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Strengere CoronaregelungenSchulen und Kitas haben Priorität

Die Sorge vor einem zweiten Lockdown nimmt zu. Minister Jens Spahn will Bildungseinrichtungen, Handel und Wirtschaft unbedingt offen halten.

Jens Spahn möchte beim nächsten Lockdown abgestufte Regelungen Foto: Tobias Schwarz/Pool/reuters

Berlin taz | Als Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sich am Montagvormittag aus dem Münsterland, seinem Wahlkreis, per Videokonferenz zur „Coronalage und Testbilanz“ an die Presse wandte, da hatte er vor allem für die Millionen Kindergarten- und Schulkinder in Deutschland eine gute Nachricht: „Dass Kitas und Schulen wieder im Regelbetrieb sein können und dies auch bleiben, das hat für mich Priorität“, sagte der Minister. Die Kinder hätten während der monatelangen, pandemiebedingten Schul- und Kitaschließungen „gelitten“, auch für ihre Eltern sei die Situation „belastend“ gewesen; dies solle sich nicht wiederholen.

Sollte es angesichts steigender Infektionszahlen demnächst neue Einschränkungen geben, dann sollten diese jedenfalls nicht zulasten der Kinder gehen, teilte Spahn mit: „Wir müssen abstufen, welche Lebensbereiche Priorität haben.“ Offene Kitas und Schulen stünden hier an erster Stelle.

Auf Platz zwei rangieren dem Minister zufolge Wirtschaft und Handel; auch sie sollen im Falle einer zweiten Welle „soweit es geht geöffnet“ bleiben. „Das ist auch die Grundlage für ein stabiles Gesundheitswesen“, betonte Spahn. Die Regierung habe aus den ersten Erfahrungen mit der Pandemie aus dem Frühjahr gelernt. Wenn in Geschäften Abstand gehalten und Masken getragen würden, dann sei die dortige Infektionsgefahr gering. „Mit dem Wissen von heute würden wir den Einzelhandel wohl nicht noch mal schließen“, räumte er ein.

In „anderen Bereichen“ dagegen sehe er durchaus Spielraum für Re­striktionen. Schützenfeste, Feiern „mit 150 Personen“, unangemeldete Partys unter Missachtung von Abstands- und Hygieneregeln sowie Großveranstaltungen seien Orte, an denen „sich das Virus besonders schnell verbreitet“. Er werde mit den Ländern beraten, welche Art von Veranstaltungen künftig stattfinden könnten. Risiken müssten vermieden werden, auch im öffentlichen Personennahverkehr. Hier hätten Schüler und Berufspendler Priorität, nicht aber „Fans auf dem Weg ins Stadion“, sagte Spahn. An die Bevölkerung appellierte er, „wachsam, aufmerksam und ernsthaft“ zu sein, „aber auch nicht in Endzeitstimmung zu verfallen“.

Wer kann, soll, muss sich was leisten?

Die steigenden Neuinfektionen seien „besorgniserregend“ und nur zum Teil auf Reiserückkehrer zurückzuführen. Auch in Deutschland selbst habe das Ausbruchsgeschehen nahezu überall zugenommen. Es gebe fast keinen Landkreis mehr, in dem es in den vergangenen sieben Tagen keine Neuinfektion gegeben habe.

Spahn verteidigte in diesem Zusammenhang die Entscheidung, dass Reisende, die aus Risikogebieten nach Deutschland zurückkehren, den verpflichtenden Coronatest nicht aus eigener Tasche bezahlen müssen. Kostenlose Tests führten nicht nur zu einer höheren Inanspruchnahme und damit – auch – zum Schutz Dritter. Sie entsprächen auch dem Gedanken eines solidarischen Gesundheitssystems. „Viele sagen jetzt: Wer sich den Urlaub im Risikogebiet leisten kann, kann sich auch den Test leisten“, sagte Spahn.

„Aber wo fängt das an, wo hört das auf? Wer Ski fährt, kann sich den Beinbruch leisten? Und wer sich den eigenen Garten leisten kann, der kann sich auch den Fall von der Leiter leisten?“

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2 Kommentare

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  • Liebe Heike Haarhoff, vielen Dank für diese Infos und überhaupt ihren wohltuenden Blick auf die Thematik, die Nachfragen, das Erkenntnisinteresse!



    Diese Meldung hier erinnert mich irgendwie an schwedische Strategie: Kitas und Schulen offen halten, Geschäfte und Gewerbe auch. Großveranstaltungen reglementieren. Das war ja auch in Deutschland erfolgreich vor dem (sehr umstrittenen) Lockdown. Ich bin gespannt, ob man diese sensationelle Nachricht über eine neue Strategie (ist sie das?) für den Herbst noch in der Tagesschau hört. Wird man dann analog zur Berichterstattung lesen können, wie vor kurzem überall in der deutschen Medienlandschaft zu lesen war: Tegnell übt Selbstkritik, unser Vorgehen war falsch?!



    Es wäre schön, endlich nach mehr als sechs Monaten mal zu erfahren, wie Strategie und Ziel der Bundesregierung aussieht. An was orientieren wir uns? Geht es noch um das Abwenden einer Überlastung der Intensivstationen?

    • @Bea:

      "Um jeden Preis offenhalten", das würde ich nicht so ausdrücken. Sollte doch mal ein heftiger Ausbruch in einer Kita entstehen, das kann auch der von allen übrigen "Erkältungskrankheiten"sein, ist eine bis einwöchige Pause keine schlechte Idee. Ansonsten möchte ich als positiv ansehen, dass die Gefahren in den unteren Jahrgangsgruppen nicht mehr so übersteigert dargestellt werden. Sehr mutig, Herr Spahn, kommen Sie dem Herrn Söder nicht zu nahe, der ist stark!



      Nein, Bea, es geht um die nächste Bundestagswahl. Der Bayer will die Bundestagswahl im nächsten Jahr gewinnen. So lange müssen wir noch mit weiteren lockdowns und saftigen Strafen rechnen. Deutschland braucht schließlich wieder einen starken Mann, der auch einige Maß' vertragen kann. Das Corona-Ermächtigungsgesetz könnte Stimmen bringen.