanern. An einem Konzept für die Modernisierung des Kopfbahnhofs arbeiten diese Leute schon seit Jahren.
Warum machen wir es dann nicht einfach?
Die Einzige, die den Ausstieg jetzt veranlassen könnten, wäre die Bahn und damit die Bundesregierung. Denn die Bahn ist ein bundeseigenes Unternehmen. Seit Volker Kefer, der als Vorstand für Stuttgart 21 zuständig war, seinen Rücktritt angekündigt hat und Bahnvorstand Rüdiger Grube als angezählt gilt, scheint Bewegung in die Gremien der Bahn zu kommen. Eine Neubewertung des Milliardenprojekts wäre also möglich. Außerdem ist auch der Aufsichtsrat angesichts der hohen Kosten unruhig geworden. Und die Kanzlerin hat sich schon nach der letzten Kostensteigerung weitere böse Überraschungen verbeten.
Wie wahrscheinlich ist ein Umstieg?
Schwer einzuschätzen. Für die Bahn und auch die Bundeskanzlerin, die Stuttgart 21 lange für ein Zukunftsprojekt gehalten hat, wäre der Umstieg ein Gesichtsverlust. Aber hey, Angela Merkel hat ja auch schon mal eine 180-Grad-Wende in der Frage der Atomenergie hingelegt. Wenn es so weit kommen sollte, wäre wohl Bahnvorstand Ronald Pofalla, der ehemaliger Chef von Merkels Kanzleramt, der Mann, der die Wende einleiten würde.
Und was sagt die Bahn?
Die ist immer noch begeistert von Stuttgart 21 und lässt mitteilen: „Der Zug für einen Umstieg bei Stuttgart 21 ist längst abgefahren.“
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