Streit in der „Spiegel“-Redaktion: Der Fuchs im Hühnerstall
Viele Mitarbeiter des „Spiegels“ rebellieren gegen die Verpflichtung von „Bild“-Mann Nikolaus Blome als Vize. Die Ablehnung ist jedoch nicht einhellig.
![](https://taz.de/picture/147462/14/Wolfgang_Bu__chner_spiegel_blome.jpg)
BERLIN taz | Es ist mal wieder ein Scoop für den Spiegel – aber einer, auf den große Teile der Redaktion lieber verzichtet hätten: Ihr neuer Chef Wolfgang Büchner macht den bisherigen Bild-Vize Nikolaus Blome zu seinem Stellvertreter und Leiter des Hauptstadtbüros – noch vor Büchners Amtsantritt am 1. September, und ohne die Anteilseigner des Nachrichtenmagazins darüber informiert zu haben. Auch der bisherige Hauptstadtbüroleiter Konstantin von Hammerstein erfuhr davon über Gerüchte.
„Ich halte das für eine verfehlte Personalentscheidung“, sagte Franziska Augstein der taz und geht damit in Opposition zu ihrem Bruder Jakob, der die Erbengemeinschaft von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein in der Gesellschafterversammlung vertritt. „Gute Leute bekommen immer Gegenwind“, verteidigte Jakob Augstein gegenüber dem Branchendienst Meedia seinen Talk-Kollegen. Gemeinsam diskutieren sie in „Augstein und Blome“ beim TV-Sender Phoenix das Thema der Woche.
„Einen Mann von der Bild-Zeitung, die die NSA-Affäre heruntergespielt hat, zum stellvertretenden Chefredakteur des Spiegels zu machen, der sich in der Aufklärung ebendieser Affäre profiliert hat, halte ich für indiskutabel“, sagte Franziska Augstein. Damit hole man „den Fuchs in den Hühnerstall“.
Dort, im Hamburger Verlagshaus an der Ericusspitze, ist man derzeit vollauf damit beschäftigt, eine Sondersitzung der Gesellschafterversammlung der Mitarbeiter KG, die bisher eine offizielle Stellungnahme ablehnt, einzuberufen. Sie hält 50,5 Prozent der Verlagsanteile. Die 100 für einen entsprechenden Antrag nötigen Unterschriften kamen bis Mittwochmittag zusammen. Mit der eigenmächtigen Stellvertreterwahl Büchners sehen sie ihr Mitbestimmungsrecht verletzt.
Insider sprechen jedoch von einer „Grauzone“: Seit Jahrzehnten ist ungeklärt, ob laut Spiegel-Satzung auch die Ernennung von stellvertretenden Chefredakteuren zustimmungspflichtig ist. Die Frage stellte sich lange schlicht nicht, weil das Heft von Doppelspitzen geleitet wurde.
Motive bleiben unklar
Die Ablehnung Blomes in der Redaktion ist jedoch keineswegs einhellig. Wer unterschrieben hat, will also nicht unbedingt Blome als Spiegel-Vize verhindern, viele leitet nur das Interesse an einer Aufklärung des Vorgangs und die Sorge um den Betriebsfrieden. Selbst altgediente Spiegel-Leute können sich nicht an einen vergleichbaren Tumult im Haus erinnern.
Rätselhaft bleiben die Motive Büchners für diesen Kamikazekurs. Ein Teilnehmer berichtet von dessen gehetztem 20-minütigen Kurzauftritt bei der Ressortleiterrunde am Mittwoch, wo er die Personalie offiziell verkündete. Nach einer vom Blatt abgelesenen 5-Minuten-Erklärung habe er zum Entsetzen aller Anwesenden keine der gestellten Fragen zu Büchners Vorstellungen von der künftigen Politikberichterstattung aus Berlin und der Inkompatibilität Blomes mit dem Spiegel befriedigend beantwortet. Ahnungslos und unvorbereitet habe Büchner gewirkt. Für eine Stellungnahme war er am Donnerstag nicht erreichbar.
Auch die Rolle von Geschäftsführer Ove Saffe ist ungeklärt: Ein Vertrag mit Blome kann nicht ohne sein Wissen und seine Zustimmung geschlossen worden sein. Dass der Geschäftsführer der Überzeugung ist, dass er das gegen den Willen oder über den Kopf der stillen Gesellschafter hinweg entscheiden kann, irritiert nicht wenige beim Spiegel. Wessen Interessen wahrt Saffe?
Der Spiegel zeigt in dieser Abwehrschlacht derzeit jedenfalls, was vielen Lesern zuletzt fehlte: Opposition. Wie weit die geht, ist noch offen. Es wird aber nicht unwahrscheinlicher, dass Wolfgang Büchners erster Scoop als Spiegel-Chefredakteur auch schon sein letzter gewesen ist.
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