Streit um ESC: Österreichs Außenministerin mischt sich ein
Um den 70. Eurovision Song Contest 2026 in Wien gibt es schon Monate vor dem Start immensen politischen Wirbel. Anlass ist der Gaza-Krieg.

Österreich trägt im Mai 2026 den ESC aus. Er gilt als größter Musikwettbewerb der Welt.
Verschiedene Länder erwägen einen Boykott, um gegen das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen zu protestieren. Als Außenministerin des Gastgeberlandes sei sie „zutiefst besorgt über die Gefahr einer Spaltung zwischen den Mitgliedern der Europäischen Rundfunkunion in dieser Frage“, so die Ministerin.
Ministerin: ESC falsches Forum für politische Debatten
Zwar dürften politische Entwicklungen, gerade wenn sie mit humanitärem Leid einhergingen, nicht ignoriert werden. Sie sei aber überzeugt, dass der ESC sich nicht für Sanktionen eigne, so die Außenministerin. Solche Debatten würden in etablierte politische Foren gehören.
Kunst und Kultur könnten Brücken bauen. Sie halte es deshalb für unerlässlich, den Dialog mit den Künstlern und der Bevölkerung Israels aufrechtzuerhalten, von denen sich viele offen von den Handlungen ihrer Regierung distanzierten, schrieb Meinl-Reisinger weiter.
Die Europäische Rundfunkunion (EBU) will voraussichtlich im Dezember über den Umgang mit Israel entscheiden. Die EBU in Genf betrachtet den ESC als unpolitisches, künstlerisches Ereignis. Kriterium für die Teilnahme sei die Unabhängigkeit der jeweiligen Rundfunkanstalten, die die Künstlerinnen und Künstler entsendeten. Der israelische Kan-Sender werde diesen Anforderungen gerecht, hieß es zuletzt.
Zerreißprobe für den ESC
Es ist die größte Zerreißprobe in der Geschichte des Eurovision Song Contest (ESC): Acht Monate vor der in Wien geplanten 70. Ausgabe des weltweit größten Musikwettbewerbs droht ein Streit um die Teilnahme Israels das Teilnehmerfeld zu spalten. Spanien, Irland, die Niederlande, Island und Slowenien drohen bei einer israelischen Teilnahme mehr oder minder definitiv mit einem Verzicht, weitere Länder wackeln.
Wie begründen sich die Boykottdrohungen?
Die Hauptbegründung ist das Vorgehen Israels im Gaza-Streifen nach dem Angriff der radikalislamischen Hamas im Oktober 2023. Diese Kritik wurde bereits bei den zwei jüngsten ESC-Finals im schweizerischen Basel und im schwedischen Malmö sehr deutlich. In Malmö gab es 2024 wütende Demonstrationen mit vielen tausend Teilnehmern. In Basel war der Straßenprotest im Mai kleiner, aber es gab offene Kritik an Israel und Solidarisierungen mit den Menschen in Gaza.
Gibt es auch andere Kritik?
Das unerwartet starke Abschneiden der israelischen Starterin Yuval Raphael in Basel sorgte für Manipulationsvorwürfe. Die in der Jurywertung lediglich auf Platz 15 platzierte Israelin gewann völlig überraschend die Zuschauerabstimmung. Dies weckte in vielen Ländern Zweifel daran, dass bei der Abstimmung alles mit rechten Dingen zuging. Die europäische Rundfunkunion EBU fand bisher keine Hinweise auf Manipulationen. Israel schien von einer aufwändigen Werbekampagne in sozialen Netzwerken profitiert zu haben.
Welche Konsequenzen drohen bei Israels Teilnahme?
Die Teilnehmerzahl von zuletzt 37 Ländern könnte deutlich sinken. Bei fünf Ländern scheint der Verzicht bei einer Teilnahme Israels bereits definitiv. Neben Spanien, Irland, Island, Slowenien und den Niederlanden sollen weitere Teilnahmen wackeln. Belgien etwa brachte bereits nach dem Basler Finale für 2026 einen Verzicht ins Gespräch.
Was macht Spaniens Ankündigung so heikel?
Spanien schnitt ähnlich wie Deutschland in den vergangenen Jahren oft enttäuschend beim ESC-Finale ab. Die spanischen Zuschauer gelten trotzdem als leidenschaftliche Fans des Wettbewerbs. Spanien zählt auch zu den Big Five, den fünf großen Geldgeberländern des ESC. Sollte Spanien also boykottieren, fehlen nicht nur viele Millionen Zuschauer – dem wegen der spektakulären Show kostspieligen Wettbewerb fehlt dann auch viel Geld.
Wann entscheiden sich die Boykottandrohungen?
Im Dezember will die EBU bei ihrer Generalversammlung über die Teilnahme Israels entscheiden. „Wir verstehen die Bedenken und tiefen Überzeugungen hinsichtlich des anhaltenden Konflikts im Nahen Osten“, erklärte ESC-Direktor Martin Green. Die Rundfunkunion wirkte allerdings bei den zwei vergangenen ESC-Finals überfordert damit, die Politik vom Wettbewerb fernzuhalten und zwischen den Teilnehmerländern einen Konsens zu erzielen. Der Ausgang eines von der EBU eingeleiteten sogenannten Konsultationsprozesses zu Israel scheint völlig offen.
Wie verhält sich Deutschland?
In Deutschland gibt es bisher keinerlei Anzeichen für einen möglichen Boykott, Kulturstaatsminister Wolfram Weimer kritisierte vielmehr die Boykott-Forderungen. Der neuerdings für die ESC-Vorbereitung zuständige Südwestrundfunk arbeitet planmäßig an der Vorbereitung des deutschen Vorentscheids. Hier steht mittlerweile fest, dass die in diesem Jahr gewählte Zusammenarbeit mit RTL und dessen Moderator Stefan Raab nach nur einem ESC bereits wieder vorbei ist.
Gab es eine ähnliche Situation wie in diesem Jahr schon früher?
Der ESC will zwar neutral und unpolitisch sein. Er konnte sich aber nie von der Weltpolitik abkoppeln. In Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine darf Russland mittlerweile nicht mehr teilnehmen. 1975 führte der Zypernkonflikt zum Boykott Griechenlands. 1979 verzichtete die Türkei auf die Finalteilnahme aus Protest gegen Israels Vorgehen im Nahen Osten. Im Zuge der Balkankriege ging die EBU insbesondere gegen Serbien mit dessen damaligem Präsidenten Slobodan Milošević vor. In dem Ausmaß wie in diesem Jahr gab es allerdings noch nie Konflikte – es handelt sich um eine echte Zerreißprobe des weltweit am meisten beachteten Musikwettbewerbs.
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