Strafbefehle gegen Flüchtlinge aufgehoben: Razzia in Ellwangen wohl rechtswidrig
Auch Wohnräume in Flüchtlingsunterkünften darf die Polizei nicht ohne Durchsuchungsbefehl betreten. So sieht es das Amtsgericht.
Im Fall der drei Nigerianer hat nun das Amtsgericht in Ellwangen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Razzia insgesamt geäußert. Das berichtete zuerst die Schwäbische Zeitung. Demnach ist das Gericht der Auffassung, dass die Zimmer in der LEA grundgesetzlich geschützte Wohnungen und die Flüchtlinge deren Wohnungsinhaber seien.
Demnach hätte es für die Razzia eines richterlichen Durchsuchungsbeschlusses bedurft. Genau den hatte die Polizei aber nicht. Das Gericht argumentierte nun, dass wenn die Durchsuchung nicht rechtmäßig gewesen sei, die Angeklagten sich auch nicht strafbar gemacht hätten. Es forderte laut Schwäbischer Zeitung die Staatsanwaltschaft zu weiteren Ermittlungen auf.
Nach Angaben von Rex Osa vom Verein Flüchtlinge für Flüchtlinge in Stuttgart waren mindestens zwei Männer an jenem Tag aus einem Fenster in der Unterkunft gesprungen, statt sich der Polizei zu stellen. „Alle hatten Panik, keiner wusste, wer da in ihre Räume kam und warum“, sagt Rex Osa. Die Männer wurden nach der Razzia in andere Heime in Baden-Würtemberg verteilt.
Polizei hält Vorgehen für rechtens
Die Polizei wies die Auffassung des Gerichts zurück. Nach ihrer Überzeugung sei die Razzia ohne Durchsuchungsbefehl rechtens gewesen. „Wir stützen unsere Maßnahme auf das Polizeigesetz“, sagte der Sprecher des zuständigen Präsidiums in Aalen, Robert Kreidler, der Schwäbischen Zeitung. Ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss sei nicht erforderlich gewesen. „Eigentümer der Lea ist das Regierungspräsidium Stuttgart, und von dort gab es Zustimmung zum Betreten und Durchsuchen“, so Kreidler. „Alles weitere muss die Justiz entscheiden, das müssen wir abwarten.“
Insgesamt haben nach diesem Tag nach Angaben von Osa rund 25 Flüchtlinge Strafbefehle erhalten. Vier von ihnen haben Widerspruch eingelegt, in einem Fall sei das Verfahren bereits am 24. Januar eingestellt worden. „Die anderen haben teils bezahlt, weil sie Angst hatten, dass sie ansonsten weitere Probleme bekommen.“
Laut Osa sind am 30. Januar weitere Flüchtlinge im Zusammenhang mit den Ereignissen des vergangenen Jahres in Untersuchungshaft genommen worden. Sie sollen an der Verhinderung der Abschiebung eines Togoers am 30. April 2018 aus der LEA in Ellwangen beteiligt gewesen sein. Diese hatte die Großrazzia vier Tage später ausgelöst.Es sei offensichtlich, dass die Polizeirazzia keine rechtliche Grundlage hatte, sagt Osa. Die Prozesse gegen die Flüchtlinge müssten eingestellt, die Inhaftierten freigelassen werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr