Streit um die Abwrackprämie: Der Lobbyist in den eigenen Reihen
Soll es Kaufprämien auch für Autos mit Verbrennungsmotor geben? Die Grünen sind strikt dagegen – außer Ministerpräsident Kretschmann.
Die Verwandlung der alten Industrien in eine ökologisch verträgliche Wirtschaft ist das Herzstück des grünen Selbstverständnisses. Es ist die Schnittstelle zwischen dem Gestern, als man noch alternativ war, und dem Morgen als mittige Regierungspartei. Ein Weg zwischen pragmatischem Anpacken und dem Selbstverständnis als Partei mit einem besonderen moralischen Auftrag. Dabei spielt die deutsche Autoindustrie eine Schlüsselrolle. Früher war sie der Lieblingsgegner der Grünen, das ist sie heute nicht mehr – zumindest nicht für alle.
Am Dienstag wollte die schwarz-rote Koalition beim Autogipfel entscheiden, wie der Branche unter die Arme gegriffen wird. Der ist jetzt erst mal abgesagt. Innerhalb der Groko gibt es noch Abstimmungsbedarf. Vor allem in Reihen der Union gibt es Vorbehalte, Kaufprämien für Autos auszuloben. Fraktionschef Ralph Brinkhaus hält es für nicht plausibel, warum es dann nicht auch eine Abwrackprämie „für Waschmaschinen geben soll“.
Aber auch in der SPD hält sich die Begeisterung in Grenzen. Am Dienstag gab es in der Fraktion eine kontroverse Debatte. Generalsekretär Lars Klingbeil, als Niedersachse eigentlich VW-nah, zeigt sich eher skeptisch. Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, sagt, es werde mit der SPD „keine reine Abwrackprämie geben“. Man will lieber mehr Geld für Ladestationen und Zuschüsse für Brennstoffzellenproduktion. Schneider ärgert, „wie dreist die Autolobby“ – also die Chefs von VW, Mercedes, BMW und Verbandschefin Hildegard Müller – beim vergangenen Gipfel Anfang Mai ihre Forderungen präsentierte.
Doch vom Tisch ist die Abwrackprämie nicht. Druck auf die widerwilligen Fraktionen von Union und SPD machen die Ministerpräsidenten der Autoländer Bayern und Niedersachsen, Markus Söder (CSU) und Stephan Weil (SPD).
Kurzarbeitergeld und satte Dividenden
2009 sollte eine 5 Milliarden Euro teure Abwrackprämie den Autokauf in Schwung bringen. Das tat sie auch. 2009 wurden in Deutschland 3,8 Millionen neue Autos gekauft – so viele wie noch nie. Allerdings brach die Nachfrage 2010 ebenso rasant ein. Die Leute kauften also Autos, die sie sowieso gekauft hätten, nur ein paar Monate früher und mit 2.500 Euro Unterstützung vom Staat. Die Grünen bekämpften die von der SPD entwickelte Abwrackprämie damals als „Unsinn des 21. Jahrhunderts“.
Die Einschätzungen, ob die Abwrackprämie wirtschaftspolitisch ein Flop war, gehen auseinander. Befürworter glauben, dass schon der ein halbes Jahr vorgezogene Kauf von Neuwagen Arbeitsplätze in der Branche rettete.
Doch 2020 ist die Lage anders. Am härtesten sind nicht die Fabriken betroffen, sondern Dienstleister, von der Kneipenwirtin bis zum Eventmanager. Und die Autokonzerne haben mehr Geld auf der hohen Kante als in der Finanzkrise: Volkswagen rund 25 Milliarden, Daimler gut 18 Milliarden, BMW mindestens 12 Milliarden Euro. Die Abwrackprämie könnte als unsoziales Geschenk wirken. Derzeit werden Jobs bei BMW und Mercedes mit Kurzarbeitergeld erhalten, aber die Konzerne schütten ungerührt Milliarden an die Aktionäre aus.
Stefan Gelbhaar, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Verkehrsexperte, warnt davor, „den Fehler von 2009 wiederholen.“ Die Abwrackprämie habe „sogar geschadet, weil sie den Druck zur Innovation völlig rausgenommen hat“. Auch in dem „Zukunftspakt“ steht, dass mit Staatsgeld Diesel oder Benziner zu fördern ein Holzweg ist – gerade weil BMW, Mercedes und VW den Trend zum E-Auto sträflich lang ignorierten. Anstatt alte Technologien zu unterstützen, so Gelbhaar, müsse der Staat dem öffentlichen Nahverkehr helfen. Denn während die Autokonzerne dichtmachten, war der „trotz weniger Fahrgäste und einbrechender Einnahmen weiter in Betrieb“.
Kurzum: Die Grünen wollen Geld für Fahrräder, ÖPNV und E-Autos. Also alles im grünen Bereich?
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg und machtpolitisch der einflussreichste Grüne, hat zusammen mit den Ministerpräsidenten Weil und Söder Anfang Mai einen Forderungskatalog vorgelegt, der spiegelt, was die Chefetagen der Autokonzerne wollen. Wer ein E-Auto und Hybrid kauft, soll vom Staat 4.000 Euro bekommen, beim Kauf von modernen, emissionsärmeren Benzin- und Dieselfahrzeugen soll es 3.000 Euro geben. Nach diesen Kritierien würde auch der Kauf der teuren Mercedes-E-Klasse und von kleineren SUVs gefördert.
Kretschmann hält das „für ökologisch gut vertretbar“. Denn, so das Argument, wenn ältere Autos durch neue emissionsärmere ersetzt werden, nutze das dem Klima. Außerdem wolle man ja E-Autos deutlich stärker fördern. Er betont aber auch: Kurzfristig bringt noch mehr zusätzliches Geld für E-Autos nicht viel. Es fehlen nicht nur Ladestationen, sondern auch Fabriken für Batteriezellen. Kretschmann hat sich jüngst einen VW E-UP bestellt. Der werde eben erst im Herbst geliefert, so der Ministerpräsident. E-Autos haben nur einen Marktanteil von knapp 4 Prozent – laut Kretschmann zu wenig, um „eine Branche, die in die Knie gegangen ist, wieder nach oben ziehen“. Im April wurden 61 Prozent weniger Autos verkauft. Daher müsse man eben auch den Verkauf von Benzinern und Diesel fördern. „Ökologischer Purismus“ helfe nicht weiter, sagt Kretschmann.
Die Bundesgrünen suchen angesichts des Überholmanövers des Schwaben und der Abweichung von der grünen Linie nach einer Sprachregelung, die Kretschmann nicht verärgert – aber auch das volltönende Öko-Umbauprogramm nicht als bloß folgenlose Oppositionsprosa erscheinen lässt. Kein einfaches Unterfangen. Stefan Gelbhaar, in der Bundestagsfraktion Sprecher für Fahrradpolitik, sagt zu Kretschmanns Pro-Auto-Kurs: „Unsere Debattenkultur braucht unterschiedliche Ansatzpunkte, trotzdem ist das so nicht hilfreich.“ Das ist zartfühlend formuliert. Kretschmann ist in der Frage, wie der Staat in der Krise mit den Konzernen umgehen soll, von der grünen Parteilinie ungefähr so weit entfernt, wie es Sahra Wagenknecht in der Flüchtlingsfrage von der Linie der Linkspartei war.
Ein alter Konflikt
In Baden-Württemberg will in der Fraktion und dem Landesvorstand niemand sich mit Einwänden zitieren lassen. Bei der Basis sind immerhin skeptische Stimmen zu hören. In einem Brief kritisiert der Kreisverband Stuttgart, dass jetzt der „Automobilindustrie unter die Arme gegriffen werden soll“. Der Kreisvorsitzende Mark Breitenbücher hat Verständnis für das Dilemma des Ministerpräsidenten, bemängelt aber, dass mit der Kaufprämie alte Technologien gefördert werden. „Das ist keine gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland.“
Die IG Metall in Stuttgart hingegen ist durchaus für die Abwrackprämie – um Jobs zu retten. Die Gewerkschafter wollen aber, dass bei staatlicher Hilfe „Dividendenausschüttungen reduziert werden oder gänzlich entfallen“. Kretschmann hält das für falsch.
Der Konflikt zwischen der grünen Partei und Kretschmann in Sachen Umbau der Autoindustrie ist schon älter. Als Toni Hofreiter vorschlug, dass ab 2030 in Deutschland nur noch E-Autos zugelassen werden, fand Kretschmann, der seiner Partei mitunter in Hassliebe verbunden ist, das wenig überzeugend. 2016 machte Kretschmann in einem viel beachteten Spot Wahlwerbung mit einer dunklen Daimler-Limousine. Die Grünen bekamen bis vor Kurzem 40.000 Euro Spenden vom Daimler-Konzern, der allerdings seit 2019 an keine Partei mehr Geld gibt.
Georg Kurz, Bundesvorsitzender der radikalökologischen Grünen Jugend, stellt ziemlich konsterniert fest: „Ich kenne niemanden bei den Grünen, der Kretschmanns Position bei der Abwrackprämie teilt. Auch in Baden-Württemberg nicht.“ Es trage, so Kurz diplomatisch, „nicht zur Glaubwürdigkeit eines grünen Ministerpräsidenten bei, klimaschädliche Technologien zu fördern“.
Auch Fraktionschef Toni Hofreiter will den Ball gern flach halten und erinnert an vergangene Taten. „Winfried Kretschmann kommt in diesem Fall zu seiner Abwägung, ich zu einer anderen. Aber man kann ihm da keine Glaubwürdigkeit absprechen. Ich kann mich genau erinnern, wie entschlossen Winfried mit uns gegen die Bundesregierung einen höheren CO2-Preis durchgesetzt hat – ohne Winfrieds Druck hätte das nicht geklappt.“
An der Seite von Söder und der Autolobby glaubwürdig für grüne Ziele? Diese Art von Dialektik ist gewöhnungsbedürftig. Es bleibt der Eindruck, dass die Bundesgrünen schwungvoll die ökologische Verwandlung der Autobranche fordern, aber bei einem Ministerpräsidenten mit grünem Parteibuch beide Augen zukneifen.
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