Streit um Saale-Ausbau: Beton in Flusslandschaften
Sachsen-Anhalt will die Saale für die Schifffahrt ausbauen. Ein überflüssiges Millionenprojekt, sagen Kritiker, der erwartete Schiffsverkehr werde nie eintreten.
HALLE taz Der Schleusenwärter blickt auf das über 100 Meter lange Becken, in dem ein einziges Sportbötchen langsam nach unten sinkt. Immerhin, heute sind hier - 20 Kilometer vor der Mündung der Saale in die Elbe - schon ein paar Hobbykapitäne vorbeigekommen. Doch ein richtiges Frachtschiff hat der Mann in Calbe zuletzt vor einem Monat gesehen: ein Schwertransporter brachte Behälter für eine neue Chemieanlage.
Regelmäßigen Schiffsverkehr gibt es auf der Saale schon lange nicht mehr. Im Hafen von Halle, der vor ein paar Jahren für 30 Millionen Euro ausgebaut wurde, hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren kein einziger Frachter festgemacht. "Die Reeder wollen stabile Schifffahrtsbedingungen", begründet Hafensprecher Andreas Haschke, warum sämtliche Transporte vom und zum Hafen inzwischen per Bahn oder Lkw abgewickelt werden. Zwar ist durch fünf Staustufen zwischen Calbe und Halle garantiert, dass Europaschiffe mit einem Tiefgang von 2,50 Meter und einer Ladekapazität von 1.350 Tonnen ganzjährig fahren können. Doch auf den letzten 20 unverbauten Flusskilometern bis zur Mündung schwanken die Wasserstände, und oft haben Europaschiffe hier zu wenig Wasser unterm Kiel.
Das wollen die Verkehrsministerien von Bund und Sachsen-Anhalt schon lange ändern. Nachdem die von ihnen als "vordringlich" klassifizierte Staustufe gescheitert war, möchten sie nun einen sieben Kilometer langen Kanal bis zur Elbe graben. Kurz vor Ostern legten sie überraschend die Planungsunterlagen für das Raumordnungsverfahren auf den Tisch; bis zum Freitag konnten Einwände beim zuständigen Amt in Halle eingereicht werden.
80 Millionen Euro sind für das Bauwerk veranschlagt. Das Geld aber wird kaum reichen - die zugrunde gelegten Daten sind zehn Jahre alt. Auch die übrigen Annahmen erscheinen unwahrscheinlich. 1,5 Millionen Tonnen jährlich sollen auf der Saale hin- und herfahren, wenn der Kanal erst da ist. Das hat das Planco Institut im Auftrag des Verkehrsministeriums ausgerechnet. Bedarf an Schiffstransporten gäbe es vor allem für Kies und Sand, Getreide und Düngemittel, die in Richtung Magdeburg und Hamburg unterwegs sind.
Doch Kritiker stellen diese Prognose in Frage. Der Wirtschaftswissenschaftler Hans-Ulrich Zabel von der Uni Halle hat im Auftrag des Bund für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) ein Gutachten vorgelegt, das den Saaleausbau als gigantische Verschwendung von Steuergeldern bezeichnet. Der erwartete Verkehr werde nie eintreten, so das Ergebnis der Analyse. Schließlich enden die Transporte nicht an der Saalemündung, sondern gehen weiter elbaufwärts. Dort aber gibt es die gleichen Probleme wie heute auf den letzten Kilometern der Saale: Der Wasserpegel schwankt. Offiziellen Daten des Wasser- und Schifffahrtsamts Magdeburg zufolge war der entsprechende Elbabschnitt in den Jahren 2004 bis 2007 durchschnittlich nur 88 Tage für voll beladene Europaschiffe befahrbar. Gerade einmal eine Million Tonnen Güter wurden auf der Elbe transportiert - viel weniger also, als die Saale künftig beisteuern soll.
Das alles aber ficht die Lobbyisten des Projekts nicht an. "Dann werden die Schiffsladungen eben dem Tiefgang angepasst", sagt Manfred Sprinzek vom Verein zur Hebung der Saaleschifffahrt. Da gibt es allerdings ein Problem: Der Transport rechnet sich erst ab 1.000 Tonnen. Und selbst für halbvolle Schiffe führte die Elbe in den letzten Jahren an mindestens 140 Tagen im Jahr nicht genügend Wasser. ANNETTE JENSEN
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