Klimakonferenz COP29 in Baku: Sinnlos oder sinnvoll?
Klimakonferenzen können die Erderwärmung nicht stoppen. Trotzdem sind sie der zivilisatorischste Akt der Menschheit.
A n diesem Montag startet das größte diplomatische Ereignis dieses Jahres: Tausende Diplomaten reisen nach Baku zur COP29, zur 29. Weltklimakonferenz der Vereinten Nationen. Unter den Augen von tausenden Journalisten werden die Vertreter von 196 Vertragsstaaten der Klimarahmenkonvention und der EU neue Schritte zur Stabilisierung des Weltklimas beschließen wollen. Um den Verhandlungen den nötigen Sachstand zu verleihen, haben sich Wissenschaftler als RINGOs zusammengeschlossen: Die „Research and Independent Non-Governmental Organizations“ betreiben ein eigens Büro auf der COP, um ihren Einfluss möglichst effektiv zu organisieren.
Damit sind sie nicht allein. Denn auf Klimakonferenzen geht es allenfalls auch um den menschgemachten Treibhauseffekt. In erster Linie geht es um Wirtschaftskraft, Entwicklungschancen und Prosperität. Vom Emissionshandel über einen CO2-Preis bis zum Ausstieg aus Erdöl und Kohle: Wirtschaftslobbyisten versuchen deshalb die Verhandlungen in ihrem Sinne als BINGOs, als „Business and Industry Non-Governmental Organizations“, zu beeinflussen.
Was Klimaschützer und Umweltorganisationen natürlich verhindern wollen.
Die „Environmental Organizations“ firmieren als ENGOs, sie geben mit „eco“ eine eigene Konferenzzeitung heraus, in der sie Knackpunkte der Verhandlungen widerspiegeln. Seit 1999 verleihen sie an jedem Konferenztag das „Fossil of the Day“ für die übelste Position auf dem Konferenzparkett. Und natürlich verschaffen auch sie sich direkten Zugang zu den Verhandlungsdelegationen, der auch gewollt ist: Vor allem die kleineren und ärmeren Staaten könnten ohne Unterstützung der ENGOs das vierzehntägige Mammutprogramm gar nicht bewältigen.
Zehntausende Organisationen
Wirtschaftliche Prosperität tangiert viele Rechte, weshalb – von der UNO explizit gewollt – viele Interessenvertreter die Verhandlungen beobachten. Gewerkschafter und Arbeitsrechtler reisen als TUNGOs nach Baku – „Trade Union Non-Governmental Organizations“, Frauenorganisationen bündeln ihre Aktivitäten als WOMGOs. Zuletzt kamen 2009 die YOUNGOs hinzu, ein Zusammenschluss der Jugendorganisationen, die beispielsweise den „Negotiation Tracker“ starteten: Blogger heften sich an die Fersen ihrer jeweiligen Verhandlungsführer, um möglichst zeitnah darüber zu berichten, welche Rolle einzelne Staaten im Verhandlungsprozess einnehmen. Mit welchen Lobbyisten sie sich treffen. Was sie nach „Feierabend“ des Verhandlungstages machen.
Mehrere zehntausend Experten kommen so im UNO-Klimakosmos zusammen, jeder mit einer Spezialaufgabe in der fein austarierten Diplomatie. Allein: Vor Beginn der COP29 steht schon fest, dass auch diese Klimakonferenz das Weltklima nicht retten wird. Einfach weil Weltklimakonferenzen die Klimaerhitzung gar nicht stoppen können.
Weg mit den Kohleöfen
Das liegt logischerweise daran, dass Weltklimakonferenzen keine Kohlekraftwerke betreiben, ergo auch keine Kohleblöcke abschalten können. Zuletzt hatte die Produktion von Kraftwerkskohle weltweit einen neuen Höchststand erreicht. Kohleverstromung ist die klimaschädlichste Art der Stromgewinnung. Klimakonferenzen können zwar den Ausstieg aus fossilen Energien beschließen, wie die COP28 vor einem Jahr. Weltweit aber wächst der fossile Kraftwerkspark ungebremst weiter, selbst in der Bundesrepublik ging 2020 mit Datteln 4 ein neues Kohlekraftwerk ans Netz.
Zweitens können Klimakonferenzen keine Gesetze für mehr Klimaschutz beschließen. Es ist vielmehr so, dass die Beschlüsse von Klimakonferenzen „ratifiziert“ werden müssen – also in nationales Recht umgesetzt. Das bedeutet: Die nationalen Parlamente der 196 Vertragsstaaten müssen Beschlüsse der COP durch eigene Gesetze gültig machen.
Die USA beschloss zwar einst das Kyoto-Protokoll zur Emissionsreduzierung mit, ratifizierte es aber nie – Bill Clinton und Al Gore waren daran gescheitert, Anfang der 2000er-Jahre eine Mehrheit im Kongress zu finden. Die USA waren mit ihrem Präsidenten Joe Biden in das Paris-Protokoll wieder eingetreten – nachdem Donald Trump den Vertrag von 2015 aufgekündigt hatte.
Drittens hat die UNO zwar eine eigene Polizei, die in Baku auf der COP29 beispielsweise dafür sorgt, dass das Hausrecht der Vereinten Nationen auf dem Verhandlungsparkett durchgesetzt wird. Allerdings besitzt die UNO keine eigene Armee, um Beschlüsse der UN-Klimakonferenz tatsächlich auch umzusetzen. Im Paris-Protokoll von 2015 verpflichten sich die Vertragsstaaten „so bald wie möglich den weltweiten Scheitelpunkt der Emissionen“ zu erreichen. Brasilien hat das Protokoll zwar auch in nationales Recht umgesetzt. Trotzdem liegt die Entwaldungsrate im Amazonas-Regenwald derzeit so hoch wie nie.
Sollte die UNO also Blauhelme nach Brasilien schicken, um international gültiges Völkerrecht durchzusetzen? Um den Anstieg der durchschnittlichen Oberflächentemperatur auf 1,5 Grad zu begrenzen wäre das durchaus hilfreich. Die Frage ist: Wo würden solche Militäreinsätze anfangen – und wo enden? Müsste die UNO nicht beispielsweise auch Blauhelme nach Deutschland entsenden, um hier endlich ein Tempolimit durchzusetzen?
Ein absurder Umstand: Es gibt keinen anderen Staat, in dem so ungehemmt gerast wird, wie hierzulande. Und rasende Motoren produzieren viel mehr Treibhausgase, als wenn ihr Betrieb limitiert wird. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes könnte ein Tempolimit bis zu 8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jedes Jahr einsparen.
Unser Bleifuß sorgt so für mehr Klimalast als der Staat Ruanda zu verantworten hat. Dort entstehen die Treibhausgase, weil 14 Millionen Menschen leben, essen, arbeiten. Und diese 14 Millionen Menschen leiden mehr unter den Folgen der Klimaerhitzung, weil das Land weniger Wirtschaftskraft besitzt, sich anzupassen. Anders als unser Bleifuß haben die 14 Millionen aber gar nichts beigetragen zum Problem.
Paris-Abkommen ohne Garantie
Trotzdem weigern sich die Regierungen in Deutschland ein Tempolimit einzuführen – ein Zeichen, dass die Unterschrift unter das „Paris-Abkommen“ keine Garantie für angemessene Politik ist. Gleich zweimal ist die Bundesregierung von Oberverwaltungsgerichten schuldig gesprochen worden, weil sie – gemessen an ihren eigenen Gesetzen – zu wenig Klimaschutz betreibt. Statt sich jetzt anzustrengen, ging Klimaschutzminister Robert Habeck (Bündnis90/Die Grünen) erst in Revision. Dann änderte er zusammen mit FDP und SPD das deutsche Klimaschutzgesetz so, das mehr Klimaschutz nicht notwendig wird. Bis zum Verbleib in der Ampel wollte die FDP Klimaschutz gleich ganz einstampfen.
Eben weil die Nationalstaaten derart versagen, wird so auf die Klimakonferenzen gehofft. Die COPs werden überladen, ihnen wird eine Wirkung unterstellt, die sie gar nicht entfalten können. Deshalb wird auch nach Ende der COP29 behauptet werden, dass „wieder nichts herausgekommen ist“.
Dabei sind die Klimakonferenzen ein beispielloser zivilisatorischer Akt. Erstmals in der Menschheitsgeschichte verhandeln alle Staaten der Welt über das, was in 50 oder 100 Jahren sein soll. Zu Grunde liegt mit dem Weltklimarat IPCC eine internationale Wissenschaft, die nie profunder und von allen Staaten anerkannt ist: Jedes einzelne Land muss den Ergebnissen des Sachstandsbericht zustimmen, bevor dieser veröffentlicht werden kann. Der sechste Sachstandsbericht erschien 2021, eine der Kernaussagen: Falls die globale Erwärmung auch nur vorübergehend 1,5 Grad übersteigt, werden eine Vielzahl menschlicher wie auch natürlicher Systeme zusätzlichen schwerwiegenden Risiken ausgesetzt.
Ohne Klimakonferenzen gebe es keine verbindlichen Standards, wie die Produktion von Treibhausgase gemessen, wie ihre Reduktion kontrolliert werden soll. Dadurch lassen sich die Mullahs in Teheran genauso in die wirtschaftlichen Karten gucken wie Chinas Kommunisten oder die Ölscheichs in Saudi-Arabien: Die Experten der Klimadiplomatie haben ein Recht darauf, die Emissionsberechnungen vor Ort zu überprüfen. Verbindlichen Standard weltweit: Man stelle sich einen Moment lang vor, die Welt wäre bei anderen Problemen ähnlich weit: Im Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen beispielsweise oder der Reduktion von Umweltgiften.
Erstmals hat die Menschheit mit den Klimakonferenzen global das „Recht des Stärkeren“ abgeschafft: Jeder Staat hat dieselben Rechte, egal wie groß seine Armee ist. Jeder Staat muss dem Verhandlungsergebnis zustimmen. Obwohl sich Barack Obama, Lula da Silva oder Südafrikas Präsident Jacob Zuma 2009 persönlich in die Verhandlungen einschalteten, scheiterte COP15 in Kopenhagen: Tuvalu lehnte den Kompromiss ab.
Entwicklungspolitik scheitert seit Jahrzehnten
Klimakonferenzen sind die solidarischsten Zusammenkünfte der Spezies Mensch – zumindest theoretisch: Weil die reichen Staaten des Nordens mit ihren Kohleöfen und Ölheizungen den Treibhauseffekt verursacht haben, sagten sie den Ländern des globalen Südens 100 Milliarden Dollar jedes Jahr zu, damit diese mit den Folgen fertig werden. Das ist einerseits solch ein Schuldeingeständnis, auf das viele als Kolonien ausgebeutete Länder von ihren Kolonialherren immer noch warten. Andererseits gelang den Klimadiplomaten damit, woran „Entwicklungspolitik“ trotz jahrzehntelanger Mühe gescheitert ist: Der Beginn einer Umverteilung von Nord nach Süd. Denn weil die Schäden drastisch zunehmen werden, soll diese Summe auf 300 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2030 anwachsen und dann auf 500 Milliarden Dollar bis 2050.
Freilich wird an dieser Stelle wieder der Schwachpunkt der Klimadiplomatie deutlich: Christian Lindner ignorierte als Finanzminister stets diese Zusage genauso wie viele seiner Amtskollegen der G7, während sich der chinesische, katarische, südkoreanische Minister immer noch darauf berufen, „Entwicklungsland“ zu sein – und damit befreit sind von der Pflicht, einen eigenen Beitrag zu leisten. Denn als die Klimarahmenkonvention 1992 auf dem Erdengipfel in Rio beschlossen wurde, war China dies noch. Heute ist das Land für 30 Prozent der weltweiten Treibhausgase zuständig. Es fließen eben nicht 100 Milliarden in den Süden – weil Klimakonferenzen kein Geld besitzen.
Klimakonferenzen können ökonomische und regulatorische Rahmen beschließen, mit denen die Länder Klimaschutz erfolgreich umsetzen können. Das ist viel. Mehr aber auch nicht. Es sind die Nationalstaaten, denen ganz lieb ist, dass die Erwartungen an die COPs so hoch sind: Sie eignen sich trefflich als Projektionsfläche für das Scheitern des Klimaschutzes. Die vergangenen zwölf Monate waren die heißesten, die jeweils gemessen wurden: Nach Datenlage des europäischen Klimabeobachtungsdienstes Copernicus lag die Temperatur im weltweiten Durchschnitt bereits 1,64 Grad über dem Niveau zum Ende des 19. Jahrhunderts.
Es ist also höchste Zeit, auch in Deutschland endlich mal mit einem Klimaschutz zu beginnen, der angemessen und solidarisch ist. Es ist nämlich schon jenes Restbudget, dass wir Deutschen zum Erreichen des 1,5-Grad-Ziel noch zur Verfügung hatten, in diesem Frühjahr aufgebraucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Doku über deutsche Entertainer-Ikone
Das deutsche Trauma weggelacht
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Proteste gegen LNG-Gipfel in Berlin
Partycrasher am Luxushotel
Online-Doku „Israelism“
Langsamer Abschied