Streit in Großbritannien: Verschleiert vor Gericht
Barriere für die Justiz oder Tradition der Toleranz? Darüber streitet Großbritannien, nachdem ein Gericht einer Muslimin erlaubt hat, im Zeugenstand einen Schleier zu tragen.

LONDON afp | Die bedingte Zulassung der Verschleierung für Musliminnen vor Gericht hat in Großbritannien eine heftige Kontroverse ausgelöst. Der Londoner Richter Peter Murphy hatte Anfang der Woche entschieden, dass eine 22-jährige Muslimin zwar mit Gesichtsschleier im Gericht erscheinen dürfe, ihr aber zugleich die Abnahme des Nikabs bei ihrer Zeugenaussage auferlegt.
Die konservative Zeitung Daily Telegraph schrieb in einem Leitartikel am Dienstag, Schleier vor Gericht seien eine „Barriere für die Justiz“. Im Daily Mail forderte der frühere Labour-Innenminister Jack Straw, dass die Regierung „weitergehen“ müsse. Der Daily Express vertrat die Auffassung, dass Großbritannien die „Ausbreitung des Schleiers zurückdrängen“ müsse, während der linksliberale Guardian argumentierte, Gesichtsschleier seien „nicht barbarisch“, aber die Antwort darauf könne es sein.
Die Boulevardzeitung The Sun verlangte gar ein komplettes Schleierverbot für Schulen, Krankenhäuser, Gerichte, Flughäfen und an Bankschaltern. Dies fordern auch einige Parlamentsabgeordnete, die auf die Gesetzgebung in Frankreich und Belgien verweisen, wo für öffentliche Orte ein Verbot für Burka und Nikab gilt.
In Großbritannien gibt es dagegen kein generelles Schleierverbot, und viele Briten verweisen stolz auf die „Tradition der Toleranz“ in ihrem Land. Darauf verweist auch der stellvertretende Premierminister Nick Clegg von den Liberaldemokraten, der ein Schleierverbot ablehnt.
Der konservative Regierungschef David Cameron hat sich ebenfalls dagegen ausgesprochen, das Parlament zu fragen, „was die Leute auf der Straße tragen sollen“. Zugleich unterstützt er „private“ Initiativen für Schleierverbote, etwa Kleiderordnungen in einzelnen Schulen oder Krankenhäusern.
Lesen gegen das Patriarchat
Auf taz.de finden Sie eine unabhängige, progressive Stimme – frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Frauen und Krieg
Krieg bleibt männlich
Ergebnis der Sondierungen
Auf dem Rücken der Schwächsten
Vertreibung von Palästinensern
Amerikaner in Gaza
Schwarz-rote Sondierungen abgeschlossen
Union und SPD wollen gemeinsam regieren
Schwarz-Rote Finanzen
Grüne in der Zwickmühle
Frau erzieht Mann
Mein bestmöglicher Mann