Streit um Tradition in Bayern: Sieg für Memminger Fischer-Frau

Gleichberechtigung geht über diskriminierende Tradition, hat ein Memminger Gericht entschieden. Christiane Renz darf nun mit in den Bach springen.

Christiane Renz reckt die Hände und trägt eine lila Schärpe mit goldener Aufschrift Fischerköngin. Neben ihr die Anwältin Christiane Renz

Gewonnen: Prozesssiegerin Christiane Renz und ihre Rechtsanwältin Susanne Bräcklein Foto: Patrick Guyton

MEMMINGEN taz | Christiane Renz ist glücklich: „Ich freue mich einfach nur, dass ich dieses Recht für die Frauen durchgesetzt habe“, sagt sie. Das Landgericht Memmingen hat ihr am Mittwochvormittag bestätigt, dass sie als Frau beim traditionellen Fischertag auch mit in den Stadtbach springen und „ausfischen“ darf – gegen den Villen des Vereins, der die Veranstaltung organisiert.

Renzs Vater Karl, ein Memminger Urgestein, sagt draußen vor dem Gericht: „Die Zeit ist vorbei, das müssen die im Verein endlich mal begreifen.“ Und weiter: „Frauen dürfen auch schon lange wählen und müssen nicht mehr den Mann um Erlaubnis fragen, wenn sie arbeiten wollen.“

Es war ein Gerichtsprozess, der in der Allgäuer Stadt hohe Wellen schlug. Eine diskriminierende Vereinstradition oder Gleichberechtigung – was wiegt mehr? Vom Amtsgericht Memmingen hatte Christiane Renz schon 2020 Recht bekommen. Doch der für den Fischertag – ein feucht-fröhliches Feier-Wochenende – zuständige Fischertagsverein wollte das nicht akzeptieren und ging in Berufung.

Der Präsident des Landgerichts, Konrad Beß, hat diesen Prozess gleich selbst an sich genommen. „Ein denkwürdiges Verfahren“ nannte er es. Beß wusste, dass er mit einem Urteilsspruch entweder den Verein mit seiner immensen Bedeutung für Memmingen vor den Kopf stößt – oder die konservativ geprägte Stadt deutschlandweit an den Pranger gestellt wird, in der sogar Gerichte Diskriminierung für zulässig erklären.

Endlich „reinjucken“

Es gebe „keinen sachlichen Grund“, Christiane Renz vom Ausfischen auszuschließen, meint er nun am Mittwoch. Auf die Tradition könne sich der Verein nicht berufen, denn diese wurde im Laufe der Jahre auch an anderer Stelle sehr aufgeweicht. So werden beim Ausfischen etwa kaum mehr traditionelle Kostüme getragen.

Im Prozess wurde Renz unterstützt von der auf Anti-Diskriminierungsverfahren spezialisierten Rechtsanwältin Susanne Bräcklein aus Berlin sowie der „Gesellschaft für Freiheitsrechte“.

Renz hat sich mit einem omnipotenten, mit dem mächtigsten Verein in Memmingen angelegt. Er besitzt 5.000 Mitglieder, und die Organisation und der Ablauf des Fischertags Ende Juli ist ihm eine ernsthafte, ja heilige Aufgabe. 30.000 bis 40.000 Besucher kommen zu dem Fest. Der Verein hat ganze 37 Untergruppen, die für das genau ausgetüftelte Programm zuständig sind. Überall können Frauen mitmachen – nur bisher nicht in der Gruppe der Stadtbachfischer. Das sind jene, die zum Ausfischen in den Stadtbach springen und Forellen fangen. Wer die dickste erwischt, wird Fischerkönig des Jahres – eine unschätzbare Ehre für viele Memminger.

Bis ins Jahr 1465 reicht die Tradition zurück, da war der Stadtbach eine Latrine. Einmal im Jahr wurde das Wasser, eine schmutzige Brühe, abgelassen und der Kanal gereinigt. Um die Fische darin nicht umkommen zu lassen, holte man sie raus. 1900 gründete sich der Fischertagsverein, um die eigentlich unbedeutende Tradition wieder aufleben zu lassen. Und 1932 wurden Frauen per Satzungsänderung vom Ausfischen ausgeschlossen.

Christiane Renz selbst ist 56 Jahre alt und hat seit eh je ihren Wohnsitz in Memmingen. Sie ist schon seit über 30 Jahren Mitglied im Verein. Sie sieht es so: „Das Ausfischen ist der zentrale Teil des Festes.“ Und schon als junges Mädchen wollte sie unbedingt „auch rein jucken“ – so nennen die Memmiger das Hineinspringen. 2022 dürfte ihr Traum Wirklichkeit werden, und womöglich wird sie dann die erste Fischerkönigin in der Vereinsgeschichte. 2020 und 2021 war das Fest wegen Corona abgesagt worden.

Der Vereinschef Michel Ruppert gab sich nach dem Urteil wortkarg. Ausdrücklich lässt das Gericht eine Revision beim Bundesgerichtshof zu. Bestätigt Karlsruhe allerdings die bisherige Rechtsprechung, dann liegt der Verein wohl in Trümmern. Ein Sprecher des Vereins sagte dem Bayerischen Rundfunk (BR) aber ohnehin, dass man das jetzige Urteil akzeptieren werde.

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