Streit ums Kirchenasyl: Abschiebung in die Obdachlosigkeit
Trotz Kirchenasyls in Berlin schob Hamburg einen Afghanen nach Schweden ab. Dort lebte er auf der Straße, sagt der Pastor der Berliner Gemeinde.

Anders als von Hamburg verlangt, haben die Berliner Behörden das Kirchenasyl nicht gebrochen: H. hatte kurzzeitig den gemeindeeigenen Garten verlassen, ohne dass ihm dabei bewusst war, dass er sich nicht mehr auf Kirchengelände, sondern auf öffentlichem Grund befand.
Berliner Zivilpolizisten nahmen ihn dort in Amtshilfe für Hamburg fest. Anders als von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) von Berlin in einem ungewöhnlich scharfen Schreiben gefordert, hatte sich die Hauptstadt geweigert, das Kirchenasyl zu brechen, in dem sich noch drei weitere Afghanen befanden, deren Zuständigkeit bei Hamburg lag.
Wie geht es H. heute? Die taz hat dazu mit Gottfried Martens, dem Pastor der evangelisch-lutherischen Dreieinigkeitsgemeinde in Berlin gesprochen, in der H. Aufnahme gefunden hatte. „Der Mann lebte wochenlang in Stockholm auf der Straße“, sagt Martens. „Am Wochenende hat er Schweden wieder verlassen. Ich weiß nicht, mit welchem Ziel innerhalb der EU.“
Schwarzarbeit oder Betteln
Das erfuhr Martens, weil er selbst und afghanische Mitglieder von H.s Farsi sprechender freikirchlicher Gemeinde über das Handy mit H. im Kontakt stehen würden. „Noch“, fügt Martens hinzu, denn bald sei das noch in Deutschland aufgeladene Handyguthaben des Mannes aufgebraucht.
In Schweden, das nach der Dublin-Verordnung für H.s Asylverfahren zuständig ist, hatte H. keine Zukunft. Das Asylverfahren des christlichen Konvertiten sei bereits vor seiner Flucht nach Deutschland negativ beschieden worden. Martens: „Damit hatte er nach schwedischem Recht keinen Anspruch auf irgendwelche Sozialleistungen. In Schweden gilt nicht einmal das Prinzip Brot, Bett und Seife.“
Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) warf Berlin im Juli in einem scharfen Brief an dessen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) einen „systematischen Missbrauch des Kirchenasyls“ vor.
Betroffen waren vier Afghanen in der Berliner Dreieinigkeitsgemeinde, die Hamburg nach Schweden zurückschieben wollte. Berlin lehnte Amtshilfe ab, da es das Kirchenasyl respektiert.
Tschentscher sprach von einem „Angriff auf den Rechtsstaat“, da Fristen abliefen und Gerichtsbeschlüsse missachtet würden.
Die Flüchtlingsbeauftragte der Nordkirche, Dietlind Jochims, kritisierte die Tonlage als „bestürzend“ und forderte einen Dialog; die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche sah die Vorwürfe als Angriff auf Ehrenamtliche.
Auch ein Recht auf Arbeit habe er nicht. Das schließt das schwedische Recht für Menschen mit einer Abschiebeverfügung fünf Jahre lang aus. Was ihm blieb, war die Wahl zwischen Betteln und Schwarzarbeit. Doch, so Martens weiter, wäre er bei einem von beiden erwischt worden, wäre er in ein geschlossenes Lager verbannt und von dort aus früher oder später nach Afghanistan abgeschoben worden.
Möglicherweise eher später als früher. Denn gegenwärtig hat Schweden keine Möglichkeit, nach Afghanistan abzuschieben. Zumindest nicht direkt. Denn es gab seit 2024 einzelne Abschiebungen auf dem Umweg über Usbekistan, das die Menschen dann weiter nach Afghanistan schickte. Auf diese Weise vermied es die Regierung in Stockholm, direkt mit den Taliban verhandeln zu müssen.
Ein Mann ist noch im Kirchenasyl
Im Falle einer Abschiebung nach Afghanistan, davon ist Martens überzeugt, droht H. wegen seiner Abkehr vom Islam die Todesstrafe. In der Abschiebung des Mannes nach Schweden durch Hamburger Behörden sieht der Pastor einen klaren Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die, so Martens, verbietet eine Abschiebung, wenn jemandem gesichert die Obdachlosigkeit drohe. Und das sei in Schweden bei abgelehnten Asylbewerbern der Fall.
Von den ursprünglich vier Hamburger Afghanen, die im Sommer im Kirchenasyl in der Freikirche in Berlin lebten, sei noch ein Mann dort, sagt Martens der taz. „Zwei Männer sind nach Hamburg zurückgekehrt und können jetzt dort ihr Asylverfahren absolvieren.“ Denn sechs Monate nach dem ersten Kontakt mit deutschen Behörden nimmt der nach der Dublin-Verordnung eigentlich zuständige Staat, in diesem Fall Schweden, die Menschen nicht mehr zurück. Diese Zeit haben die Männer im Kirchenasyl abgewartet. Die Zuständigkeit für das Asylverfahren geht dann an Deutschland über.
Komplizierter sei es im vierten Fall, sagt Martens der taz. „Bevor dieser Mann zu uns kam, lebte er in Hamburg im Dublin-Zentrum. Das Lager hatte er tagsüber kurz verlassen, gerade als die Polizei dorthin kam. Daraus schließen die Hamburger Behörden, er sei flüchtig.“ Doch eine Verpflichtung, sich tagsüber in dem Dublin-Zentrum aufzuhalten, gebe es nicht, so Martens.
Sehen Hamburgs Behörden den Mann aber als flüchtig an, dann ist Schweden verpflichtet, ihn nicht nur sechs Monate, sondern 18 Monate nach dem ersten Behördenkontakt wieder zurückzunehmen. Dem Pastor zufolge habe der Mann aber mithilfe eines Anwaltes gegen die 18-Monats-Frist geklagt.
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