Streit im US-Repräsentantenhaus: Partei ohne Machtzentrum

Die Schlammschlacht rund um die Wahl des Sprechers des US-Repräsentantenhauses offenbart den desolaten Zustand der Republikanischen Partei.

Kevin McCarthy steht in einer Menschenmenge

Kämpft um die Macht im Repräsentantenhaus: Republikaner Kevin ­McCarthy Foto: Jose Luis Magna/ap

BERLIN taz | Paul Krugman, prominenter liberaler Kolumnist der New York Times, schreibt es offen: „Ich gebe es zu: Wie viele andere Liberale fühle ich einen guten Teil MAGAfreude – die Selbstzerstörung der amerikanischen Rechten macht ein bisschen Spaß.“ Dass die republikanische Mehrheitsfraktion im US-Repräsentantenhaus bis zum Redaktionsschluss auch nach elf Wahlgängen nicht in der Lage war, einen Nachfolger der Demokratin Nancy Pelosi als Speaker of the House zu wählen, ist ein unfassbares politisches Spektakel. 20 Abgeordnete aus dem rechten Spektrum lehnten den bisherigen Minderheitsführer Kevin McCarthy ein ums andere Mal ab.

Völlig unabhängig davon, ob und unter welchen Umständen dieser Tage irgendein Deal zustande kommt, der die Wahl eines Speakers ermöglicht und damit das Repräsentantenhaus überhaupt erst arbeitsfähig macht, wirft die Revolte ein Licht auf den Zustand der republikanischen Partei der USA. Offenkundig ist: Die Partei hat kein strategisches Machtzentrum mehr.

Dass die beiden großen US-Parteien anders funktionieren als etwa Parteien in Europa, ist zwar nichts Neues. In einem Wahlsystem, in dem es keine Zweitstimmen und keine Listenwahlen gibt, sondern ausschließlich Direktkandidat*innen, die noch dazu in Vorwahlen ermittelt werden, haben Parteigremien jeglicher Art schon immer weniger Einfluss gehabt. Allerdings konnten sie über Geldmittel auf Wahlkämpfe Einfluss nehmen und so auch Disziplin und Loyalitäten herstellen.

Seit die Regelungen der Wahlkampffinanzierung allerdings Spenden an Parteien begrenzen, solche an die sogenannten Political Action Comittees aber nicht, ist diese Einflussmöglichkeit der Parteiführungsstrukturen weitgehend weggefallen.

Der Trumpismus hat sich verselbstständigt

Spätestens zur Zeit der Obama-Regierung begann mit dem Aufstieg der rechten Tea Party und ihrer Einflussnahme auf Wahlkämpfe und Kandidatenauswahl die Vereinnahmung der Republikanischen Partei durch radikale Kräfte. Deren Ziel war und ist es bis heute nicht, möglichst umfangreich politische Vorstellungen umzusetzen – sondern der hochideologische Kampf gegen „Washington“ und „den Sumpf“. Der Aufstieg Donald Trumps zum Kandidaten 2016 wurde so möglich – die Zeit seiner Präsidentschaft hat den Zerstörungsprozess der Partei noch weiter vorangetrieben.

Aber auch Trump, mindestens bis zu den verlorenen Präsidentschaftswahlen 2020 unangefochtener De-facto-Chef der Republikaner, sieht sich heute nicht in der Lage, den Aufstand der 20 Abgeordneten zu bändigen. Trump verbreitete nach den ersten drei gescheiterten Wahlgängen am vergangenen Mittwoch eine Unterstützungserklärung für McCarthy, verbunden mit der Aufforderung, ihn zu wählen.

Nun war die für Trumps Verhältnisse harmlos und halbherzig formuliert – keiner der Rebellen wurde mit einem abwertenden Spitznamen bedacht, niemand wurde beschimpft. Aber dass die Intervention verpuffte, ohne eine einzige Stimme zu verändern, hatte dann doch kaum jemand erwartet. Der Trumpismus hat sich verselbstständigt.

Denn auch das ist eine Lehre aus dem Chaos rund um die Speakerwahl: Wer in der heutigen republikanischen Partei und Öffentlichkeit einen Stich machen will, muss provozieren, laut sein und sich vollkommen kompromissunwillig geben.

Erpressungsmethoden jetzt auch nach innen

Die 20 Abtrünnigen, die noch nicht einmal eine gemeinsame politische Agenda eint, sondern persönliche Ambitionen und die ebenfalls persönliche Abneigung gegen McCarthy, erleben dieser Tage, wie ihnen Zugeständnisse angeboten werden, von denen andere, stillere, loyalere Abgeordnete nur träumen können. Merke: Agiere verantwortungslos, und du wirst etwas gewinnen.

Auch das ist zwar für die Republikaner nicht ganz neu, denn schon 1994 stürzte der damalige republikanische Speaker Newt Gingrich die Clinton-Regierung in die tagelange Zahlungsunfähigkeit, um so Abstriche bei verschiedenen staatlichen Sozialprogrammen zu erreichen.

Und in Barack Obamas Regierungszeit geriet jede einzelne Abstimmung über die routinemäßige Erhöhung der Schuldenobergrenze zu einer Auseinandersetzung auf Leben und Tod, weil die Republikaner stets irgendwelche Forderungen mit ihrer Zustimmung verbanden.

Jetzt wenden die Rebellen die gleiche Taktik nach innen an – was das für das Regieren in den nächsten zwei Jahren heißt, ist kaum auszumalen.

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