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Streit um Essensausgabe für ObdachloseAnwohner fühlen sich gestört

In Moabit darf die Obdachlosenhilfe seit Kurzem einen Parkplatz nicht mehr für die Verteilung von Essen nutzen.

Manchmal hilft schon ein warmes Getränk Foto: dpa

„Wir können die Welt nicht verändern – doch wir können aktiv sein und helfen“, lautet das Motto der Berliner Obdachlosenhilfe. Seit September 2013 versuchen die ehrenamtlich arbeitenden HelferInnen diesem Grundsatz gerecht zu werden. An verschiedenen Plätzen in Berlin, an denen sich Obdachlose aufhalten, bieten sie ein gesundes Essen, einen warmen Tee und saubere Kleidung an. „Es kommen immer viele Menschen, die froh sind, zumindest einmal die Woche satt zu ­werden“, berichtet Falko Stein, einer der Helfer, gegenüber der taz.

Doch es gibt nicht nur Zustimmung. Eine Rewe-Filiale am Moabiter Hansaplatz hat der Obdachlosenhilfe seit 1. Januar untersagt, ihren Parkplatz für die Essensausgabe zu nutzen.

Bereits Mitte Dezember 2016 fand eine von dem Moabiter SPD-Abgeordnetenhausmitglied Thomas Isenberg moderierten Veranstaltung unter dem Motto „Sicherheit und Sauberkeit im Hansaviertel“ statt. Dabei hatten sich zahlreiche AnwohnerInnen über die Präsenz von Obdachlosen im Stadtteil beschwert.

Der auf der Veranstaltung anwesende Polizeikommissar Mario Kanisch hielt den subjektiven Bedrohungsgefühlen einiger Anwesender entgegen, dass die Kriminalität rund um den Hansaplatz in den letzten Jahren zurückgegangen sei. Daher hatte das Verwaltungsgericht den Platz aus der Liste der kriminalitätsbelasteten Orte (KBO) herausgenommen, was die polizeilichen Eingriffsmöglichkeiten reduziert.

Thomas Isenberg hingegen gab sich auf der Veranstaltung als Law-and-Order-Mann und forderte die Gewerbetreibenden auf, Wohnungslosen nichts mehr zu verkaufen und keine Pfandflaschen abzunehmen. Auch die Berliner Obdachlosenhilfe griff Isenberg scharf an und beschuldigte sie, Wohnungslose in den Stadtteil zu locken.

„Bedenkliche Mittel“

In einer Großen Anfrage wollen die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Mitte wissen, ob das Bezirks­amt die Bestrebungen teilt, Obdachlose mit bedenklichen Mitteln gezielt vom Hansaplatz zu vertreiben und ob MitarbeiterInnen der Behörde an der kritisierten Veranstaltung teilgenommen haben.

Dafür habe er viele wütende Mails von BewohnerInnen des Hansaviertels bekommen, meinte der sozialpolitische Sprecher der Grünen in der BVV-Mitte, Taylan Kurt, gegenüber der taz. Vor allem die neuen EigentumswohnungsbesitzerInnen würden die Law-and-Order-Politik des SPD-Manns unterstützen, so die Einschätzung des Politikers.

Die Grünen wollen zudem mehr dezentrale Anlaufstellen für Obdachlose einrichten. Das ist ganz im Sinn der Obdachlosenhilfe. „Wir würden uns gern überflüssig machen, indem unsere Arbeit von sozialen Diensten übernommen wird“, sagte Falko Stein.

Update: In einer ersten Version dieses Textes wurde Thomas Isenberg fälschlicherweise als Mitglied des Bundestags bezeichnet.

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9 Kommentare

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  • In Berlin gibt es einige Tausend Obdachlose und entsprechende Ressentiments: Sie sind nicht überall gern gesehen, manche von ihnen riechen auch ungepflegt, betrinken sich und benehmen sich daneben.

     

    Dass nun SPD-Mann Thomas Isenberg, statt den Obdachlosen zu helfen oder gar die Obdachlosigkeit an sich zu bekämpfen, auf primitivpopulistische Art und Weise gegen Obdachlose und ihre bewundernswert engagierten Helfer vorgeht, nur um im Hansaviertel Wählerstimmen einzusammeln, ist unerträglich und sagt viel über SPD-Mann Isenberg, über die SPD, und letztlich auch über die SPD-Wähler.

     

    Die Vorgänge sind darüber hinaus auch symptomatisch für die gesamte Parteienlandschaft. Inhalte sind sekundär, aber für Wählerstimmen wird mit hemmungslosem Opportunismus ALLES getan: Im Hansaviertel hetzt man hemmungslos gegen die Schwächsten, um Stimmen von Wohnungseigentümern einzusammeln, in einem anderen Bezirk hält man eine ganz andere Selbstdarstellung für opportun. Bei der einen Wahl empfehlen die Parteistrategen dies zum Stimmenfang, bei einer anderen Wahl jenes und notfalls das Gegenteil.

     

    Aber: Gegen "Populismus" sind angeblich alle.

    • @M.Schneider:

      Als Mitglied der SPD in Moabit möchte ich mich erstmal gegen Ihre Pauschal-Verurteilung aller SPDler und SPD-Wähler wehren - und zwar entschieden!

       

      Keineswegs geht es einfach nur um Stimmen - die Berlin-Wahl ist längst vorbei und Thomas Isenberg ist kein Kandidat für die BTW.

       

      Auch wenn ich den Vorgang überhaupt nicht unterstütze und reflexartiges Verhalten auf "nicht sicher fühlen" ablehne, sollte man bedenken, dass es IMMER mindestens 2 Seiten gibt. Lesen Sie dazu den Text von Hansaliebhaber.

       

      Ich hoffe und denke, dass sich ein Weg findet, damit die Obdachlosenhilfe in der Umgebung wieder ihre engagierte Hilfe aufnehmen kann - vor allem nach dem Beschluss der SPD Mitte vom 18.01.17, der sich dafür ausspricht.

       

      Und noch eine Bitte: gegen Populismus mäkeln, aber Pauschalurteile sprechen? Das nächste Mal nachdenken, ob das zusammenpasst.

  • EigentumswohnungsbesitzerInnen, die noch vor Kurzem gefühlsduselig das Weihnachtsfest begangen haben, sitzen schön mollig warm und satt in Ihren Buden, stöhnen über ihre erneut zugelegten Pfunde und stören sich daran, dass in Sichtweite frierende und hungernde Obdachlose was zu Essen bekommen...

    Ein Discounter, der sich noch im letzten Monat dumm und dämlich daran verdient hat, dass die Christenheit mal wieder das 'Fest der Liebe' feierte, verbietet eine Woche später gelebte Nächstenliebe auf seinem Parkplatz - und hat dabei vermutlich keine Umsatzeinbußen zu verzeichnen...

    Und ein Bundestagsabgeordneter, welcher ausgerechnet für die Partei eines August Bebel, eines Wilhelm Liebknecht, eines Adolf Hepner, eines Kurt Schuhmacher und eines Willy Brandt im Parlament sitzt, schämt sich nicht sich hier derart unsozial gegen die Ärmsten der Armen zu engagieren...

    Und alle Beteiligten finden das ganz normal ?

    Es ist zum Kotzen !

    • @LittleRedRooster:

      sehr gut formuliert, habe einfach das meiste von ihrer Ausführung kopiert nach Facebook..., danke und hoffe sie haben nichts dagegen...,

    • @LittleRedRooster:

      Herr Isenberg ist kein Bundestagsabgeordneter sondern Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses.

      Und die Welt ist nicht entweder Schwarz oder Weiß.

      Am Hansplatz in Berlin Moabit wohnen auch nicht vor allem Eigentumsbesitzer, sondern ganz normale Mieter und Mieterinnen, mit Familie und Kindern, viele ältere Personen. Und ja, die fühlen sich da nicht mehr wohl, weil seit ca. 2 Jahren der gesamte Platz abdriftet. Weil er bewohnt wird von stark alkoholisierten Gruppen, die pöbeln und aggressiv sind.

      Das dort ansässige Grips-Theater, das müsste auch Nicht-Berlineren ein Begriff sein, eskortiert inzwischen seine jungen Besucher, nachdem vor denen öffentlich vom Matrazenlager aus masturbiert wurde.

      Das ist ein Problem, und das muss gelöst werden. Aber sicher nicht auf der Schiene, dass hier der Eindruck entsteht, dass "fette Eigentumsbewohner" ihre Privilegien verteidigen wollen.

      Hier handelt es sich um Familien, die sich nicht mehr trauen, ihre Kinder ohne Begleitung auf den Schulweg zu schicken. Möchte das irgendjemand?

      Bitte erst mal an der eigenen Nase fassen.

      Der Dialog in Bezug auf das Hansviertel läuft. Auch die Obdachlosenhilfe ist einbezogen. Ein "Weiter so" wird es aber nicht geben können.

      • @Hansaliebhaber:

        Herzlichen Dank für Ihren Beitrag! Er hilft das Ganze auch aus anderer Perspektive zu sehen und damit zu objektivieren - das hätte eigentlich der taz-artikel leisten müssen.

  • Thomas Isenberg hingegen ... forderte die Gewerbetreibenden auf, Wohnungslosen nichts mehr zu verkaufen und keine Pfandflaschen abzunehmen."

     

    Jaaa... gut, was Herr Isenberg da macht ist zwar eine Aufforderung zum Rechtsbruch (die Gewerbetreibenden sind zur Rücknahme aus § 9 Abs. 1 Satz 7, § 6 Abs. 8 VerpackV verpflichtet, verweigern sie die Rücknahme von bepfandeten Einwegverpackungen ist dies eine Ordnugnswidrigkeit nach § 10 Abs. 1 Nr. 10 VerpackV, § 69 Abs. 1 Nr. 8 KrWG - Geldbuße bis EUR 100.000.

     

    Ich könnte mir vorstellen, dass dieser Law & Order Blasebalg damit bei nicht allzu vielen Gewerbetreibenden verfängt.

  • Der Moabiter Hansaplatz? Setzen, Fünf! Irgendwie lernen das die Journalisten in Berlin nie mit den Berliner Bezirken und ihren Ortsteilen.