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Straßenproteste in FrankreichDer Druck bleibt

Kommentar von Christine Longin

Die Zahl der Demonstrant:innen ist zwar zurückgegangen. Doch der Frust bei Frankreichs Bürger:innen wird so schnell nicht verschwinden.

Mit Che Guevara gegen die geplante Rentenreform: Protest in Paris am Dienstag Foto: Florent Vannier/Hans Lucas/imago images

F rankreich wird gern mit einem Schnellkochtopf verglichen: Wenn der Druck zu sehr steigt, fängt es unter dem Deckel zu dampfen und zu zischen an, bevor dann alles überkocht. Momentan zischt und brodelt es gewaltig. Zwar folgten dem Streik gegen die Rentenreform am Dienstag nicht mehr so viele Menschen wie noch vergangene Woche. Auch die Zahl der Demonstrant:innen ist zurückgegangen. Doch die Regierung sollte sich darüber nicht zu früh freuen. Denn die Unterstützung für die Protestbewegung ist nach wie vor hoch.

Daran dürfte auch die Bekanntgabe der Rentenpläne am Mittwoch nicht viel ändern. So schnell kann Premierminister Edouard Philippe den Schaden nicht wiedergutmachen, den seine Regierung in den vergangenen Monaten angerichtet hat. Widersprüchliche Aussagen, undurchsichtige Strategie, langes Lavieren – die Liste der Fehler ist ausgerechnet bei der wichtigsten Reform Präsident Emmanuel Macrons lang.

Die Gewerkschaften ergreifen deshalb die Chance, die das Aufregerthema Rente ihnen bietet. Sie werden die Streiks und Proteste so lange wie möglich aufrechterhalten. Die Radikalsten unter ihnen wollen so lange weitermachen, bis der Präsident seine Rentenreform zurückzieht. Das kann Macron natürlich nicht tun, wenn er nicht die Glaubwürdigkeit bei den eigenen Wähler:innen verlieren will. Der Staatschef, der seine Landsleute über seine Pläne viel zu lange im Ungewissen gelassen hat, kann seine Reform nun nur noch so formulieren, dass sie zumindest die gemäßigten Gewerkschaften zufriedenstellt. Damit wird aber die verbreitete Unzufriedenheit nicht verschwinden.

Niedrige Kaufkraft, sich verschlechternde öffentliche Dienstleistungen, ein starkes Stadt-Land-Gefälle: All diese Probleme sind mit der Rentenreform wieder an die Oberfläche gekommen. Im vergangenen Jahr waren es die Demonstranten in gelben Westen, die sie auf die Straße getragen haben. In diesem Jahr sind es die Gewerkschaften mit ihren roten Flaggen. Die Farben haben sich geändert, doch der Druck im Kessel bleibt.

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1 Kommentar

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  • Rente ist ein schwieriges Thema, denn bei Rente geht es am Ende IMMER(!) darum, daß eine ältere, nicht mehr arbeitsfähige Generation einen Teil des Sozialproduktes haben möchte, welches eine jüngere, noch arbeitsfähige, Generation erarbeitet.

    Was aber sind die Konsequenzen, wenn die jüngere Generation zahlenmäßig viel kleiner ist ? Wenn diese die Last kaum schultern kann ?

    Da hilft Umverteilung nicht mehr, denn egal wie hoch "Vermögen" auch irgendwo "auf dem Papier" sein mögen, wenn das konkrete, erarbeitete Sozialprodukt nicht reicht, dann sind alle "Vermögen" nur Schall und Rauch.

    Die Brötchen die wir morgen essen wollen müssen MORGEN von jemandem gebacken werden, niemand kann diese heute schon als "Vermögen" sparen.



    Wenn es zuwenig Bäcker gibt, dann gibt es auch zuwenige Brötchen. Essen "die Reichen" also zu viele Brötchen und könnte man diese verteilen ?



    Nein, so ist es nicht. Der Konsum der Reichen ist in Summe, verglichen mit dem Gesamtkonsum, sehr gering, da sind kaum Brötchen zu holen um diese umzuverteilen...