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Streit um TarifeinheitGewerkschaftsfreiheit in Gefahr

Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, warnt vor Eingriffen in das Grundgesetz. Darüber aber diskutiert die Große Koalition.

Bye-Bye Lokführergewerkschaft GdL. So zumindest würde es einem Teil der Arbeitgeber schmecken. Bild: dpa

BERLIN taz | In die Debatte über ein Ausbremsen der Berufsgewerkschaften hat sich jetzt die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts (BAG), Ingrid Schmidt, eingemischt. Sie warnt davor, den Grundsatz der Tarifeinheit – „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ – per Gesetz festzuschreiben. Denn dadurch werde der Wettbewerb der Gewerkschaften um den besten Tarif in jedem Unternehmen verhindert.

In der FAZ erklärt Schmidt: „Die Tarifeinheit ist darauf angelegt, Gewerkschaftskonkurrenz zu verhindern.“ Der im Grundgesetz gesicherte plurale Wettbewerb der Gewerkschaften „wird durch Regelungen zur Herstellung von Tarifeinheit behindert. Es geht deshalb […] um einen schwerwiegenden Eingriff in die gewerkschaftliche Betätigungsfreiheit“, führt Schmidt aus.

Die Debatte über die Tarifeinheit gärt seit 2010. Damals erklärte das BAG den Grundsatz „ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ für obsolet. Der Grundsatz, der nie in ein Gesetz gegossen worden war, hatte sich in der Praxis schon länger überlebt. Bereits vor 2010 hatten verschiedene Gewerkschaften unter einem Dach unterschiedliche Tarifverträge abgeschlossen. In Kliniken etwa verhandelte der Marburger Bund als Berufsgewerkschaft nur für die Ärzte – und Ver.di für das restliche, das nichtärztliche Personal.

Damit soll künftig Schluss sein: Union und SPD haben per Koalitionsvertrag vereinbart, den Grundsatz der Tarifeinheit gesetzlich vorzuschreiben. Eigentlich sollte solch ein Gesetz bereits im April vom Kabinett im Paket mit dem Mindestlohn beschlossen werden. Doch die Materie ist komplex und umstritten, weil viele Juristen unter anderem Eingriffe in das Streikrecht für unausweichlich halten. Das Arbeitsministerium prüft derzeit mögliche Regelungen.

Lokführer oder Piloten im Visier

Auf die Tarifeinheit per Gesetz hatten 2010 die Arbeitgeber, aber auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) gedrungen. Die Arbeitgeberseite will vor allem Streiks einzelner, mächtiger Berufsgruppen wie der Lokführer oder Piloten im Verkehrssektor verhindern.

An genau diesen durchsetzungsfähigen Spartenorganisationen rieben sich auch Gewerkschaften wie Ver.di oder die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), die neben Ärzten und Piloten oft schwach wirkten und Mitglieder und Einfluss schwinden sahen. Selbst sie haben sich aber von den Koalitionsplänen distanziert. Die Bedenken über die Folgen einer per Gesetz hergestellten Tarifeinheit wiegen schwer. „Es darf keinen Eingriff in das Streikrecht geben“, betonte der Ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske am Sonntag erneut. Diese Forderung ist die rote Linie, die die DGB-Gewerkschaften, darunter auch die mächtige IG Metall, mittlerweile markieren.

Ein Eingriff in das Streikrecht droht, weil die zweite, kleinere Gewerkschaft im Betrieb bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Tarifeinheit faktisch in die Friedenspflicht gezwungen würde. Damit wären den Beschäftigten Streiks untersagt, auch wenn ihre Gewerkschaft gar nicht an der Aushandlung beteiligt oder von den Ergebnissen des Tarifvertrags betroffen wäre, über den sich die größere Gewerkschaft im Betrieb mit den Arbeitgebern geeinigt hat. Faktisch wären zumeist die Berufsgewerkschaften damit vielerorts entmachtet.

Durch eine gesetzliche Tarifeinheit sei die im Grundgesetz verbriefte Koalitionsfreiheit, also das Recht, Gewerkschaften zu gründen und frei zu entscheiden, welcher Gewerkschaft man sich anschließt, bedroht, argumentiert BAG-Präsidentin Schmidt. Sie schließt zwar nicht aus, dass die Politik per Gesetz die Tarifeinheit vorschreiben könnte. Sagt aber auch: „Die Rechtfertigungen, die bisher zu vernehmen waren, reichen dafür aus meiner Sicht nicht aus.“

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12 Kommentare

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  • das Ganze nennt sich dann "marktkonforme" Demokratie

  • L
    Lokführer

    Erst haben sie uns in den freien Wettbewerb geworfen, weil das heilige Wettbewerble ja angeblich alles billiger macht. Das einzige was billiger wurde, waren unsere Gehälter. Jetzt wehren wir uns erfolgreich über unsere kleinen Gewerkschaften, jetzt wollen sie uns die auch noch wegnehmen, damit wir endlich alle Sklaven sind. Ja, gehts denn noch? Vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dieses System mal daran zu erinnern, WER hier die eigentliche Arbeitsleistung bringt.

  • D
    Dimitri

    Damit wäre die Unabhängigkeit der Minigewerkschaften hin - die DGB-Gewerkschaften würden praktisch mit mehreren Mitgliedern und Beiträgen beschenkt. Es gibt sowieso in Deutschland keinen Wettbewerb zwischen Gewerkschaften, sondern entweder Minigewerkschaften oder DGB bzw. Christliche. Die Christlichen werden aber meist nicht als Gewerkschaft, sondern als eine arbeitgebernahe Organisation betrachtet. Bleibt unter dem Strich nicht viel.

    Eigentlich wäre es super, wenn es mehrere Gewerkschaften gäbe, dann wären die ganzen Schreibtisch-Funktionäre beim DGB wieder im Betrieb unterwegs. So brauchen sie das nicht, also passiert das auch nicht. Dass bei VW über 20 Jahre lang Beschäftige von Leiharbeitsfirmen kommen und in dem Betrieb die Gewerkschaft sehr gut vertreten ist, sagt viel über den realistischen Zustand von Gewerkschaften aus. Sie drohen zu neuzeitlichen Freimaurer-Bünden zu werden - kaum Mitglieder, aber elitär und mächtig.

  • Ach DAS macht unsere hat-noch-nie-gearbeitet Ministerin also gerade. Arbeitenden Menschen die Streikrechte beschnippeln... m(

  • K
    Kaboom

    Es geht mal wieder darum, das Gesetz den Bedürfnissen der Unternehmer anzupassen. War klar, nachdem sich Henkel im Kontext der Streiks bei der Bahn vor ein paar Jahren entsprechend geäussert hatte.

  • Mit einer Verfassungsaenderung duerfte es nicht getan sein, es gibt noch Artikel 11 EMRK ... Will die GroKo die Europaeische Menschenrechtskonvention aufkuendigen?

  • L
    Lowandorder

    "…BAG-Präsidentin Schmidt. Sie schließt zwar nicht aus, dass die Politik per Gesetz die Tarifeinheit vorschreiben könnte. Sagt aber auch: „Die Rechtfertigungen, die bisher zu vernehmen waren, reichen dafür aus meiner Sicht nicht aus.“

     

    that's the point -

    die Demontage des Sozialstaats wie des Rechtsstaats

    die Abkehr von der Trias

    Liberté Fraternité Egalité

    schreitet fort.

     

    Nach Hartz-IV-Verbrechen

    nehmen sich Merkel&ihre Grokofanten

    der Restbestände an;

    verbunden mit der Anmutung

    an die Rest-EU schon mal

    Agenda 2014 einzuführen;

     

    die (Facharbeiter)Gewerkschaften

    haben recht, aber auch den Satz von

    Dietrich Bonhöffer " erst holten sie die Kommunisten,

    ich war kein Kommunist…" nicht

    auf die Zeit runtergebrochen;

     

    welche Schulterschlußarroganz war noch bei

    IG-Chemie Rappe et al zu beobachten;

    wie klassenverräterisch hantierten

    die SPezialDemokraten!

     

    Wer das Schema der unsolidarisch-asozialen

    Eliten übernimmt -

    wie als Rolemodell GazPromGerd -

    wird irgendwann als nützlicher Idiot enden;

    und dabei selbst so hackfressig-indolent

    nix, aber auch gar nichts merken -

     

    wie das Darth-Vader-Trio -

    VW-Hartz-Peter GazPromGerd FDJ-Angie

     

    auf ihrer EU-Tour des Grauens kriminell.

  • Im Prinzip ist die Gewerkschaftsfreiheit eine gute Sache, so wie der freie Warenverkehr eine gute Sache ist. Sieht bei bei beiden die wirkliche Entwicklung ist es einfach entsetzlich. Der pure Egoismus.

    Während sich die Funktioneliten (Lokführer, Piloten, Fluglotsen, Schleusenwärter, Sicherheitspersonal am Flughafen), also der feine Personenkreis der durch Ausbildung und Position sofort ein Unternehmen zum Stillstand bringen kann und sich dadurch traumhafte Tarifabschlüsse erpressen kann, bleiben alle anderen im Unternehmen auf der Strecke (Putzfrau will mehr Geld... kommt halt ne andere).

    Dieser Zusammenbruch der Solidarät innerhalb eines Unternehmens und den Werktätigen scheint ein nicht aufzuhaltender Prozess zu sein.

    Proletarier aller Welt, vereinigt euch. Grenzt nicht die eigenen Kollegen vom Erfolg aus. Ihr seid doch besser wie die Kapitalisten, oder etwa nicht.

    • HF
      Helmut Fuchs
      @Demokrat:

      Ist Ihnen schon mal die Idee gekommen, dass Lokführer, Piloten, Fluglotsen usw. usf. ihre eigenen Interessen vertreten könnten, weil sich die Großgewerkschaften zu weit vom Ziel einer echten Interessenvertretung der Arbeitnehmer entfernt haben?

       

      Wenn man sich z.B. die große Bahngewerkschaft EVG anschaut, dann ist die, zumindest nach meiner Beobachtung, ein reiner Bahn-AG-Vorstandswunschabnickverein.

       

      Ein Lokführer z.B. braucht eine Gewerkschaft, die u.a. auch für belastbare Dienstpläne kämpft - und nicht nur mit den Schultern zuckt und auf gestiegene Gehälter verweist, die man errungen habe. Die Großgewerkschaften können das gar nicht mehr leisten. Dazu müssten sie nämlich aushalten und vermitteln, dass es gemeinsame und widerstreitende Interessen innerhalb der organisierten Arbeitnehmer gibt.

      • @Helmut Fuchs:

        Einigkeit machte mal stark.

        Nun haben wohl die AG ihr Ziel erreicht: die Uneinigkeit der Belegschaft.

        Der AG bezahlt liebend gerne 2 % der Belegschaft 30 mehr anstatt allen Beschäftigten 6 % zu gönnen.

        Alles andere sind nur fadenscheinige Argumente

        Brave new world

    • S
      stephan
      @Demokrat:

      ein Arbeitnehmer denkt im nortmalfall ebenfalls kapitalistisch und möchte den bestmöglichen Preis für seine Arbeitskraft erziehlen

       

      Auch kleine und schlecht bezahlte Arbeitnehmer können durch ein Streik ganz schnell einem Unternehmen Probleme bereiten.

       

      Das Problem bei großen Gewerkschaften ist ein einfaches - oft werden die Funktionäre dieser Gewerkschaften gut von Unternehmer mit versorgt, sei es durch Posten oder gut bezahlte Vorträge.

      • @stephan:

        Teilweise stimme ich hier zu. Das mit den großen Gewerkschaften stimmt auch (siehe Bsirske mit der lufthansa und First Class Fluege).

        Auch für die gewerkschäften täten Compliance Richtlinien gut.

        Leider haben kleine und schlecht bezahlte Arbeite schon lange nicht mehr die Möglichkeit.

        Einigkeit machte mal alle Beschäftigten stark. Das ist passe. Für die AG sind die Splittergewerkschaften letzlich nur ein Dorn im Auge, den anderen Beschäftigten wird aber mit dem Balken den Boden unter den Füßen weggezogen.

        Brave new world