Streit um Handelsabkommen: Letzte Chance vor dem Aus
Neue Gespräche sollen klären, ob es einen Deal zwischen Großbritannien und der EU geben wird. Am Montag könnte die Entscheidung fallen.
Im monatelangen Streit zwischen der EU und Großbritannien um ein Handelsabkommen nach dem Brexit hat das Endspiel begonnen. Nach fieberhaften Verhandlungen am Sonntag in Brüssel könnte am Montag die Entscheidung fallen. Deal oder No Deal: Das ist die Frage – doch bisher wagt niemand eine Antwort.
Vor allem die Europäer zögern. Sie sind hin- und hergerissen zwischen der eher konzilianten deutschen Haltung und dem harten Auftreten Frankreichs. Kanzlerin Angela Merkel will fast alles tun, um den für Deutschland wichtigen Handel mit Großbritannien zu retten.
Frankreichs Europaminister Clément Beaune hingegen hat mit einem Veto gedroht und die EU zu Geschlossenheit gemahnt. Der britische Poker, auf eine Spaltung in der EU zu setzen, sei gescheitert, erklärte Beaune in der französischen Sonntagszeitung Journal de Dimanche.
„Die Verhandlungen sind ein Marathonlauf“, sagt ein mit den Gesprächen vertrauter EU-Experte. „Wir sind schon bei Kilometer 40 angekommen, doch niemand weiß, ob und wann wir die Ziellinie überschreiten werden“, warnt der Mann, der EU-Verhandlungsführer Michel Barnier zuarbeitet.
95 Prozent des Abkommens seien fertig, heißt es in Brüssel. Über die restlichen fünf Prozent wird weiter gerungen. Dabei geht es um den für Frankreich wichtigen Fischfang, die Regeln für einen fairen Handel („Level Playing Field“) und ein Schiedssystem für Streitigkeiten.
Nachdem am Freitag die beiden Verhandlungsführer Michel Barnier und David Frost die Gespräche aufgrund unüberwindbarer Differenzen abgebrochen hatten, hatten am Samstag EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der britische Premier Boris Johnson telefoniert und versucht, die Knackpunkte aus dem Weg zu räumen – vergeblich. Der aus London abgereiste Barnier wurde daraufhin beauftragt, weiter zu verhandeln, und Frost eilte am Sonntag nach Brüssel.
Viel Zeit bleibt nicht. Bereits am Montagmorgen um 7.30 Uhr will der Franzose die 27 EU-Botschafter über den letzten Stand der Dinge unterrichten. Am Montagabend ist dann ein weiteres Telefonat zwischen von der Leyen und Johnson geplant. Es könnte die letzte Chance für eine Einigung sein.
Denn am Donnerstag tagt der EU-Gipfel. Bis dahin muß eine Einigung stehen, damit das Handelsabkommen noch wie geplant am 1. Januar 2021 in Kraft treten kann. Schließlich muß der Deal noch vom Europaparlament abgesegnet werden – und das warnt schon jetzt, dass die Zeit knapp werde.
Der Montag ist aber noch aus einem anderen Grund wichtig. An diesem Tag will Johnson im Unterhaus erneut das umstrittene Binnenmarktgesetz einbringen – samt den Passagen zu Nordirland, die Teile des vor einem Jahr geschlossenen Austrittsvertrages mit der EU aushebeln würden. Das britische Oberhaus hatte sie eigentlich gestrichen, aber die Regierung hatte sich vorbehalten, an ihnen festzuhalten. Wenn Johnson das vorantreiben sollte, könnte dies das Ende der Verhandlungen bedeuten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich