Streit über Russland-Sanktionen: Europaministerin auf Abwegen
Brandenburgs SPD-Ministerin Katrin Lange findet Sanktionen gegen Russland sinnlos – und erntet deutliche Kritik.
Lange hatte im Mai ein Grußwort anlässlich des 75. Jahrestags des Kriegsendes und des Europatags am 9. Mai veröffentlicht. Darin arbeitete sie sich an den über Russland wegen der Krim-Annexion und des Kriegs in der Ostukraine verhängten Sanktionen ab. Es sei „eine Tatsache, dass die verhängten Sanktionen Russland und Deutschland schaden, der Krim andererseits aber nicht helfen. Welchen Sinn macht das noch?“ Zu einer stabilen europäischen Ordnung gehöre ein belastbares und berechenbares Verhältnis zu Russland. „Das gilt auch bei Anerkennung aller Unterschiede und Differenzen mit der heutigen russischen Führung“, so Lange.
Das kam nicht gut an. Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk bezeichnete in einem Interview mit den Potsdamer Neuesten Nachrichten Langes Forderung als „Schlag ins Gesicht für Tausende von Opfern des russischen Feldzuges im Donbas sowie für die zwei Millionen Einwohner der Krim“. Die Sanktionen „verderben Putins Appetit auf neue Kriege und erhöhen den Preis seiner völkerrechtswidrigen Besatzungspolitik“. Auch mehrere Osteuropaforscher kritisierten die Ministerin.
Lange aber legte nach. Die Sanktionspolitik sei gemessen an ihren eigenen Zielen gescheitert, ihre Befürworter würden haltlose Spekulationen verbreiten. Unterstützung bekam sie von dem russischen Botschafter Sergei Netschajew: Lange habe eine Meinung ausgesprochen, die von vielen geteilt werde. Die Sanktionen könnten Russlands Position nicht beeinflussen.
Koalitionsknatsch in Brandenburg
Ausgestanden ist die Sache damit nicht. Bei der CDU, mit der die SPD in Brandenburg in einer Koalition mit den Grünen regiert, ist man von Langes Äußerungen beunruhigt. Sie solle Ursache und Wirkung nicht verwechseln, sagte die europapolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Barbara Richstein, der taz. „Russland hat das Völkerrecht gebrochen.“ Als Europaministerin müsse Lange auch die Partnerländer in der EU wie Polen und die baltischen Staaten im Blick haben, in denen es gegenüber Russland große Sicherheitsbedenken gebe.
Auch FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg schaltet sich ein. Die wirtschaftlichen Sanktionen seien ein wichtiges politisches Signal, dass Europa dem kontinuierlichen Bruch des Völkerrechts durch Russland in der Ukraine nicht einfach untätig zusehe, so Teuteberg, die auch den Brandenburger Landesverband führt. „Überhaupt nicht in Rechnung zu stellen, dass auch das politische Signal europäischer Einigkeit sowie das Verhindern einer weiteren Eskalation Erfolge der Sanktionen sind, ist Ausdruck einer reichlich schlichten und unterkomplexen Sichtweise“, sagte Teuteberg der taz.
Die FDP-Politikerin weiter: „Deutschlands historische Verantwortung gilt nicht nur gegenüber Russland, sondern auch gegenüber Polen und dem Baltikum, unseren engen Verbündeten in der Region und gegenüber der Ukraine, die besonders unter dem Zweiten Weltkrieg gelitten hat.“ Angesichts dieser Geschichte sowie des Hitler-Stalin-Paktes sei es geradezu zynisch, die historische Verantwortung in der Gegenwart als Rechtfertigung für ein Preisgeben der Souveränität der Ukraine heute zu instrumentalisieren.
Auch Ex-Ministerpräsident Platzeck will Russland-Nähe
Mit ihrer Sichtweise ist Lange allerdings in der SPD keine Exotin. Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck wird nicht müde, ein besseres Verhältnis zu Russland zu beschwören. Der einstige SPD-Vorsitzende erzählt gern von Kindheitserinnerungen an Sowjetsoldaten in Potsdam und Saunagängen mit dem Ex-Chef der russischen Eisenbahngesellschaft. Eine Langversion davon hat er im Frühjahr als Buch veröffentlicht. Titel: „Wir brauchen eine neue Ostpolitik – Russland als Partner“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Kanzlerkandidat-Debatte
In der SPD ist die Hölle los
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört