Stromkrise auf dem Balkan: Den Saft abgedreht
Wegen der Energiekrise verbietet Kosovo das Schürfen von Kryptogeld. Klingt nach Science-Fiction? Stimmt. Ist aber Realität.
M anchmal raschelt es in den Nachrichten. Und zwar dann, wenn der gewohnte Meldungsfluss aus Inzidenzwerten, Mord und Totschlag im Ausland, ominösen Bewegungen an Börsen, im ewigen Eis oder unter Spaziergängern unterbrochen wird. Plötzlich rutscht dann eine verstörende Meldung dazwischen, die klingt, als wäre sie nicht der Wirklichkeit, sondern einem Roman entsprungen.
Oder hatten Sie nicht das Gefühl, in einem Science-Fiction-Film zu sein, als es diese Woche hieß: „Kosovo verbietet das Schürfen von Kryptogeld wegen der Energiekrise“?
Freilich war es, wie so oft bei Geraschel, eine Meldung, deren Leuchtzeit die eines Meteorschauers noch unterbot: Kaum jemand verschwendete größere Energie darauf, die Hintergründe dieser Meldung zu erklären, obwohl die doch fast so bedrohlich klingt wie „Ominöse Lungenkrankheit in China entdeckt“.
Vielleicht, weil man Geraschel vom Balkan lieber überhört, weil da sowieso nichts Gutes dahintersteckt. Vielleicht, weil seit den aufgeflogenen Fake-News-Fabriken in Montenegro die ganze Region schon als Sweatshop für ominöse Internetaktivitäten gilt. Vielleicht waren diese Woche aber auch wegen des „mutmaßlich ungeimpften Tennisspielers aus Serbien“ sämtliche Energiereserven von anderen Balkanthemen abgezogen.
Zwei Stunden ohne Strom
Es ist jedenfalls so, dass sich das Kosovo den größtenteils importierten Strom nicht leisten kann, weil er infolge der Pandemie zu teuer geworden ist. Schon vor Weihnachten wurde ein Energienotstand ausgerufen, private Haushalte werden seitdem täglich zwei Stunden vom Netz genommen. Das aber reichte nicht, und deswegen wurde nun den Minenarbeitern des Internets der Saft abgedreht. Denn für das „Schürfen“ von Internetwährungen werden gigantische Strommengen verbraucht, Schätzungen der Universität Cambridge zufolge nutzte 2021 alleine der Bitcoin über 300 Terawattstunden Strom und damit mehr als ganz Holland.
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Der Strom wird für Trilliarden von Rechenaufgaben benötigt, die die Schürfer bzw. ihre Rechner ausführen müssen, um einen Coin freizulegen, also ihn zu verdienen. Wie aus einer Rechenaufgabe eine Münze wird, die was wert ist – fragen Sie mich nicht.
Fragen sollte man die kosovarische Regierung, warum sie dem „Mining“ nicht schon früher den Stecker gezogen hat, also bevor sie ihren Bürgern mitten im Winter den Strom zum Heizen abgestellt hat. Hielt sie Kryptoschürfen bisher auch nur für Geraschel?
Fragen kann man auch die deutsche Ministerin für Klima-Außenpolitik, ob sie fürs Kryptoschürfen schon den im Koalitionsvertrag stehenden Klima-Check gemacht hat. Zumal gerade in einem anderen ihrer Zuständigkeitsgebiete ordentlich Aufruhr wegen Energiepreisen herrscht: in Kasachstan, wo sich der zweitgrößte Kryptoschürfplatz der Welt befindet.
Anders als durch die ursprüngliche Kapitalakkumulation, bei der die Hände vom Buddeln nach Gold, Öl und anderen Bodenschätzen (wegen denen Serbien das Kosovo nicht hergeben will) schmutzig wurden, bleiben Kryptoschürfer- und andere Internetnutzerhände sauber. Das weltweite Im-Internet-Rumhängen stößt aber jährlich so viel CO2 aus wie der Flugverkehr. Die Zeit ist reif für ökologischen Tastaturabdruck und Internetscham. Aber das läuft noch unter Geraschel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Leben ohne Smartphone und Computer
Recht auf analoge Teilhabe
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!