Streik in Frankreich: Brennende Barrikaden

Rund 70 Prozent der Fran­zö­s*in­nen unterstützen die massiven Streiks und Proteste gegen die Rentenreform. Ein Einknicken ist nicht in Sicht.

Ein Mann steht mit gestreiftem Hälftlingsanzug vor einem Feuer

„Ich bin nicht Gefangener eures Systems“ steht auf dem Schild. Paris am 23. März

Wenn in Frankreich Streik ausgerufen wird, dann besteht der nicht nur aus massiver Arbeitsniederlegung, sondern aus Blockaden und Besetzungen der Produktionsorte. So wurden und werden dieser Tage Müllverbrennungsanlagen versperrt und Ölraffinerien blockiert, ebenso Autobahnen und Zufahrtsstrecken zu den Großstädten. Viele solcher Barrikaden zünden die Streikenden an, damit wirklich kein Durchkommen ist. Sichtschutz bieten die schwarzen Rauchwolken teilweise auch. In Brest versperrten die Ha­fen­ar­bei­te­r*in­nen mit Containern die Zufahrten zum Industriehafen.

Seit die Regierung ihre Rentenreform mit dem berüchtigten Paragrafen 49.3 ohne parlamentarische Abstimmung durchgesetzt hat, hat sich die enorme Wut in Frankreich nicht mehr gelegt. Viele Gewerkschaften haben angekündigt, die Arbeit erst wieder aufzunehmen, wenn die Reform zurückgenommen wird.

Das geht dem Land langsam an die Eingeweide: In manchen Tankstellen soll das Benzin bereits knapp sein, daneben fehlt es auch an Kerosin. Und in vielen Städten stapelt sich der Müll auf den Bürgersteigen und Straßen.

Zuletzt ließ die Regierung deshalb eingreifen – oder versuchte es zumindest. Nach tagelangen Auseinandersetzungen gelang es Polizeieinsatztruppen etwa am Samstag, die Blockaden einer Raffinerie in Fos-sur-Mer zu durchbrechen und die Kontrolle zu übernehmen. In der Vergangenheit wurden solche Zwangsmaßnahmen juristisch im Nachhinein oftmals als illegal befunden.

König Charles III. „im Visier“

Die Gewerkschaft CGT kündigte an, die Raffinerie am Sonntag wieder neu zu besetzen. Zur Ölraffinerie nach Gonfreville reisten Menschen aus Paris an, um die Blockaden zu unterstützen. Auch Promis kommen bei solchen Reisen mit – etwa der Linksintellektuelle Frédéric Lordon oder die Star-Schauspielerin Adèle Haenel.

Ein Fernsehinterview mit Präsident Emmanuel Macron vergangene Woche, in dem er an der Reform festhielt, trieb den landesweiten Ärger noch auf die Spitze. Ebenso die Aussage der Premierministerin Eliza­beth Borne, die am Wochenende verkündete, sie habe getan, was die Bür­ge­r:in­nen von ihr erwarteten.

Mittlerweile wirkt es so, als müssten sich die Regierenden vor ihrer eigenen Bevölkerung fürchten. So sah sie sich auch gezwungen, den britischen König Charles III. auszuladen. Der hatte eigentlich zu Besuch kommen wollen, unter anderem nach Paris, Versailles und Bordeaux. Da in vielen französischen Städten seit dem 16. März fast allabendlich Spontandemonstrationen stattfinden und in Paris der überall herumliegende Müll angezündet wird, hätte sich dem britischen König wohl ein recht peinliches Bild des Kontrollverlusts geboten. Die Gewerkschaften hatten im Vorfeld außerdem angekündigt, Charles III. „im Visier zu haben“ und die Tram zu bestreiken, die er benutzen wollte. Das konnte nur wie eine Drohung klingen.

Weiterhin sagte der Präsident am Freitag seinen geplanten Besuch eines Fußballmatches im Stade de France ab – weil er wohl ahnte, dass es unangenehm für ihn werden könnte. Pünktlich nach 49 Minuten und 3 Sekunden des Spiels – als Anspielung auf den gleichnamigen Paragrafen 49.3, mit dem die Rentenreform durchgesetzt wurde – brach die Menge in lautes Rufen aus: „Macron, démission!“ – „Macron, Rücktritt!“

Über 4 Millionen Euro in den Streikkassen

Umfragen zeigen, dass mehr als 70 Prozent der Menschen in Frankreich gegen die Rentenreform sind. Dass es seit Mitte März fast jeden Abend Sachbeschädigung und Unruhen gibt, tut der Streikunterstützung keinen Abbruch. 70 Prozent glauben laut Umfrageinstitut Odoxa, dass die Regierung schuld an den Ausschreitungen sei. Zudem gibt es harsche Kritik an übermäßiger Polizeigewalt.

Die breite Unterstützung für den Streik zeigt sich auch bei den sogenannten „Streikkassen“. Dort wird Geld gesammelt, um Streikende zu unterstützen, die teilweise über Wochen auf ihr Gehalt verzichten, wenn sie die Arbeit niederlegen. Ein Rekordbetrag von mehr als 4 Millionen Euro ist da schon zusammengekommen.

All das zeigt: Bei den Protesten sind nicht nur Radikale dabei. Die Wut gegen die Rentenreform wird von einer großen Mehrheit der Bevölkerung getragen. Der nächste Generalstreik ist für Dienstag geplant.

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