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Studie zu weiblichen OrgasmenWissen macht ooohjaaaah

Frauen, die mit Frauen schlafen, haben häufig einen Orgasmus als Hetera – verkündet eine Studie. Und woran liegt’s? Am Diskurs natürlich!

Mehr Orgasmen sind praktisch garantiert Foto: photocase/Lucas1989

Dieser Text beginnt mit den magischen fünf Wörtern, die so oft in einer Redaktionskonferenz fallen. Mit denen aus einer Nachricht die These für einen Text gestrickt wird. Dieser Artikel beginnt – wie so viele – mit einer Studie: US-amerikanische WissenschaftlerInnen haben herausgefunden, dass die Häufigkeit von Orgasmen nicht mit dem Geschlecht zusammenhängt, sondern mit der sexuellen Orientierung. Frauen kommen beim Sex genauso regelmäßig zum Höhepunkt wie Männer, wenn sie Sex mit Frauen haben.

In der Fachzeitschrift „Archives of Sexual Behavior“ beschreiben die ForscherInnen eine „Orgasmuslücke“: In der qualitativen Studie, für die insgesamt rund 53.000 Menschen befragt worden sind, gaben 95 Prozent der heterosexuellen Männer an, in der Regel beim Sex zum Höhepunkt zu kommen. Heterosexuelle Frauen jedoch nur 65 Prozent, aber 86 Prozent der lesbischen Frauen.

Was können wir aus dieser Studie nun lernen? Zunächst mal das: „Das Problem“ ist nicht die weibliche Anatomie. Das war sie nie. Das Problem ist der ­patriarchale gesellschaftliche Blick auf Sexualität.

Vor über 100 Jahren schrieb Sigmund Freud über den weiblichen Orgasmus. Er unterschied zwischen zwei Formen: dem vaginalen und dem klitoralen. Der vaginale gilt als der bessere, der erwachsene Orgasmus. Der klitorale Orgasmus hingegen, den Frauen zum Beispiel durch Selbstbefriedigung oder Oralsex erreichen, gilt als der minderwertige. Die höchste Lust, so die Theorie Freuds, könne nur durch das männliche Glied erzielt werden.

Falsch dargestellte Anatomie

In der Praxis führt dies zu der „Orgasmuslücke“, wie sie die Studie aufzeigt – und zu den oft verzweifelt klingenden Foreneinträgen im Netz, wo Frauen darüber klagen, dass sie nicht durch „normalen“ Sex befriedigt werden können und so wenig Spaß im Bett haben. Die Idee, dass nur Penetration „normaler“ Sex ist, erklärt auch die fast manische Suche von Ratgeberbüchern und Frauenmagazinen nach dem sagenumwobenen „G-Punkt“.

Der patriarchale Blick auf die weibliche Lust hat aber auch zur Folge, dass die weiblichen Geschlechtsorgane bis heute nicht umfassend erforscht sind. Sogar in Anatomiebüchern und -modellen ist die Klitoris oft nicht exakt dargestellt: Denn sie ist nicht etwa nur eine erbsengroße Spitze, sondern länglich, misst durchschnittlich sieben Zentimeter, und ist eine hoch­erogene Zone entlang der inneren Schamlippen.

Viele Mädchen und Frauen wissen das nicht oder können ihre Genitalien nicht einmal korrekt benennen – sie kennen nicht den Unterschied zwischen der innen liegenden Vagina und der außen sichtbaren Vulva, zu der auch die Klitoris zählt.

Es klingt so banal, aber nur wer eine Sprache dafür hat, was er oder sie fühlt, kann benennen, was er oder sie will. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass lesbische Frauen viel häufiger beim Sex zum Höhepunkt kommen. Wer außerhalb der ­gesellschaftlichen Norm begehrt, kann sich nicht auf das klägliche Schulwissen und die gesellschaftlichen Narrative verlassen. Kommunikation ist der erste Schritt zur Befreiung.

Wir können und müssen im Zusammenhang mit Sexualität über Ideologie sprechen. Von Ideologie als einem Gefüge falscher Annahmen oder einem falschen Bewusstsein, das es zu überwinden gilt. Das fängt auch manchmal mit der Erkenntnis an, dass menschliche Ängste selten angeboren oder natürlich – sondern erlernt und veränderbar sind. Es sind diese Fragen, die wir uns stellen müssen, wenn uns die nächste sensationelle Sexstudie begegnet.

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13 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Ganz interessanter Artikel. Ich verstehe jedoch nicht, warum weder ein Link [https://doi.org/10.1007/s10508-017-0939-z] zur Studie, noch der genaue Titel oder die Autorennamen angegeben sind. Beim Lesen der Studie fällt zuerst auf, dass die Autoren nicht wie hier geschrieben qualitativ, sondern quantitativ gearbeitet haben. Außerdem wurde ein wichtiger Punkt zwar in der Studie auf der vorletzten Seite erwähnt, hier im Artikel jedoch weggelassen: Die Studie verweist auf eine Studie von Lippa [https://doi.org/10.1007/s10508-006-9146-z] und nimmt auf eines ihrer Ergebnisse Bezug: "If men desire sex more frequently than women (Lippa, 2007), then there could be more sexual encounters in heterosexual relationships explicitly intended to satisfy the desires of the male partner." In anderen Worten: Falls im Durchschnitt bei Männern die Libido stärker ausgeprägt ist, könnte das eine Auswirkung haben auf eine höhere Orgasmusfrequenz bei Männern.

  • Die Vagina-Monologe kennen die Vulva wohl auch nicht. Passt irgendwie zum Mainstream-Feminismus.

  • 5G
    571 (Profil gelöscht)

    "... US-amerikanische WissenschaftlerInnen haben herausgefunden ..."

     

    Klar!

    Immer dieselben...

  • Wie viele Wörter gibt es für das männliche Geschlecht, wie viele für das weibliche?

     

    Warum ist bei Statuen und Aktmalereien oft das männliche aber eigentlich nie (eine seltene Ausnahme: 'Der Ursprung der Welt') das weibliche Geschlecht zu sehen?

     

    Zur Aufklärung sehr zu empfehlen: 'Vulva' von Mithu M. Sanyal.

  • „Wir können und müssen im Zusammenhang mit Sexualität über Ideologie sprechen“

     

    „Ideologie“ kenne ich noch aus dem Staatsbürgerkundeunterricht, der für alle Schüler*/innen der DDR verbindlich war. Demzufolge denke ich bei diesem Wort automatisch an die „marxistisch-lenininstische Ideologie“, die „Grundlage für die erfolgreiche Weiterentwicklung der sozialistischen Gesellschaft in der DDR“ ist (bzw. war).

     

    Wie konnte bloß die Menschheit Jahrhunderte und Jahrtausende Spaß am Sex haben – OHNE Ideologie? Ich jedenfalls werde künftig bei jedem Mal daran denken!

    • @Pfanni:

      Es geht ja darum, dass sich hinter der "Ideologielosigkeit" eben doch eine Ideologie verbirgt, nämlich die "patriarchalisch-männliche", wie es zum Beispiel auch in der Pornographie der Fall ist. Im Kontext geht es darum Ideologie zu hinterfragen, insbesondere dann, wenn es ein konkretes Problem gibt, dass eindimensional erklärt wird, z.B. in diesem Fall mit der "weiblichen Natur / Anatomie" - "Frauen kommen eben einfach nur ganz selten mal". Ein konkretes Problem ist eben, dass der heterosexuellen Frau oftmals der Orgasmus verwehrt bleibt und sie sich Ideologie-bedingt nicht gegen diese Situation wehrt, weil ihr eingeredet wird - mit der gleichen wissenschaftlichen Beweislage wie sie auch bei "Frauen gehören an den Herd" an den Tag gelegt wird, dass das nunmal eben so von der Natur (Gott) gewollt ist. Das ist die Ideologie. Diese ideologische indoktrinierung erfahren Männer und Frauen. Aus persönlicher Erfahrung kann ich berichten, dass mir schon viele Frauen begegnet sind die durchaus überrascht waren, dass sie überhaupt beim ersten oder zweiten Sex miteinander einen Orgasmus haben können.

      Und gleichermaßen verwundert, dass auch mal der Orgasmus beim Mann ausbleiben kann. Da gehört aber eben auch die Lust des Mannes zum "geben" dazu und auch die (erlernbare) Fähigkeit die eigenen Impulse hintenanzustellen.

  • Seit wann wird nach Freud gefickt? Ich glaube die große Mehrheit der Menschen macht es seit Freud genauso wie vor Freud, dazu ist das Thema Sexualität viel zu mit Scham besetzt, Sexuelle Revolution hin oder her!

     

    Interessant ist hier die andere Betonung wie im Spiegel Online Artikel "Komm gut!". Liegt halt alles im Auge des Betrachters. Statt Ideologie wie hier, würde ich sagen, 95% der Männer kommen zu ihrem Schuß, Frauen legt endlich euere Hand an oder macht den Mund auf! Auf die Männer könnt ihre lange warten!

  • Endlich ist die ultimative Luecke aufgedeckt. Ich fordere die EU auf sofort gesetzlich gegenzusteuern.

    • 6G
      677 (Profil gelöscht)
      @fly:

      Wie wär's mir einer Quote?

    • 3G
      33293 (Profil gelöscht)
      @fly:

      danke, witzig!

  • Immer noch kein Selbstverständniss in unserer Zeit seinen Körper zu kennen.

     

    Und wenn man das selbe, eigene Geschlechtsteil beim anderen kennenlernt, kennt man seines bestimmt auch besser.

     

    Sich selber mehr anpacken, sowieso ;)

  • 1. Fast 50 Jahre nach "Our Bodies Ourselves" kann man ja wohl nur noch von selbstverschuldeter Unmündigkeit reden, wenn US-Frauen ihren Körper nicht kennen [wollen].

    2. Von den 95% Hetero-Männern trauen sich ein Drittel vermutlich nicht zuzugeben, dass sie ohne Orgamus ejakulieren, weil das als Versagen gelten würde [geht gar nicht].

    3. Und wo sind die Daten für schwule Männer?

    Auf eine umfragebasiert Studien zur Sexualität gebe ich nicht viel, das müssten schon kumulative Datensätze aus zig Studien ausgewertet werden.

  • Na Servus! Das wurde ja mal Zeit!

    Aber sowas von!

     

    Glaube Lüge Statistik -

    Kann endlich - Quartettiert werden -

    Orgasmus!

    Vaginal Klitoral Scheißegal!

    All dem KästelSchnackseln zum Hohn!

    Hoch lebe - Die Kommunikation!

    Genau - der witte Stein der Weisen!

    "Wovon man nicht sprechen kann,

    Darüber muss man schweigen."