piwik no script img

Straßenbau in Deutschland850 Kilometer mehr Asphalt

Der Bundesverkehrswegeplan ist umstritten: Er vernichte die Umwelt, kritisieren Experten. Die nächste Bundesregierung kann ihn überarbeiten.

Fahr'n, fahr'n, fahr'n auf der Autobahn: A14 bei Tangerhütte Foto: Ronny Hartmann/dpa

83 Millionen Menschen, 39.000 Kilometer Fernstraßen: Aus Deutschland könne „man kein bundesweites Bullerbü zaubern“, stellte unlängst die deutsche Bauindustrielobby fest – und forderte nicht nur den weiteren „Neubau von Autobahnen, sondern auch deren Erweiterung zum Beispiel von zwei auf drei Spuren“. Für andere – wie die AktivistInnen im Dannenröder Wald – sind Trassen wie die A 49 in Hessen Grund, sich aus Protest wochenlang in eiskalten Baumhäusern einzuquartieren.

Letztlich beschlossen wurde die A 49 vor vier Jahren durch den Bundesverkehrswegeplan. Er bestimmt, welche Straßen, Gleise und Wasserwege der Bund die nächsten 10 bis 15 Jahre erhalten oder ausbauen soll. Die Hälfte der dafür veranschlagten 270 Milliarden Euro fließen in Asphalt, 42 Prozent in Bahn-, 9 Prozent in Wasserstraßen.

Dass der Plan 1.281 Fernstraßenprojekte mit 850 Kilometer zusätzlichen Autobahnkilometern versieht, hielten Verbände wie BUND, Nabu, Germanwatch und andere Umweltverbände schon damals für „Irrsinn“: 170 Natura-2000, also besondere Schutzgebiete würden „durch den Straßenbau erheblich beeinträchtigt, 250 noch unzerschnittene Großräume und bundesweite Achsen zerstört“.

Der Plan ist für seine Gegner veraltet wie Dampflokomotiven. Bei der ursprünglichen Projektierung vieler Strecken habe „sich kein Mensch um Klimaschutz gekümmert“, sagt BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg. „Damals ging es ausschließlich um die Fahrzeit von A nach B“, so Hilgenberg. Dabei müssten für die Planung von Infrastruktur Umweltbelange, Natur- und Klimaschutz mit einkalkuliert werden.

Teuer und überdimensioniert

Der BUND hat eine Liste mit den schädlichsten Projekten des Bundesverkehrswegeplans erstellt, das „dusselige Dutzend“. Mit dabei: Die 42 Kilometer lange A 49. Fazit damals: „Überregional nicht notwendig – dafür mehr Verkehr.“ Die bestehende Bundesstraße B 3 solle stattdessen besser angebunden, mit Lärmschutzwänden und Ortsumgehungen ausgebaut werden.

Ähnlich umstritten auch heute noch: Der Ausbau der Bundesstraße B 10 in Rheinland-Pfalz, die ein Biosphärenreservat durchschneidet. Stattdessen, so der BUND, solle besser eine bestehende Bahnstrecke auf 2 Gleise erweitert und elektrifiziert, die Bundesstraße solle für schwere Lastwagen gesperrt werden. Ähnliches habe bereits 2006 die Landesregierung in Hessen bei der B 254 durchgesetzt, sagt Hilgenberg. „Wenn das Schwarz-Gelb schafft, können das andere auch“.

Für besonders unrentabel hält der BUND die A 39 zwischen Lüneburg und Wolfsburg und die A 14, die Magdeburg mit Ludwigslust verbinden soll. Letztere beeinträchtige 14 Natur- und Vogelschutzgebiete und sei „völlig überdimensioniert“, urteilte der Verband.

Die A 39 (Kostenpunkt damals 1,1 Milliarden Euro) habe ein „schlechtes Nutzen-Kosten-Verhältnis“ und „kaum Entlastungswirkungen“. Teurer als gedacht werden die Projekte ohnehin: Erst im November wurde bekannt, dass sich die A 20 von Westerstede bis zur Elbe um 357,5 Millionen, die A 39 um 135 Millionen Euro verteuern dürfte.

„Wenn ich für die Grünen den Koalitionsvertrag schreiben dürfte, käme da sofort ein Moratorium für den Bau von Autobahnen hinein“, sagt der Berliner Verkehrsforscher Andreas Knie mit Hinblick auf eine mögliche Liaison zwischen Ökopartei und Union nach der Bundestagswahl 2021. Ähnliches fordern die Grünen gerade. Ohnehin wird Ende 2021 der Bundesverkehrswegeplan turnusmäßig überprüft.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Jeder Autobahnkilometer, der noch gebaut wird, verhindert eine Transformation in eine zukunftsfähige Gesellschaft. Ein paar kleine, als Naturflächen erhaltene Bullerbüs im betonierten und durch und durch intensiv belärmten, begasten, beackerten, genutzten, regulierten, tristen Deutschlands würden wir zudem ganz dringend benötigen.

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Es ist nur "logisch", dass bei jährlich steigendem Verkehrsaufkommen, insb. durch LKW, mehr Straßen notwendig sind.



    Die LKW Maut hält ausländische LKW nicht davon ab, durch Deutschland zu fahren. Grund: LKW ist immer noch billiger als die Bahn!

    Auch ein jahrzehntelanges Versprechen der Politik "Mehr Güter auf die Schiene" wäre hilfreich. Leider haben wir es mit Versagern zu tun.

    Ich denke, wir sollten parallel auch eine neue technische Lösung anstreben, nämlich den Transport von Gütern durch die Röhre - ähnlich dem Rohrpostsystem aus alten Zeiten (Elon lässt grüßen).



    Ein Ost-West und eine Nord-Süd System würde erstmal viel bringen. Allerdings kostet das Milliarden. Der Ausbau von Autobahnen und die Zerstörung von Natur aber ebenfalls.

    Wir brauchen einfach bessere Leute, v.a. im Verkehrsministerium!!!!!!

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Wer und wie viele “Leute” sind denn nach Ihrer Ansicht schlecht im BVM?

      • @Flocke:

        Zum Beispiel Herr Scheuer?!

        • @Conor:

          Einer ist ganz schön wenig....

  • Zur Erinnerung an das Jahr 2017:

    "Artikel 90 wird wie folgt geändert:



    a)



    Absatz 1 wird wie folgt gefasst: "(1) Der Bund ist Eigentümer der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs. Das Eigentum ist unveräußerlich."

    b)



    Nach Absatz 1 wird folgender Absatz 2 eingefügt:



    "(2) Die Verwaltung der Bundesautobahnen wird in Bundesverwaltung geführt. Der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen. Diese Gesellschaft steht im unveräußerlichen Eigentum des Bundes. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz."

    Ein Würdigung von Wolfgang J. Koschnick:

    www.heise.de/tp/fe...dukte-3674871.html

    Es wird für die nächste Koalition nicht so einfach sein, die Privatisierung bzw. die Beteiligung von privaten Investoren (auch A49) ohne Entschädigungszahlungen "für entgangene Gewinne" zu verhindern.

  • Unsere Stadt hat vom BVWP profitiert. Wir bekommen nach 50 Jahren Planung endlich mal die Westtangente und damit einen Teil des elendigen Durchgangverkehrs raus. Ob die vielen Autobahnkilometer und großen Neubauten nötig sind, wage ich allerdings zu bezweifeln. Es wäre besser, wenn erstmal die bestehende marode Infrastruktur gründlich saniert wird und nur die Engpässe entschärft werden (z.B. Ortsumfahrungen). Damit ist das Geld effektiver eingesetzt.

  • Ich denke, wir können nur hoffen, dass die Grünen 2022 im Finanzministerium und im "Ministerium für Verkehr und Energiewirtschaft" sitzen. Darauf sollten die sich fokussieren...

    • @Kartöfellchen:

      Hoffentlich nicht! Ich lebe Freiburg und weiß was es bedeutet grün regiert zu sein.

      • @Flocke:

        Eine baldige A860 durchs Freiburger Stadtgebiet, nicht wahr?

        • @Troll Eulenspiegel:

          Volltreffer! Autobahnkreuz mitten in der Stadt anstelle einer Umfahrung/Untertunnelung des Rosskopf. Und das grüne Freiburg ist auch noch stolz auf diesen Wahnsinn.

    • @Kartöfellchen:

      Als Umwelt- und Klimaschützer würde mir nicht zu viel versprechen von einer entsprechenden Regierungsbeteiligung der Grünen. Überzogene Hoffnungen werden leicht enttäuscht.

      So ein Bundesverkehrswegeplan ändert man nicht ohne weiteres. Er ist das Ergebnis ewig langer, hochkomplexer Abstimmungs- und Abwägungsprozesse. Er hängt mit anderen Plänen zusammen und baut auf Zusagen auf, die nicht zurückgenommen werden können, ohne anderswo Löcher zu reißen. Pläne dieser Art werden auch nicht von Ministern gemacht, sondern von einem Beamten-Heer, das längst nicht komplett die Grünen wählt. Diese Beamten sind dem Minister zwar unterstellt, aber sie sind keine Leibeigenen. Sie sind gut ausgebildete, ehrgeizige Profis mit Kontakten.

      Die Grünen können nur verlieren, wenn sie ihren Wählern versprechen, dass ein eventueller Grüner Verkehrsminister sämtliche Sünden der Vergangenheit auf einen Schlag korrigiert. Einfach deswegen, weil sich kaum ein Wähler vorstellen kann, welche Beharrungskraft die deutsche Bürokratie entwickeln kann, vor allem, wenn größere Geldbeträge eine Rolle spielen.

      Die Wähler werden die Grünen als Partei verantwortlich machen, wenn ein grüner Minister „versagt“ beim Umsteuern des Riesentankers - und ihrem Unmut bei nächster Gelegenheit Ausdruck geben. Dann ist es Essig mit 20% plus x. Wer wirklich etwas bewegen will, sollte vielleicht besser nur mäßig prahlen - und seine Gegner nicht unterschätzen. Er sollte statt dessen einen langen Atem haben. Das Gras wächst nämlich nicht schneller, wenn man dran zieht. Es reißt nur ab.