Strategiewechsel der Letzten Generation: Protesthochburg Kassel
Die Letzte Generation rückt einen Flughafen in den Fokus. Gespräche mit dem Flughafenverband ADV blieben ergebnislos.
Der kleine Airport in Nordhessen schreibt seit seiner Eröffnung 2013 rote Zahlen. Im Jahr 2023 betrug das Defizit laut hessischem Verkehrsministerium 4,98 Millionen Euro. Die Kosten trägt größtenteils das Land Hessen, das mit 68 Prozent größter Anteilseigner des Flughafens ist. Je 14,5 Prozent entfallen auf die Stadt und den Kreis Kassel, drei Prozent hält die Gemeinde Calden.
„Eine Flughafenschließung ist eine Win-win-Situation: mehr Steuergelder für sinnvolle Investitionen und weniger Klimazerstörung“, erklärt Letzte-Generation-Sprecherin Lina Johnsen, die an den Demonstrationen beteiligt ist. Sie verlangt von Schoeller als stellvertretendem Vorsitzenden des Flughafen-Aufsichtsrats, den „ersten Schritt“ in Richtung Schließung zu wagen.
Sie drängen den Bürgermeister, den Airport Kassel-Calden nicht länger mit Steuergeldern am Leben zu halten. Sowohl Bundes- als auch Regionalpolitiker*innen müssten damit aufhören, in die fossile Zerstörung des Planeten zu investieren, heißt es in einer Presseerklärung.
Nutzen des Flughafens ist umstritten
Eine Studie des BUND aus dem Jahr 2020 bescheinigt dem Flughafen Kassel-Calden und sechs weiteren Regionalflughäfen, dass ihr Nutzen in keinem Verhältnis zu dem Schaden steht, den sie verursachen. „Ein Beitrag zur Konnektivität ist nicht erkennbar“, sagt der hessische Landesvorsitzende Jörg Nitsch.
„In anderthalb Stunden ist der Frankfurter Flughafen per Zug erreichbar.“ Die Studie empfiehlt gleichsam, den Flughafen Kassel-Calden dichtzumachen. Im Winterflugplan von November bis Januar gibt es keine regelmäßigen Verbindungen, nur einzelne Flüge.
Einige Expert*innen werten die Proteste der Letzten Generation rund um den Regionalflughafen als Strategiewechsel. „Es gibt ja auch andere Gründe als die Emissionsfrage, diesen Flughafen und die Art und Weise der dauerhaften öffentlichen Subventionierung kritisch zu sehen“, sagte Dennis Eversberg, Umweltsoziologe an der Uni Frankfurt, der Hessenschau. „Insofern empfinde ich das als einen klug gewählten Ort des Protests.“ Er sei gespannt, ob die Aktionsform der Gruppe in der Öffentlichkeit weiterhin als nicht zu rechtfertigende Störung wahrgenommen werde.
Für Unmut unter Autofahrenden sorgte jüngst die Blockade der Autobahn A49 mit 40 Aktivist*innen, am Wochenende blockierten mehr als 60 Menschen auf einer großen Straße in der Kasseler Innenstadt den Verkehr. In der Vorwoche wurde etwa die Fassade des Flughafen-Terminals mit der Parole „How dare you?“ – zu Deutsch: „Wie könnt ihr es wagen?“ beschmiert.
Gespräch mit Flughafenlobby ADV ohne Ergebnis
Um Proteste an Flughäfen ging es auch am vergangenen Mittwoch. Mitglieder der Letzten Generation haben sich erstmals mit dem Flughafenverband ADV getroffen, nachdem dieser bereits Anfang August eine Einladung ausgesprochen hatte.
Das Gespräch sei „höflich und respektvoll“ verlaufen, allerdings sei der Eindruck entstanden, dass der ADV nicht wirklich daran interessiert war, ernsthaft über den notwendigen Strukturwandel des Flugverkehrs in Deutschland zu sprechen, monierte der Sprecher der Letzten Generation, Rolf Meyer. Abmachungen oder sonstige Arbeitsergebnisse habe es nicht gegeben.
Kritik entzündet sich in der Debatte an einem Punkt: Bis klimaneutrales Fliegen möglich sei, müsse laut Meyer darüber gesprochen werden, wie die Anzahl der Flüge und Flughäfen zurückgefahren werden kann. Davon habe der ADV, der als Lobbyverband die Interessen der meist staatlichen Flughafenbetreiber vertrete, nichts wissen wollen.
Der Flughafenverband teilte ebenfalls mit, die Gespräche hätten nicht zu einer Annäherung der Positionen geführt. Man habe erläutert, wie der Luftverkehr aus Sicht des Verbandes zur Wohlstandsförderung beitrage, und Bemühungen zur Emissionsminderung vorgestellt.
Die Flughäfen hätten ihre CO2-Emissionen von 2010 bis 2023 um knapp 60 Prozent reduziert, argumentierte der Verband. Die Aktionen der Letzten Generation in den vergangenen Monaten habe man scharf verurteilt, heißt es in einer Mitteilung.
Davon lässt sich die Gruppe offenbar nicht beeindrucken: Die Klimaaktivist*innen werden noch einige Zeit in Kassel bleiben, sie haben sich in einem Protestcamp in der Goetheanlage eingerichtet. Für den 5. Oktober kündigen sie ein „Straßenfest gegen fossile Subventionen“ zusammen mit anderen Umweltgruppen an. Am 12. Oktober rufen sie erneut zu einer ungehorsamen Protestversammlung auf.
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