Streit um den Brexit: „Weiter so“ geht nicht mehr
Nicht nur der britische Premier steht vor einem Scherbenhaufen, auch die Verhandlungstaktik der EU ist gescheitert. Ein „No Deal“-Brexit wird wahrscheinlicher.
!["No Deal Let's Go WTO" steht auf einem Pappschild, daneben der Union Jack. "No Deal Let's Go WTO" steht auf einem Pappschild, daneben der Union Jack.](https://taz.de/picture/4443655/14/26104014-1.jpeg)
E s läuft nicht gut für Boris Johnson. Immer mehr Briten wenden sich von seinem chaotischen Brexit-Kurs ab – und die Europäer spielen auch nicht mehr mit. Der EU-Gipfel hat sein Ultimatum für einen Handelsdeal schlicht ignoriert. Wir verhandeln weiter, so die trotzige Botschaft aus Brüssel.
Und nun kommt auch noch die Ratingagentur Moody’s und stuft die Kreditwürdigkeit Großbritanniens herab. Zur Begründung verweisen die Finanzexperten auf die Unfähigkeit der Regierung in London, einen Handelsvertrag mit Brüssel abzuschließen. Es ist eine Ohrfeige für Boris Johnson.
Ein Grund zur (Schaden-)Freude ist das allerdings nicht. Denn nicht nur der britische Premier steht vor einem Scherbenhaufen. Auch die Verhandlungstaktik der EU ist gescheitert. Sie hat ein Ziel nach dem anderen verfehlt – und muss sich nun auf einen „No Deal“ einstellen, das Worst Case Szenario.
Erst hofften die Europäer darauf, dass Johnson die beim Brexit vereinbarte Übergangszeit verlängern würde. Für die Wirtschaft hätte sich dann auch künftig nichts geändert. Doch nun läuft die Frist wie vereinbart am 31. Dezember ab. Deshalb wird die Zeit knapp, auch für die EU.
Michel Barnier und David Frost verhandeln am Montag
Brüssel hat versucht, London auf Dauer an die eigenen Regeln zu ketten. Bei den Steuern, den Löhnen und den Umweltstandards sollte sich Großbritannien trotz Brexit nach EU-Standards richten. „Level Playing Field“ heißt das, es soll einen fairen Wettbewerb sichern. Doch Johnson sagt „No“.
Zuletzt haben die Europäer dem britischen Premier auch noch einen Vertrauensbruch vorgeworfen. Tatsächlich hat Johnson mit seinem Binnenmarktgesetz gegen den Austrittsvertrag verstoßen. Doch die Brüsseler Drohung, deshalb die Verhandlungen abzubrechen, lief ins Leere.
Inständig bitten Kanzlerin Angela Merkel und Ratspräsident Charles Michel den Rabauken aus London nun darum, doch bitte, bitte weiter zu verhandeln. Man wolle einen Deal, wenn auch nicht um jeden Preis, erklärte Merkel in Brüssel. Johnsons Vertrauensbruch scheint vergessen.
Dafür gibt es einen schlichten Grund: It takes two to tango – für einen Deal braucht man nun einmal zwei Partner. Wenn die EU doch noch ein Handelsabkommen mit Großbritannien abschließen will, muss sie sich mit Johnson an einen Tisch setzen, auch wenn sie ihm zutiefst misstraut.
Doch wird es überhaupt noch zu Gesprächen kommen? Nach dem EU-Gipfel gaben sich die Europäer zunächst noch siegessicher. Verhandlungsführer Michel Barnier werde am Montag den Eurostar nach London besteigen und sich dann mit seinem britischen Counterpart David Frost treffen, hieß es.
Muss es immer Freihandel sein?
Doch mittlerweile ist das nicht mehr so sicher. Barnier solle doch nicht kommen, man werde miteinander telefonieren, heißt es in London. Ist das noch so ein perfider Trick, um die Europäer weichzuklopfen? Oder macht Johnson Ernst mit seiner Drohung, den „No Deal“ anzusteuern?
Genau werden wir das wohl erst am Montagmorgen wissen, wenn die Gespräche beginnen sollen. Klar ist nur eins: Ein „Weiter so“ wird es nicht geben. Im britisch-europäischen Verhältnis ist etwas zerbrochen – auch wenn die Europäer es immer noch nicht wahrhaben wollen.
Für den großen Freihandelsdeal wird es daher wohl nicht mehr reichen. Aber muss es eigentlich immer Freihandel sein? Insgeheim ist die EU längst von ihrem Maximalziel abgerückt. Am Ende dürften die Europäer schon froh sein, wenn sie Johnson überhaupt irgendwie einbinden können.
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