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Studieren in der PandemieUnis müssen digital begeistern

Kommentar von Marius Ochs

Das Studium gleicht momentan einem Abgrund. Einem Abgrund aus digitalen schwarzen Kacheln. Läuft es so weiter, könnten ganze Jahrgänge verloren gehen.

Der Hörsaal leer, alle allein zuhause, so macht Studieren keinen Spaß Foto: Olaf Döring/imago

C orona hat es geschafft: Studieren macht mir keinen Spaß mehr. Dabei geht es mir im Vergleich zu anderen Studierenden noch gut. Ich stehe kurz vor meinem Bachelor, musste mich also nicht ausgerechnet in einer Zeit, in der man die Wohnung nicht verlassen soll, an einer neuen Uni oder gar in einer neuen Stadt zurechtfinden. Das Campusleben habe ich noch kennengelernt, die Atmosphäre eines vollen Hörsaals genau wie den Geschmack von verkochtem Mensaessen, und mehr als einmal habe ich nach Seminarende auf dem Fakultätsflur noch spontane Diskussionen geführt.

Bis vor einem Jahr dachte ich selten über den Wert dieser Erfahrungen nach. Sie waren selbstverständlich. Wer aber in den letzten beiden Semestern anfing zu studieren, kennt sie nur noch aus Erzählungen oder Filmen. Und auch für das dritte digitale Semester, das am 1. April beginnt, ist Besserung nicht in Sicht.

Als Friedrich Nietzsche schrieb „Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein“, meinte er nicht den digitalen Alltag an den Hochschulen seit März 2020. Doch dort ist das Zitat erschreckend aktuell. Das Studium gleicht momentan einem Abgrund. Einem Abgrund aus digitalen schwarzen Kacheln.

Klappt man den Laptop auf, um mittels der Videokonferenz-Software Zoom an einer virtuellen Vorlesung oder einem digitalen Seminar teilzunehmen, blickt man oft in eine gähnende Leere. Kaum jemand hat seine Kamera an, zeigt freiwillig sein Gesicht. Umringt von schwarzen Kacheln ist es kaum möglich, Interesse und Begeisterung zu entwickeln. Man wird zum Zoombie.

Studieren macht arm und krank

Doch Forschung setzt Begeisterung voraus! Die Freude am Lernen und Entdecken, die Fähigkeit, im Team Thesen zu entwickeln und zu testen. Läuft es weiter wie jetzt, könnten ganze Jahrgänge potenzieller For­sche­r*in­nen verloren gehen.

Im schlimmsten Fall macht Studieren momentan arm und krank. Vielen brechen die Nebeneinkünfte weg, vor allem weil die Gastronomiejobs fehlen. Produktiver persönlicher Austausch, ob in der Referatsgruppe, in der Mensa oder beim Bier in der Kneipe, ist kaum möglich. Emotionale Entlastung durch Fachschaftspartys oder Hochschulsport fehlt (und nicht zu vergessen: eine Universität ist ja auch eine riesige analoge Datingplattform). Spazierengehen half da noch nie. Isolation und Einsamkeit belasten Studierende in ganz Deutschland. Nicht wenige ziehen sogar zurück zu ihren Eltern.

Für das Sommersemester brauchen wir deshalb dringend Strategien, um den Verlust des Campuslebens auszugleichen. Digitales Lernen muss endlich Begeisterung wecken! Möglichkeiten dazu gibt es. Digitale Plattformen wie „Gather“, bei denen man sich als Avatar in verschiedenen Themenräumen treffen kann, sind eine Alternative zu Zoom. Sie helfen beim spielerischen und gruppenbasierten Lernen. Kein Campus, aber immerhin.

Eine Bekannte von mir, die seit Herbst an der Uni Darmstadt studiert, erzählt, dass sie sich häufig mit dem Stoff allein gelassen fühlte. „Man bekommt seine Texte und das ist dann, als hätte man einfach nur Hausaufgaben. Nur kenne ich keinen meiner Kommilitonen, um mich darüber auszutauschen.“ Doch auch theoretische Texte können digital zusammen bearbeitet werden. Fragen, Gedanken und Widerspruch lassen sich problemlos in gemeinsamen Dateien teilen. Gegen das Gefühl von Isolation und Einsamkeit kann das helfen.

Am Ende bewahrte ein Dozent, der regelmäßig zu Beginn seines Seminars offene Themenrunden veranstaltet, meine Bekannte vor dem Abbruch: „So konnte man wenigstens mal hören, dass es Anderen ähnlich geht.“

Die technischen Voraussetzungen sind durchaus da, man muss sie nur nutzen – und die Studierenden auch dazu aktiv ermuntern. Gerade gegenüber Erstsemestern, die noch vom Frontalunterricht der Schulen geprägt sind, geht mit dem Lehrauftrag auch eine pädagogische Verpflichtung einher. Das macht die Situation momentan auch für die Do­zen­t*in­nen belastend. Viele scheinen sich ihrer neuen Verantwortung allerdings gar nicht bewusst zu sein. Ändert sich das nicht bald, besteht die Gefahr, dass der wissenschaftliche Nachwuchs verloren geht.

Schon jetzt gibt es vor allem in den Geisteswissenschaften Probleme. An der Universität Freiburg haben sich für den normalerweise beliebten Anglistik-Master nur drei Menschen neu immatrikuliert, in der Allgemeinen Sprachwissenschaft sogar nur einer. Fehlt aber der Forschungsnachwuchs, werden irgendwann auch Gelder gekürzt.

Stattdessen werden andere Wege immer attraktiver. In Bayern steigt die Zahl der dual Studierenden stark an. Nachvollziehbar, denn Unternehmensbindung und ein festes Ausbildungsgehalt versprechen eine Sicherheit, die viele Studiengänge nicht bieten können. Klare Berufsorientierung erscheint wichtiger denn je.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk, im praktischen Wochenendabo und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.

Klar bietet die aktuelle Situation auch Vorteile: Internationale Konferenzen sind digital leichter zugänglich und Forschungs-Communitys auf diese Weise unabhängiger von räumlichen Gegebenheiten. Das Problem dabei ist: Ein bereits vorhandenes Forschungsinteresse kann so vielleicht vertieft werden – Begeisterung beim Nachwuchs weckt das kaum.

Für einen kurzfristigen Motivationsschub könnte bereits eine Öffnungsperspektive oder eine belastbare politische Strategie sorgen. Doch darüber wird – anders als bei Baumärkten, Hotels, Open-Air-Konzerten oder Fußpflegestudios – nicht einmal öffentlich diskutiert. Ich fühle mich als Student vergessen, vernachlässigt, abgehängt.

So lange nichts passiert, liegt die Verantwortung bei den Hochschulen. Sie müssen wieder das Feuer der Wissenschaft entfachen. Sonst wird der akademische Nachwuchs in Zukunft nicht nur zahlenmäßig weniger, sondern auch schlechter werden.

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7 Kommentare

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  • Ich ärgere mich, dass derzeit vor allem die Fatalisten eine Bühne bekommen, bzw. diese nutzen.

    Ich studiere auch an der TU Darmstadt, wie es die vermeintliche Bekannte des Autoren tut. Ich mache zwei Erfahrungen: Das Studium nervt, aber vor allem dort, wo Profs, einschläfernde Videos hoch laden, deren englisches Skript sie aus dem google-translate-file voriger deutschsprachiger Vorlesungen ablesen und dann zu allem Überdruss noch verlangen zur Präsenzklausur zu kommen, während ein Teil der Kommiliton:Innen Risikopatient:Innen sind oder mit solchen leben, ein anderer im Ausland festsitzt, wegen Einreiseschwierigkeiten in der derzeitigen Situation und der Dritte Teil eindeutig sagt, wir wollen lieber eine andere Prüfungsform.

    Ich mache aber auch die andere Erfahrung besonders in den geisteswissenschaftlichen Veranstaltungen meines Studienganges. Profs sind sehr gut vorbereitet, laden eine halbe Woche for dem Live-Termin eine Vorlesung von einer halben Sitzung länge hoch. Jeder kann diese in notwendiger Zeit durcharbeiten, pausieren, wo es nötig ist, vielleicht sogar zwei mal anhören. Danach senden wir Fragen für die Live-Sendung. Ruhige Mitstudierende kommen so sicher zu Wort. Schüchterne Mitstudierende können so ihre Fragen anonym stellen. Der Prof hat so Zeit und nutzt diese, die Fragen sehr gut zu beantworten. Eine Diskussion entsteht wirklich jedes Mal, es sind nur stets andere, die daran teilnehmen. Kommiliton:Innen, die auf anderen Kontinenten leben, schaffen es, teilzunehmen. Im entsprechenden Tutorium war die Stimmung super.

    Auch außerhalb der Uni ist vieles besser: Eine Kommiliton:In erzählte mir, sie tränke weniger, mache mehr Sport, ihre Gesundheit sei besser geworden. Hiwi-Jobs haben alle die aus unserem Jahrgang suchten gefunden, selbst jene, die aus dem Ausland arbeiten müssen.

    Nicht online ist schlecht für das Studium, sondern schlechtes online ist schlecht für das Studium.

  • BITTE KEIN ZOOM!

    Leute. Jitsi. BigBlueButton. Beide sind freie Software. Beide durch akademische Institutionen gestützt oder wurzeln darin.

    Wenn Akademia mit ihren teuren Netzen (DFN, I'm looking at you!) es nicht mal auf die Reihe kriegt, auf dieser Basis was auf die Beine zu stellen (ey, kleine Vereine kriegen's hin!) -- wer denn sonst?

    Aber dann von digitaler Autonomie phantasieren. Meine Fresse.

    Bitte, liebe taz. Bleibt kritisch und macht nicht kostenlose Werbung für so etwas.

  • Ich gehöre zu den glücklichen, bei denen die Uni die digitale Lehre damals binnen kürzester Zeit mehrheitlichgut hinbekommen hat. Ich bin an der FH Aachen (nicht die "elite Uni", die andere).

    Bei uns gab es aber auch schon vor der Pandemie jedes Semester eine anonyme Evaluation der Lehrveranstaltungen, deren Ergebnis auch an das Gehalt der Lehrenden gekoppelt war. Ich denke, dass das einen massiven Einfluss auf die Qualität der Lehre hat.

    Also, wenn bei euch die Lehre so unterirdisch ist, beißt in den sauren Apfel und wechselt. Irgendwann merken die schlechten Unis, dass sie wohl was ändern müssen.

  • Es werden natürlich eine ganze Reihe von Aspekten angesprochen. Wenn man die persönlichen Aspekte mal außer Acht lässt, bleibt doch einiges festzuhalten.

    1.Die Unis und damit die Dozenten dahinter sind anscheinend in der Lage die Lehre aufrechtzuhalten. Es gibt keine so großen Probleme, wie in der Schule. Die Zahlen spiegeln auch keine große Abbruchwelle wider.

    2.Die Praxis und die unverbindlichen Diskussionsräume beim Kaffee vermisst jeder. Aber es gibt keine Alternative – es macht keinen Sinn, Cafeterias etc zu öffnen.







    3.Für die Lehre gibt es viele Beispiele, wo es hervorragend funktioniert. Aber die Erstellung einer videoanimierten engagierten Vorlesungsstunde dauert mindestens drei Tage. Und das, wenn es eine bewährte Vorlesung ist. Es fehlt Zeit für Vorlesungsreihen. Zeit, die dann für die Forschung fehlt.

    4.Forschung ist möglich. Studierende sind häufig schon in der Grundvorlesung von einem Fach angetan (wobei man dabei natürlich falsch liegen kann, wenn man es richtig kennenlernt). Die Forschungspraxis kann man nachholen. Es werden keine Jahrgänge in der Forschung fehlen. (Die Gelder sind auch nicht vom Forschungsnachwuchs abhängig).

    5.Unis und Studierende sind nicht vergessen. Es wird viel intern und extern über Öffnung / Nicht-Öffnung diskutiert. Dabei gibt es auch jede Menge altbekannte Instrumente, sprich Digitalkommission hier, e-Learning Team dort. Bei aller Kritik daran, haben doch viele Unis die entsprechenden Plattformen zu funktionsfähigen Instrumenten erweitert.

    6.Und so sind dann doch auch Austauschformen, zB in MS Teams, ohne Dozenten, nur zwischen den Studierenden möglich. Man muss es nur wollen. Und die Kamera anschalten. Bei Vorlesungen mit 100 Menschen kann man die auslassen, aber wenn sich Studierende selbst in Diskussionsgruppen sich weigern die Kamera anzuschalten …. an der Kaffeemaschine hätte man sich doch auch gesehen.

    • @fly:

      Das ist so erstaunlich fern von studentischer Lebensrealität, das es mich verblüfft. Nicht das die Tatsache überrascht, das die Perspektive der in der Anzahl größten Statusgruppe der Unis oft unterschlagen wird.

      Der Whataboutism hier ist unangebracht.



      Tatsache ist, dass die Hälfte der Dozierenden mit dem 'digital' der Digitalen Semester einfach überfordert ist. Das beinhaltet so banale und einfach zu ändernde Dinge wie Audioqualität und hürdenarme Erreichbarkeit für Rückfragen.

      Es reicht nicht, wenn es pro Studiengan und Semester ein gutes Beispiel gibt (und klar gibt es Dozier-best-practices, lieben Dank dafür!). Erfahrungsgemäß werden die Teams die da zur verbesserung der Lehrform ansprechbar sind, nur von den Dozierenden konsultiert, bei denen es eh läuft. Von Verantwortlichen der Lehrveranstaltungen hingegen, die unterirdisch sind, werden nicht nur diese Angebote nicht wahrgenommen, sondern oft genug fehlen einfach Evaluationsmöglichkeiten (oder Beschwerden werden irgnoriert und verlaufen im Sande).

      Noch ein Punkt: wenn das private Internet der Dozierenden schlecht ist, bleibt keine andere Wahl, als als gesamter Kurs Kameras auszuschalten - ich kann nicht mehr überblicken, wie viele Stunden ich auf den Neustart von Zoom Calls oder eine stabilere Verbindung warten musste.

      Es ist zuweilen zum Kotzen. Nur weil Pandemie ist und vieles zum Kotzen ist, heißt das nicht, dass so einige Dinge verbessert werden müssen.

  • Ich stimme in so vielen Punkten voll zu, teilweise liest sich dieser wichtige Beitrag noch optimistischer als es gefühlt ist.



    Technische Möglichkeiten für gute Lehre gibt es viele, aber viele Dozierenden nehmen nicht einmal unendgeltliche Hilfe ihrer Studis an, um ihr Lehrangebot auf die Platformen zu übertragen (die meist ja doch sehr viel bieten, von eigenen Foren, Wikis, kommentierbaren Videos bis Quizformaten).



    Motivation für Forschung in den verschiedenen Fachgebieten könnte wunderbar vermittelt werden - sorgt Corona doch aktuell für neue Aspekte in fast jeder Disziplin, die es zu ergründen gilt (zumindest wenn es nach den reihenweise bewilligten Forschungsfinanzierungen geht, sobal Covid drin steht).

    Frontal lehren, ohne Handout oder Folien zum nachlesen war schon vorher antiquiert, führt aber aktuell dazu, dass ganze Lehrveranstaltungen für die Tonne sind.



    Evaluationen werden Reihenweise einfach "vergessen" durchzuführen (zB an der TU Berlin, wo ironischerweise Lehrende für die Durchführunf ihrer Evaluationen verantwortlich sind). Lehrvideos des ersten Onlinesemesters werden unbearbeitet nochmal hochgeladen. Fragestunden und Austauschformate auch nach Anfrage nicht eingerichtet.

    Da wird der Status der Lehre in deutschen Hochschulen nochmal ganz ungeschönt offenbar. Solange weiterhin Drittmittel eingeworben werden, gibt es in den Augen der Präsidien anscheinend kein Problem.

    Ich habe meine Uni zu diesem Masterstudium erst einmal betreten. Das war zur Abgabe eines Stimmzettels für die Gremienwahlen. Digitalisierung ist nicht nur an Schulen noch keine Realität. Die zweiten Gremienwahlen wurden abgeblasen, weil man sich nicht in der Lage fühlte, sie mit verschärften Kontaktbeschränkungen durchzuführen.

    An der Stelle belasse ich es mal mit dem Frust, in Rage schreiben macht auch keinen Spaß. Aber Studieren aktuell nunmal leider auch kaum, und das mitten in einer Paradesituation wissenschaftlicher Notwendigkeit.

    • @Fe lix:

      Dass Gremienwahlen analog passieren, ist möglicherweise der Sicherheit von Wahlen geschuldet. Es gibt kein digitales Wahlsystem, das gleichzeitig Fälschungssicherheit und anonyme Stimmabgabe bietet. Das geht durch die vollständige Überwachung digitaler Interaktion schlicht nicht. Du kannst nie zeigen, dass nicht doch geloggt wird, wer welche Stimme abgibt.

      Bei analogen Wahlen geht das dagegen: Einfach mal die Wahlurne schütteln und die Physik übernimmt die Mischung für dich, ohne Wahlfälschung zu ermöglichen.