Erzählband über Sex: Aber wie?

Der patriarchale Blick, der Rausch, oder der Vibrator – was ist Sex, befriedigt oder unbefriedigt? Jetzt wird's geil. Ein Vordruck aus „Enjoy Schatz“.

gespreizte Finger einer Frau in einer roten Strumpfhose

Sanfte Lust am Morgen Foto: Heidi Mayer/plainpicture

Als lesende, als schreibende, als liebende und körperliche Person frage ich mich: Wie wird über Sex geschrieben? Wie bekomme ich Sex zu lesen? Wie wird mir Sex gezeigt? Ganz allgemein fährt mir eine gewisse Aufregung durch den Körper. Vielleicht kollektiv, gesamtgesellschaftlich.

Spürst du es auch? Wär doch hot. Wir, jetzt, zusammen.

Wer leidet auch unter dieser diffusen Lust? Flirten, sich kennenlernen, annähern, schwärmen, sich berühren, sich hingeben, sich fallen, sich wieder los- und sich wieder verlassen. Der Rausch. Ich will den jetzt. Take me, I’m all yours.

Sex in Literatur, Sex im Film ist so oft so unbefriedigend. Unter der Decke. Unterwäsche an. Nichts zu sehen. So viele Blowjobs auf Buchseiten gedruckt. In meinem Kopf ein Katalog an literarischen und filmisch inszenierten Penissen, die gnadenlos in die nassen Münder reinspritzen dürfen oder übers Gesicht. Aber bitte nicht in meins. Wobei ich erst neulich gelesen habe, dass Sperma zahnaufhellend wirkt.

Wenn ein Mann meinen Kopf drängend und ungeduldig in Richtung seines Schwanzes zieht, drückt, manövriert, lache ich ihn gerne aus. Nur kurz. Kleine Pause. Nicht bevor du nicht meine Blume ausgiebig geküsst hast, meinen Rosengarten, meinen Früchteeisbecher, die Schleckmuschel, meine Vulva, sag ich dann. Gerne würde ich ihre verwirrten Gesichter in meinen Ursprung der Welt, der Ekstase, der Lust schieben und lässig sagen: Enjoy, Schatz. Mach ich aber nicht. Ich warte dann erst mal ab.

Der blaue Rabbit-Vibrator mit Klitoris-Saugfunktion liegt in der rechten Schublade meiner Kommode, die praktischerweise neben dem Bett platziert ist. Ist Teil meines täglichen Aufwachrituals. Außer ein anderer Körper liegt neben mir. Aber meistens bin ich allein. Ich mag das. Sanfte Lust am Morgen. Vielleicht aus purer Gewohnheit. Oder luxuriösem Hedonismus. Der Gewissheit, entspannter in den Tag zu gleiten. Mehr Zeit im Bett verbringen zu dürfen. Danach fühlt sich es an, als wäre ich mit etwas davongekommen.

Masturbation als Stresskiller. Und Stress gilt immerhin als herzinfarktrisikosteigernde Hautalterungsursache Nummer eins! Neben Sonne. Neben Alkohol. Neben Drogen, Rauchen, Fleisch, Kummer, Krankheit, Armut, Stadtluft, Klimawandel, Krankheit usw. Die Haut, vor allem im Gesicht, als wichtige zu pflegende Errungenschaft. Für die jugendliche Haut gelobt zu werden, scheint wie eine Auszeichnung. Schon über dreißig – aber Haut wie eine unter Zwanzigjährige. Beautygoals. Kosmetik­industrie und guten Genen sei Dank.

Mitte-fünfzig-jährige Männer, die mir ungeniert erzählen, mein jugendlicher Glow sei ganz und gar verführerisch, und glauben, das wirkt.

Jawoll, auch dafür masturbiere ich jeden Morgen. Für diese Art zu strahlen. Für den Rest kaufe ich Seren, Tinkturen und Öle. Weil ich mich nicht freimachen kann von dem Gefühl, dass es noch besser geht, noch schöner, noch frischer, noch ebenmäßiger, noch perfekter. Nie zufrieden sein, nie satt sein. Süchtig nach Lob, nach Komplimenten von Frauen in meinem Alter, älteren, jüngeren Frauen. Männer sind in Schönheitsfragen keine Referenz. Außer sie arbeiten in diesem Bereich.

Das Geld. Die Anstrengung. Die Freude darüber. Es ist zu einfach zu sagen: Ja, dann mach halt nicht mit. Spar dir die Mühen und die Kosten. Genieß dein Leben fern der Schönheitszwänge. Auch das kommt zwanghaft daher: der Genuss des Genießens. Der patriarchale Blick auf meinen Körper. Unterwerfe oder ermächtige ich mich? Wenn mir Menschen vor, während oder nach dem Sex sagen, meine Haut sei so weich. Wenn sie nicht genug davon kriegen können, mich anzufassen, und ich süchtig nach ihren Berührungen werde, nach ihrer weichen Haut. Wenn ich ihnen nicht erzähle, dass ich extra vorher gebadet, mich geschrubbt, gepeelt und eingecremt habe. Zur Vorbereitung, für die besonderen Dates.

Die Hingabe. Die Aufregung. Die Überlegungen. Das will ich sehen. Die Auswahl der Unterwäsche. Wer hat überhaupt gute und schlechte Unterhosen, seit wann habe ich diese Auswahl? Abgeschaute, einstudierte, ins Bewusstsein übergegangene Riten? Dazwischen die spontane Lust, Verführung, ohne Vorbereitung, die auch gut sein kann, selbst in der miesesten der schlechten Unterhosen. Ein Beweis für die Sinnlosigkeit der Dienste vielleicht. Oder die Markierung ihrer Besonderheit.

All das ist weg beim Sex.

Meine Haut ist mir egal beim Sex. Mein Körper. Mein Kontostand. Meine Work-Life-Balance. Meine Leistung, meine Aufträge, meine Misserfolge, meine Cellulite, meine hängenden Brüste, meine Hornhaut. Meine Features. Meine Defizite. Mein Status. Mein Bildungsstand. Manchmal sogar meine Klassenherkunft. Sex ist seit Jahren – der Hälfte meines Lebens – eine konstante, signifikante Ablenkungsstrategie.

Als Teenager hatte ich Sex aus Langeweile. Sex war die ideale Beschäftigung. Beinah gratis, schaltete das Hirn aus. Ständig. Mit allen möglichen Menschen. Aus Mangel an Alternativen. Ödniswelt Provinz. Ödniszustand Armut. Die Lust kam erst viel später.

Jetzt: andauernd die Lust. Die Lust am Begehren und Begehrtwerden, am Rumkriegen, am Rumgekriegtwerden, am Ausprobieren. Wie passen unsere Körper zusammen? Die Neugierde. Sex aus Spaß. Sex gegen Schmerzen. Praktisch bei Menstruation. Mittelmäßig hilfreich bei Liebeskummer. Richtig unbrauchbare Methode bei schlimmen Liebeskummer. Sex ohne Gefühl ist besser als Sex und dabei jemanden, mit dem man gerade keinen Sex hat, schmerzhaft zu vermissen. Vielleicht dabei (heimlich) zu weinen, untröstlich zu sein, damit die Person neben und in einem irritieren, das Gefühl des Verlusts, während man etwas tut, was einem sonst so viel gibt. Oder zumindest etwas gibt.

Zurück zum Soloakt. Die Enttäuschung, wenn der Akku ausgeht. Es wird vorher angekündigt, der Vibrator wird kurz schwächer. Im Anschluss kann er nochmal hochgefahren werden. Bitte noch schnell kommen. Manchmal klappt’s nicht. Aufgeben, seufzen.

Die Suche nach dem Ladekabel. Das Gefühl aufgestauter Orgasmen. Gibt es das? Die Lust verschleppen, mitnehmen, an die Person denken, mit der ich gerade schlafen will. Schwülstige Nachrichten senden. Es stattdessen mit der eigenen Hand versuchen. Vibratorenverwöhnt abbrechen. Die langen künstlichen Fingernägel helfen auch nicht in dieser Situation. Ein anderes Spielzeug aus der Schublade holen. Nichts geht über diesen einen Lieblingsvibrator. Hilft alles nichts. Aufstehen, warten, später ein neuer Versuch.

Später wird’s dafür richtig heiß, wenn der wieder volle Power hat. Dann die eine Stellung nehmen, die, bei der es so unendlich lange dauert zu kommen, der Orgasmus aber unfassbar ist. Schön. Ich vermisse die Hände in diesem Moment. Das Küssen, den Atem, die andere Haut. Aber, hey, besser als nichts.

Die Frage: Warum nicht nur sexuell aktiv sein, sondern es auch noch mitteilen, es aufschreiben, es zugänglich machen?

Die Anforderung: Es soll ein erotischer, schöner und kluger Text werden, der ei­ne*n durch die Gedanken führt, gespickt mit schlauen Aspekten. Witzig, nicht angestrengt oder aufklärerisch didaktisch. Alles ganz locker, irgendwie easy, juicy, cute (– so wie ich).

Die Annahme: Ich habe Lust auf die Selbstoffenbarung. Will mich angreifbar und verletzlich machen, über die eigenen Schamgrenzen hinwegschreiben. Will mich der Lust ausliefern und ihrer sinnlichen Beschreibung. Grenzen verschwimmen lassen. Ähnlichkeiten zwischen dem Beschreiben und dem Ausleben der Fantasien aufzeigen. Ähnliche Praktiken und Taktiken. Ähnliche Bewertungskategorien. Ähnliche Gefahren. Ähnliche Reize.

Ich will demonstrieren, dass ich eine sexuell aktive Frau bin. Sowohl textlich als auch körperlich – denn würde mir so ein Text nicht automatisch diese Aura verleihen? Wirke ich nicht total souverän, offen und hemmungslos? Ich will mich zeigen als eine von denen, die weiß, was sie will, und Worte dafür findet. Eine, die keine tradierten Restriktio­nen kennt und Abenteuer erfährt, als gäbe es kein Limit.

So stelle ich mir das vor. So will ich gleichzeitig auch mich selbst sehen, gedanklich schon mit der Rezeption beschäftigt, die so ein Text wahrscheinlich erfahren wird. Authentizität nicht als Stilmittel, als Lüge, Unzuverlässigkeit oder vergnügliches, aber gemeines Spiel, sondern als Bedingung für diesen Text. Schließlich bin ich Schriftstellerin und die schreiben in erster Linie ja über sich selbst.

Vorabdruck aus: „Enjoy Schatz“, Korbinian Verlag 2022, 158 Seiten, 20 €

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.