Streit um Spitzenkandidat Hubert Ulrich: Saar-Grüne fechten eigene Liste an
Ulrich ließ sich zum Spitzenkandidaten küren, obwohl der Platz für Frauen reserviert ist. Kritiker wollen das juristisch stoppen.
Die parteiinterne Opposition gegen Ulrich beantragt deshalb beim Schiedsgericht außerdem eine einstweilige Anordnung, mit der dem amtierenden Landesvorstand untersagt wird, die Liste bei der Landeswahlleiterin einzureichen. Hilfsweise regen die Antragsteller an, den auf Platz eins gewählten Ulrich zu streichen und nur die restlichen KandidatInnenvorschläge einzureichen.
Die Kritiker des ehemalige Partei- und Landtagsfraktionsvorsitzende Ulrich werfen dem 63-Jährigen vor, in einem „rücksichtslosen Egotrip“ seine Wahl zum Spitzenkandidaten durchgesetzt und damit eklatant gegen das Frauenstatut der Partei verstoßen zu haben. Platz eins einer grünen KandidatInnenliste ist danach grundsätzlich für eine Frau reserviert. Nur wenn sich keine Kandidatin findet, kann der Platz für Männer geöffnet werden. Wie lange versucht werden muss, eine Frau für Platz eins zu finden, ist strittig.
Beim entscheidenden Parteitag in Saarbrücken hatten die Delegierten in drei Wahlgängen die amtierende Landesvorsitzende Tina Schöpfer durchfallen lassen. Danach wurde die Wahl per Abstimmung für Männer geöffnet. Ulrich setzte sich durch. Der Versammlungsleiter habe nicht nach der Kandidatur einer neuen Kandidatin gefragt, sondern bereits für den vierten Wahlgang Ulrich zugelassen, beklagte sich eine mögliche Bewerberin bei der taz. Mit der Sprecherin der Grünen Jugend, Jeanne Dillschneider, stand auch eine Frau als Alternative zur Wahl, doch die Delegierten wählten Ulrich.
„Einblick in Stimmzettel genommen“
Die Grünen hinter der Streitschrift sehen in Ulrichs Verhalten dann auch einen klaren Verstoß gegen die Satzung. Bei der Wahl des Spitzenkandidaten „und bei den Wahlen zu den weiteren Listenplätzen“ sei es „zu mehreren erheblichen Verstößen gegen Satzungs- und Wahlrecht“ gekommen, heißt es zur Begründung.
Vertreter der Grünen Jugend und der Grünen Senioren hätten laut Streitschrift Stimmzettel erhalten, obwohl sie gar nicht stimmberechtigt gewesen seien. Andere Delegierte seien rechtswidrig nicht zugelassen worden.
Auch die Grundsätze einer freien und geheimen Wahl seien verletzt worden. Ein Ersatzdelegierter habe „gehört und auf Video festgehalten, dass der Kandidat Hubert Ulrich Delegierte während des laufenden Wahlgangs beeinflusst hat, indem er Anweisungen gegeben hat, welche Person in welcher Art und Weise zu wählen ist“. Dabei habe Ulrich „auch Einblick in Stimmzettel genommen“.
Auch die Bundespartei hat das Verfahren kritisiert. Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ließ wissen, sie habe sich „das anders gewünscht“. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner hatte bereits im Vorfeld den Landesvorstand auf das Frauenstatut hingewiesen.
Auch die Wahl für Listenplatz 2 fiel kurios aus. Mit knapper Mehrheit wurde die Saarbrücker Kommunalpolitikerin Irina Gaydukova gewählt, die in ihrer Kandidatenbefragung auf mehrere inhaltliche Fragen keine Antwort wusste. Ein zweiminütiger Videospot aus ihrer peinlichen Vorstellung, der im Internet die Runde machte, löste einen Shitstorm aus. Gaydukova gab schließlich den aussichtsreichen Listenplatz zwei auf und trat sogar aus der Partei aus.
Für die Grünen ist die skurrile Episode alles andere als lustig. Die neue einstweilige Verfügung gegen die Einreichung der Liste könnte die Affäre noch einmal unbequemer machen. Bis zum 19. Juli müssen die Landesparteien ihre KandidatInnenlisten bei der Landeswahlleitung eingereicht haben. Nur dann können die Parteivorschläge auf den Stimmzetteln erscheinen. Schaffen es die Saar-Grünen nicht, bis dahin eine rechtlich einwandfreie Liste einzureichen, fallen im Saarland alle Wahlstimmen für die Grünen unter den Tisch.
Das wäre ein herber Rückschlag für die Partei, die erstmals mit einer Kanzlerkandidatin antritt. Mit Stephan Körner, der in der „Saarmaika“-Koalition von Grünen, FDP und CDU von 2009 bis 20012 Kultusstaatssekretär war, haben Ulrichs GegnerInnen jedenfalls einen erfahrenen Richter als Berater und Ansprechpartner in den juristischen Showdown geschickt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind