Studie zu Klimaschutzprojekten: Schrottzertifikate für das gute Gewissen
Um Emissionen auszugleichen, können Unternehmen Zertifikate von Klimaschutzprojekten kaufen. Eine Studie zeigt nun: Die meisten versprechen zu viel.
![Drei Schornsteine eines Kraftwerks aus denen Rauch aufsteigt Drei Schornsteine eines Kraftwerks aus denen Rauch aufsteigt](https://taz.de/picture/7355760/14/37026847-1.jpeg)
Die Studienergebnisse seien nicht überraschend, sagt Carsten Warnecke vom NewClimate Institute. Es sei schon lange bekannt, dass das Gutschriften-System das Klima nicht wirklich schütze. Er fordert deshalb, es komplett aufzulösen.
Denn bei der Erstellung der Gutschriften wird der Studie zufolge häufig getrickst. So werde beispielsweise eine Minderung von Emissionen zertifiziert, die auch ohne das durch den Kauf eingenommene Geld erreicht worden wäre. Im Rahmen der Forschungsarbeit haben die Wissenschaftler*innen 65 bereits veröffentlichte Studien ausgewertet, in denen unterschiedliche Klimaschutzprojekte und Maßnahmen weltweit untersucht wurden. Insgesamt bezieht sich die Untersuchung den Autor*innen zufolge damit auf rund ein Fünftel des bisher ausgegebenen Gutschriftenvolumens.
Gutschriftenhandel als Geschäftsmodell
Die Irreführung bei den Emissionsgutschriften habe System, meint Kohlenstoffmarktexperte Warnecke. „Die Zertifikate für die Klimaschutzprojekte werden nach privaten oder nach UN-Standards vergeben. Aber diese Standards bieten oft große Schlupflöcher.“ Dadurch entstünden Interpretationsspielräume, die von privaten Akteur*innen und Unternehmen entlang der Handelskette genutzt würden, um Gewinne zu optimieren.
Selbst manche Standardsetzer, also diejenigen, die die Regeln gestalten, hätten Interesse an den Schlupflöchern. Denn für jedes Zertifikat bekämen sie eine Provision. „Es ist also logisch, dass sie versuchen, möglichst viele Projekte als emissionsmindernd zu zertifizieren, auch wenn sie es de facto gar nicht sind“, so Warnecke.
Würden die Zertifikate anschließend an der Börse gehandelt, verdienten mehrere Zwischenhändler daran, sagt Warnecke. „Diejenigen, die hingegen nicht daran verdienen, sind oft die Gemeinschaften, in denen die vermeintlichen Klimaschutzprojekte stattfinden.“ Das seien meist Länder im globalen Süden. Die Projekte würden dort in der Regel von Unternehmen aus wirtschaftlich stärkeren Industriestaaten umgesetzt.
Erschwerte Bedingungen für den globalen Süden
Daraus ergibt sich laut Warnecke das nächste Problem, denn in einem marktbasierten Anreizsystem suchen sich die Unternehmen ihm zufolge möglichst günstige Projekte, um eine Emissionsgutschrift dafür zu erhalten. „Damit graben sie den Ländern im globalen Süden die finanziell attraktiven Möglichkeiten ab, im eignen Land Emissionen zu mindern.“
Für die Erfüllung der eigenen Einsparungsziele müssten die Länder dann nämlich in teurere Projekte investieren, die noch nicht von ausländischen Unternehmen beansprucht wurden. Dadurch würde es unwahrscheinlicher, dass diese Länder ihren Beitrag zur globalen Emissionsminderung leisten können.
Stattdessen sollten private Akteure oder wirtschaftlich starke Länder Projekte umsetzen, die außerhalb der finanziellen Möglichkeiten der Gastländer liegen, meint Warnecke. Das seien teurere Projekte mit Technologien, die in den Gastländern heute noch nicht verfügbar seien. Hierdurch würde Klimaschutz umgesetzt und zusätzlich der Grundgedanke dieses Gutschriften-Systems erfüllt.
Das hat seine Wurzeln im Kyoto-Protokoll. Dort wurde unter dem „Clean-Development-Mechanism“ geregelt, dass Industriestaaten Projekte in sogenannten Entwicklungsländern unterstützen und dafür Einsparungs-Gutschriften erhalten können. Das Umweltbundesamt erläutert auf seiner Website, dass dies auch die Funktion haben solle, Entwicklungsländer durch Technologietransfer beim Aufbau einer klimafreundlichen Wirtschaft nachhaltig zu unterstützten. Laut den Studienergebnissen ist dieses Ziel nicht erreicht worden.
Die Autor*innen der Studie aus dem Journal Nature Communications fordern vor dem Hintergrund ihrer Erkenntnisse, das System der Emissionsgutschriften grundlegend zu reformieren. Carsten Warnecke sieht darin hingegen keinen Sinn mehr. Er plädiert gleich für die Abschaffung des gesamten Mechanismus.
Markt setzt falsche Anreize
„Das Problem ist, dass das Gutschriften-System marktbasiert ist“, sagt Warnecke. Die Ware auf diesem Markt sei das Recht, CO₂-Äquivalente zu emittieren. Das setze falsche Anreize, da es den Druck von den Emittenten nehme, Emissionen tatsächlich zu verringern. „Es liegt in der Natur des Marktes, dass die Beteiligten Gewinnoptimierung betreiben. Sie versuchen also, möglichst viele Produkte – also Treibhausgase – zu verkaufen.“
In der Konsequenz führe das zu Investitionen in die billigsten und oft unwirksame Klimaschutzprojekte auf der einen Seite und einem Anstieg an Emissions-Gutschriften auf der anderen. „Das Gutschriften-System führt letztendlich also zu einem Anstieg der Emissionen und trägt nicht dazu bei, sie zu verringern.“
Das System der Emissionsgutschriften wurde vom Kyoto-Protokoll in das Pariser Klimaabkommen übertragen. Am ersten Tag der 29. UN-Klimakonferenz, die aktuell in Aserbaidschan stattfindet, haben sich die Teilnehmenden auf die Schaffung neuer Standards für das System geeinigt. In der Pressemitteilung heißt es, diese Standards würden sicherstellen, dass der internationale Kohlenstoffmarkt eine hohe Integrität aufweise „und dass Emissionsreduktionen und -entnahmen real, zusätzlich, überprüft und messbar sind.“
„Dass dieses wichtige Thema schon vor der Konferenz ausformuliert und den Teilnehmern in der ersten Sitzung zur Zustimmung vorgelegt wurde, anstatt es wie üblich als Verhandlungsgrundlage in die Prozesse zu geben, zeigt, wie hoch der Druck war, endlich überhaupt einen Kompromiss zu finden“, meint Carsten Warnecke.
Artikel 6 des Pariser Klimaabkommens, in dem unter anderem Emissionsgutschriften geregelt werden, könne das gesamte Abkommen aushöhlen. „Ein unambitioniertes Regelwerk mit Unschärfen wird leider wieder zu Projekten führen, die die internationalen Klimaschutzambitionen untergraben. Zukünftige Studien werden uns dann leider wieder auf ähnlich miserable Bilanzen hinweisen.“
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