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Studie zum Rückgang von PopulismusDie Bilder trügen

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Botschaft der Bertelsmannstudie ist eindeutig: Die Bundestagswahl 2021 wird im Ringen um die Mitte entschieden, die gemäßigte Angebote schätzt.

Besseres „Aufregerthema“ als Migrationspolitik: Wohnungspolitik Foto: Stefan Boness/Ipon

A ls Zehntausende gegen das vermeintliche Coronaregime demonstrierten beugten sich PolitikerInnen, SozialwissenschaftlerInnen und KommentatorInnen ratlos und besorgt über diese unberechenbare Melange von Rechtsextremisten, libertären Staatsskeptikern, Exalternativen und Esoterikern. Manche sehen eine neue Pegida-Bewegung entstehen, eine Frischzellenkur für den Rechtspopulismus. Die Mitte, magischer Ort und zentraler Pfeiler der bundesdeutschen Demokratie, so die Befürchtung, driftet wie nach 2015 gefährlich ins Rechtsautoritäre ab.

Die Populismus-Studie von Bertelsmann und dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) zeigt ein anderes Bild. Populistische Einstellungen, Demokratieskepsis, Elitenfeindlichkeit und Neigung zu autoritären Lösungen, sind auf dem Rückzug. Das ist in der Coronakrise, in der die Regierungen fast überall Vertrauen gewinnen, auch wenig überraschend. Doch dieser Trend begann viel früher. Corona war der Verstärker, nicht der Grund.

Die politische Mitte um Union und FDP steht zu Recht im Verdacht, in Krisen anfällig für rechte Muster zu sein. Die Studie zeigt, dass der Populismus zwar auch bei Linkspartei- und SPD-Klientel auf dem Rückzug ist – doch ganz besonders auffällig ist dies in der Anhängerschaft von Union und Liberalen. Das ist, bei aller Vorsicht, eine gute Nachricht: Die zivile Substanz ist größer als vermutet. Das zeigt, dass wir auf Bilder wie das vom „Sturm auf den Reichstag“ misstrauischer schauen sollten und generell den Suggestionen der Aufmerksamkeitsökonomie, die auf Ereignisse scharf gestellt und für Strukturen blind ist, mit mehr Vorsicht begegnen sollten.

Für die Linkspartei, die immer mal wieder mit populistischen Bildern flirtet, hat die Studie eine ambivalente Aussage

Dass einfache Lösungen 2020 demnach eher unattraktiv erscheinen, ist direkt mit der Deaktualisierung eines Themas verkoppelt: Migration und Geflüchtete. Das ist doppelt deutbar. Pessimistisch kann man es als Zeichen lesen, wie die übersteigerte Angst vor den Flüchtlingen das kollektive Bewusstsein nach rechts verschoben hat, optimistisch als Zeichen, dass der Rechtspopulismus ohne diesen Trigger enorm an Anziehungskraft verliert.

Politisch ist die Botschaft dieser Studie eindeutig: Die Bundestagswahl 2021 wird, wenn sich dieser Trend fortsetzt, im Ringen um die Mitte entschieden, die gemäßigte Angebote schätzt, wenig empfänglich für nationalistische Muster und solide offen für Europa ist.

Für die Linkspartei, die immer mal wieder mit populistischen Bildern flirtet, hat die Studie eine ambivalente Aussage. Grobe, populistische Anti-Botschaften zünden auch in ihrer Klientel nicht mehr so richtig. Dafür ergibt sich eine neue Chance. Weil Migration als Identitätsmarker verblasst, kehre das Soziale, vor allem Wohnungspolitik „als Aufregerthema“ zurück, so die Studie. Das ist, für das linke Parteienspektrum und für den rationalen Diskurs, eine erfreuliche Aussicht.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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2 Kommentare

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  • "Wichtige Fragen sollten nicht von Parlamenten, sondern in Volksabstimmungen entschieden werden."

    Eine der acht Fragen, deren Bejahung als populistisch eingestuft wird. Wie man solch eine Aussage losgelöst betrachtet einer bestimmten politischen Strömung oder einem Hang zum Populismus zuordnen will, erschließt sich mir nicht. Von AfD-Anhängern bis hin zu Anarchist*innen wird sich Zustimmung finden, jeweils mit einem komplett verschiedenem Hintergrund, der durch diese peinlich simple Studie komplett ausgeklammert wird.

    Stattdessen sind die Fragen alle so formuliert, dass man keine Populist*in ist, solange man auf Seite der parlamentarischen Demokratie steht. Das Ergebnis ist eher ein Indiz dafür, dass der Anteil an Zentristen zugenommen hat. Diese hufeisentheoretische Lobpreisung der politischen Mitte ist beim Verfasser der Studie allerdings kaum überraschend.

    • @Kairawall:

      Die Beantwortung einer einzelnen Frage hat keine Auswirkung auf das Ergebnis. Vielmehr geben nur alle Antworten zusammen betrachtet ein Bild, das dann gegebenenfalls auf Populismus hinweist.

      Genauer gesagt: Allein der Wunsch nach mehr Volksabstimmungen ist für sich nicht populistisch. Liegt der Hintergrund des Wunsches jedoch darin, dass vom Beantwortenden ein einheitlicher Volkswille unterstellt wird oder die Annahme, dass die politischen Parteien nur Entscheidungen im Sinne einer kleinen, elitären Minderheit fällen, dann wird der Wunsch nach mehr Volkssouveränität durchaus populistisch.

      Zur Studie allgemein hat der Verfasser folgendes angemerkt:

      "(...) Deshalb gilt in unserem Populismusbarometer nur derjenige als „Populist“, der allen acht Aussagen „voll und ganz“ oder „eher“ zustimmt. Befragte, die mindestens einer Aussage „überhaupt nicht“ zustimmen, oder mindestens der Hälfte der acht Aussagen „eher nicht“ zustimmen, werden dagegen als unpopulistisch eingestellt bezeichnet. Alle anderen Befragten sind weder populistisch noch unpopulistisch eingestellt, und fallen in die Kategorie „teils/teils“."