Stück „The Mushroom Queen“ in Hamburg: Im Reich der Pilze
Der Klimawandel zerstört die Idee, dass sich der Mensch die Erde Untertan machen könnte. Was kommt stattdessen? Das Schauspielhaus gibt eine Antwort.
Das Schauspielhaus in Hamburg ist das größte Sprechtheater Deutschlands, aber die Zeiten ändern sich und mit ihnen die theatralen Mittel. Im Fall des Stückes „The Mushroom Queen“ heißt das: Es gibt auf der Bühne keine gesprochene Sprache mehr. In 90 Minuten fallen zwei Sätze, mehr nicht. Alles andere, was als Text zur Erläuterung nötig ist, wird auf eine Leinwand über die Bühne projiziert.
Was es auch nicht mehr gibt in diesem Stück von Liz Ziemska, ist Psychologie. Zwar geht es darin um eine Trennung am Ende einer Ehe, aber wer da wen warum verlässt, ist nicht wichtig. Einfach deshalb, weil in „The Mushroom Queen“ nicht der Mensch im Mittelpunkt steht, sondern die Natur.
Auf der Bühne sehen wir vier Schauspieler*innen, sie liegen schlafend auf einem runden Bett: Ute Hannig und Markus John spielen das Ehepaar, Sachiko Hara und Maximilian Scheidt spielen Hunde. Die Frau erhebt sich und verabschiedet sich durch die Terrassentür in die unterirdische Welt der Pilze. Nachdem sie weg ist, betritt die Mushroom Queen den Raum: Als Doppelgängerin nimmt sie den Platz der Frau ein, ist aber ein Pilz. Dem Gatten fällt das nicht weiter auf, nur einer der Hunde merkt, dass mit Frauchen was nicht stimmt.
So schräg die Geschichte ist, so unkonventionell ist die theatrale Umsetzung: Die Schauspieler*innen bewegen sich ausschließlich in Zeitlupe, kommunizieren in aller Langsamkeit mit Gebärden und Minenspiel. Zu hören gibt es eine durchgängige Tonspur aus sphärischen Sounds; und das Krächzen, Fauchen und Sabbern der Mushroom Queen, aus deren Perspektive das Stück erzählt wird. Im Bühnenhintergrund hängt eine Leinwand mit sphärischen Visuals und verstärkt den Eindruck einer entrückten, lichtarmen Welt.
„The Mushroom Queen“. Nächste Vorstellungen: 23. + 25. 3.; 10., 14. + 15. 4., Hamburg, Deutsches Schauspielhaus/Malersaal
Regisseurin Marie Schleef möchte darstellen, wie ein Pilz einen Mann und seine zwei Hunde erlebt. Das ist auf eine anregende Art irritierend, manchmal lustig, auch mal langatmig. Vor allem aber ist es ein sehenswerter Beitrag zur sehr aktuellen Frage, wie das Theater die grundlegenden Fragen verarbeitet, welche sich durch Klimawandel und das Anthropozän stellen, das Zeitalter also, in dem der Mensch zum wesentlichen Einflussfaktor auf biologische, geologische und atmosphärische Prozesse geworden ist.
Sehr lange war ja die Idee, der Mensch möge sich die Erde Untertan machen. Dieses Konzept ist am Ende, sofern der Mensch vorhat, halbwegs kommod weiter zu leben auf dem Planeten. Zuletzt beschäftigte sich am Schauspielhaus Katie Mitchell mit dieser Frage: In ihrer Inszenierung des „Kirschgartens“ stellte sie dessen Niedergang in den Mittelpunkt, nicht mehr Tschechows ausdefinierte Figuren.
Auch in „The Mushroom Queen“ ist der Mensch weder die Hauptsache noch die treibende Kraft. Er ist nur noch ein Lebewesen, das sich mit der Natur ins Benehmen zu setzen hat, weil es von der Natur abhängt und nicht andersherum. Deshalb sollte er verstehen, wie die Natur funktioniert, um Teil des Ganzen zu werden.
Im Fall der Mushroom Queen ist die funktionale Idee die des Netzwerkes: ein weit verzweigtes Miteinander, in dem alle verbunden sind und korrespondierend leben. Auch auf der Grundlage des Recyclings, für das die Mushroom Queen selbstredend Expertin ist.
Das Leben im Pilzzeitalter ist dann kein Drama mehr. Auf der Bühne des Malersaals ist es vielmehr eine Performance, die auch einiges vom Tanz hat: Das sphärische Gluckern bekommt zum Ende hin einen Beat hinzugefügt, die Bewegungen in Zeitlupe entwickeln eine Poesie jenseits des reinen Fortkommens. Am Ende gehen dann alle ein ins Reich der Pilze und kommen so wieder zusammen mit der Frau, die dort verblieben ist. Es ist ein tröstliches Ende – zumindest aus der Perspektive eines Pilzes.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen