Streit über Justizreform in Israel: Demokratie als Handelsware

Wirtschaftsliberalismus ist im Niedergang begriffen. In der Staatskrise in Israel kämpft allerdings eine wehrhafte Ökonomie für den Rechtsstaat.

Menschen demonstrieren mit kleinen und großen Israel-Flaggen und vereinzelt mit Regenbogenflaggen

Proteste gegen die Justizreform am 27. März in Jerusalem Foto: Oren Ziv/ap

In einem Essay in der Zeit stellte Albrecht Koschorke kürzlich fest: Die Tage des Westens sind gezählt. Auch wenn Russland seinen brutalen Angriffskrieg in der Ukraine aufgrund der Hilfe des Westens nicht gewinnt. Der politische Liberalismus befindet sich im Untergang. Jener Liberalismus, der versprach, Fortschritt, Demokratie und Marktwirtschaft zu verbinden. Die letzte Version dieses Glaubens sei die Formel „Wandel durch Handel“ gewesen. Jene Vorstellung habe Russland ja unmissverständlich widerlegt.

Ganz woanders – in Israel – zeigt sich nun, dass dies nicht die letzte Version war. Die Lage ist kompliziert. Das erste, gänzlich rechtsgerichtete Kabinett in der Geschichte des Landes unter Führung des unter Korruptionsverdachts stehenden Benjamin Netanjahu spielt das gesamte Repertoire des politischen Antiliberalismus durch: Ein groß angelegter Angriff auf Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und Bürgerrechte. Im Zentrum steht ein Umbau des Rechtswesen, der darauf zielt, juristische Unabhängigkeit einzuschränken.

Das betrifft zum einen die Bestellung der Höchstrichter, die nunmehr unter Regierungskontrolle stehen soll. Zum anderen ermöglicht es dem Parlament, Entscheidungen des Obersten Gerichts zu widerrufen – also de facto Gesetze zu beschließen, die als verfassungswidrig abgelehnt wurden. Damit wird das Oberste Gericht als Kontrollinstanz und wichtigster Gegenspieler der Regierung ausgehebelt.

Druck von der Straße wächst

Dagegen erhebt sich seit Wochen massenhafter und eindrucksvoller Protest. Die Zivilgesellschaft hat auf der Straße den Druck auf die Regierung erhöht. Neben anhaltenden Protesten der israelischen Bevölkerung tritt aber noch etwas anderes zutage: leiser, aber nicht weniger wirkmächtig.

Es ist das, was die israelische Zeitung Ha’aretz die „Achillesferse“ der amtierenden Regierung genannt hat: die Wirtschaft. Zahlreiche namhafte Ökonomen warnen in einem offenen Brief vor den Folgen dieser autoritären Politik für die israelische Wirtschaft. Der Staatsumbau schade dem Ansehen des Landes und schrecke Investoren ab. Es gebe internationale Befürchtungen. Eine Herabstufung des Kreditrankings drohe. Auch die Währung sei betroffen.

Vor allem die wichtige Hightechbranche spürt die Folgen des Imageschadens. Geldgeber drohen sich abzuwenden. Erste Unternehmen haben ihre Investitionen abgezogen – unter explizitem Hinweis auf den Justizumbau. Andere folgen. Die USA warnen vor einer Politik, die nicht im Einklang mit ihren Interessen und Werten stehe. Das ist die entscheidende Verquickung: die Durchdringung von Interessen und Werten. Genau dies wird an den Stellungnahmen seitens der Ökonomie deutlich.

Wirtschaft als politischer Akteur

Die Wirtschaft wird hier zu einem wirkmächtigen politischen Akteur. Nicht in dem alten Sinne, dass sie im Stillen sogenannte Lobbyarbeit betreibt – also Druck auf die Politik ausübt, um ihre Interessen durchzusetzen. Nein, die Ökonomie wird in Israel zum politischen Akteur, indem sie gewissermaßen als „Hüterin“ der Demokratie auftritt.

Das gegenwärtige Konfusionsspiel der politischen Kategorien – wie etwa jenes zwischen links und rechts – wird hier auf die Spitze getrieben: Wirtschaft setzt sich für demokratische „Werte“ ein, um ihre ökonomischen Interessen zu schützen. Ist das nun gut oder schlecht? Fortschritt oder nicht?

Der Aberwitz, der dem innewohnt, liegt an der entscheidenden Wende: Die Wirtschaft agiert so, weil sie den Ansehensverlust fürchtet. Weil sie den Vertrauensverlust fürchtet. Demokratische Verhältnisse sind also Garant für Ansehen und Vertrauen. Was aber bedeutet das für die Demokratie? Dabei geht es nicht mehr um Volksherrschaft oder um eine gerechte Gesellschaft. Es geht um Demokratie als Reputation, als Ansehen.

Demokratie ist zu einem Markenzeichen geworden. Zu einem Image. Letztlich also zu einer Ware. Das ist die allerletzte Version des alten liberalen Versprechens. Nicht mehr „Wandel durch Handel“. Auch nicht „Demokratie durch Handel“. Sondern „Demokratie als Handel“. So ist es also kein Zufall, dass der gemeinsame Generalstreik von Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern Netanjahu nun wohl doch zum Einlenken bringen wird.

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