die erklärung: Wie wird man ihn los?
Die US-Halbzeitwahlen sind überraschend zum Desaster für die Republikaner geworden. Einfach wird eine Neuausrichtung nicht.
1 Was bedeuten die Halbzeitwahlen für die US-Republikaner?
Noch bis zum 6. Dezember werden die US-Halbzeitwahlen nicht endgültig entschieden sein. Erst die Stichwahl um den Senatorenposten in Georgia wird Gewissheit darüber geben, ob die Demokrat*innen ihre 50 Sitze im Senat gehalten oder sogar noch einen weiteren hinzugewonnen haben werden. Wenn sie das schaffen, dann werden diese Halbzeitwahlen wirklich als beispielloses Desaster für die Republikanische Partei in die Geschichte eingehen. Sie haben zwar die Macht im Repräsentantenhaus zurückerobern können. Aber sie haben nur eine hauchdünne Mehrheit erringen können, und das unter äußeren Umständen – schlechte Popularitätswerte des Präsidenten, Inflation, wirtschaftliche Krisenstimmung –, unter denen die Oppositionspartei normalerweise bei Halbzeitwahlen richtig abräumt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
2 Was hat Trump damit zu tun?
Donald Trump ist das Gesicht der Partei, und er hat sich tüchtig in die Wahlen eingemischt. Kein Wunder also, dass diese Wahl im Rückblick nicht als Referendum über die Politik des amtierenden Präsidenten Joe Biden gelesen wird, sondern als eines über seinen Vorgänger Donald Trump – und die Partei, die ihn ermöglicht und sich ihm fast vollständig unterworfen hat. Und wieder, wie nach Trumps Wahlniederlage 2020, steht die Frage im Raum, ob die Republikanische Partei sich aus dieser Unterwerfung befreien und Trump hinter sich lassen kann. Und ob sie das will.
3 Wer entscheidet das?
Weder die Republikanische noch die Demokratische Partei der USA haben mit dem deutschen Verständnis von Parteien viel zu tun. Es sind nicht Vorstände und Parteitage, die Personal und Programme bestimmen. In einem Wahlsystem, bei dem es keine Listenwahl gibt – auf Deutschland übersetzt: keine Zweit-, sondern nur Erststimmen –, sind es politische Individuen, die bei Erfolg an Einfluss gewinnen. Republikanischer Parteichef – also das wichtigste Gesicht, nicht die relativ unbedeutende Vorsitzende des Republican National Committee (kein Mensch kennt Ronna Romney McDaniel) – war seit 2016 Donald Trump. Er wurde es damals gegen den Willen des republikanischen Establishments – also jenes Machtzirkels langjähriger Senator*innen und Abgeordneten, die damit beschäftigt sind, die wichtigsten Spender bei Laune zu halten und aus Fraktionen diverser Individuen schlagkräftige Einheiten zu bilden, die sich im Kongress nicht gegenseitig bekämpfen. Sie versuchten damals alles, um irgendeinen anderen, weniger extremen Kandidaten aus dem anfangs großen republikanischen Anwärterfeld nach vorne zu bringen, so wie es in der Vergangenheit immer gelungen war.
4 Wie hat Trump denn die Partei verändert?
Die Annahme der Parteistrategen war: Polarisierende Kandidat*innen können zwar Vorwahlen gewinnen, scheitern aber bei der allgemeinen Wahl. Genau das passierte Trump 2016 aber eben nicht. Müßig zu diskutieren, ob er auch gegen jemand anderen als die unpopuläre Hillary Clinton hätte gewinnen können. Sicher ist: Trump brachte eine Koalition zustande, der neben immer republikanisch wählenden Gruppen wie Evangelikale oder Libertäre erstmals auch große Teile der traditionell den Demokraten verbundenen Working Class angehörten. Trump bediente sich dabei eines völkischen antiliberalen, Anti-Eliten- und Anti-System-Diskurses. Der war seit Jahrzehnten in Europa und den USA durch die Neue Rechte ausgearbeitet worden. Verachtung für das demokratische System ist dieser Politik immanent. Das Drama um Trumps Nichtanerkennung seiner Wahlniederlage 2020 bis hin zum Putschversuch waren eine logische Konsequenz. Trumps durchgeknallter Charakter beförderte jenes Zerstörungswerk der staatlichen Institutionen von innen und oben, das sein später geschasster und inzwischen verurteilter Chefstratege Steven Bannon zu Beginn von Trumps Amtszeit angekündigt hatte.
5 Warum konnte das passieren?
Für traditionellere republikanische Führungsfiguren in Washington war all das ein Gräuel. Aber zu Trumps Amtsantritt Anfang 2017 bot sich ihnen eine einmalige Chance: Sie kontrollierten gleichzeitig das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses, und so konnte umgesetzt werden, was lange unmöglich schien: Eine Steuerreform mit radikaler Umverteilung von unten nach oben, und Richterbesetzungen für den Obersten Gerichtshof, der so auf viele Jahre eine konservative Mehrheit bekam. Dafür nahmen sie billigend in Kauf, dass die eigene Partei sich zum verschwörungsgläubigen Trumpkultverein entwickelte. Trumpismus und Alt-Right wurden zum republikanischen Mainstream, koordiniert und durchgesetzt durch Trumps Twitter-Account.
6 Können die Republikaner Trump nicht einfach abservieren?
Bei seiner Niederlage 2020 erhielt Trump insgesamt über 74 Millionen Stimmen, so viel wie noch nie ein US-Präsident vor ihm. Hätte nicht die Ablehnung von Trump auf der Gegenseite die Rekordzahl von 81 Millionen Wähler*innen für Joe Biden an die Urnen gebracht, wäre Trump mit so einer Mobilisierung unschlagbar gewesen. Die Republikaner*innen wollen all diese Trump-Wähler*innen auch künftig aktivieren, ohne dass aber die Gegenseite so alarmiert ist wie 2020. Ersteres geht womöglich nur mit Trump, Letzteres womöglich nur ohne. Ein Dilemma.
7 Kommt jetzt also die Erneuerung oder nicht?
Eine Woche nach den Halbzeitwahlen 2022 hat Trump bereits seine Kandidatur für 2024 angekündigt, so früh wie kein anderer. Von der Republikanischen Partei, an deren Spitze ihn die Basis 2016 katapultierte, sind kaum noch intakte eigenständige Strukturen übrig. Eine positive konservative Vision für republikanische Politik auf nationaler Ebene jenseits von Trump fehlt – dominant ist ein Abwehrdiskurs gegen alles Liberale. Den beherrscht Trump. Und es fehlt ein erklärter Gegenkandidat, der sich die absehbar grausame Schlammschlacht mit Trump zumuten will und gewinnen könnte. Selbst wenn das aber gelänge und in zwei Jahren etwa Floridas Gouverneur Ron DeSantis für die Republikaner*innen anträte: Er bräuchte alle Trump-Stimmen. Trumps Hardcore-Basis aber stimmt für Trumps Politik. Es gibt also wenig Gründe anzunehmen, dass die Republikanische Partei tatsächlich vor einer politischen Erneuerung steht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe