Strafanzeige gegen Schlachthof: Schlachten ohne Betäubung
In einem Schlachthof in Oldenburg sollen Rinder gequält und bei vollem Bewusstsein getötet worden sein. Die zuständigen Veterinäre sollen weggesehen haben.
Der präsentierte am 6. November einen zehnminütigen Zusammenschnitt, aus dem deutlich wurde: Der Gang in den Tod ist zumindest in diesem Schlachthof von Tierquälereien gesäumt.
In infernalischem Lärm werden die Rinder gewaltsam mit Elektroschockern und Treibpaddeln in Richtung Tötungsboxen getrieben. „Die Rinder haben gerade ihren Transport in den Schlachthof hinter sich und sind extrem gestresst. Sie bräuchten jetzt eine ruhige Umgebung“, so die Veterinärmedizinerin Claudia Preuß-Ueberschär, die das Filmmaterial kommentierte. „Stattdessen werden sie in die Ecke gedrängt und ununterbrochen bearbeitet.“ Der Elektroschocker werde an Stellen angewendet, wo es nicht erlaubt sei; lediglich dort, wo schützendes Muskelgewebe vorhanden sei, dürfe getasert werden: „Hier wird dies jedoch im Knochenbereich getan.“
Bevor Rinder mit einem gezielten Stich in die Halsschlagadern ausgeblutet werden, betäubt sie ein Bolzenschussgerät. Dafür muss laut Preuß-Ueberschär der Kopf des Tieres fixiert werden: „Das Bolzenschussgerät muss einen bestimmten Punkt treffen, der nicht größer ist als ein Fünf-Mark-Stück. Das gelingt nicht, wenn das Tier sich bewegen kann.“ Die Videoaufnahmen zeigen deutlich: Die Tiere sind nicht fixiert.
Barbara Otte-Kinast (CDU), Landwirtschaftsministerin Niedersachsen
Und in der Konsequenz sind sie auch nicht vernünftig betäubt: Ihre wilden Bewegungen nach der vermeintlichen Betäubung seien keine sogenannten klonischen Krämpfe, die oft im bewusstlosen Zustand aufträten, so Preuß-Ueberschär, „sondern Aufstehversuche: Die Tiere bäumen sich auf und schlagen mit Kopf und Schwanz – anhand dieser Reaktionen bin ich sicher, dass sie nicht richtig betäubt sind“. Bevor das Messer angesetzt wird, müsse anhand der Augen und der Atmung des Tieres kontrolliert werden, ob es tatsächlich bewusstlos sei. „Ist das nicht der Fall, muss nachbetäubt werden“, so die Tiermedizinerin. Eine Kontrolle sei hier aber nicht erfolgt.
Der Schlachthof hat die Vorwürfe bestätigt. Die Videoaufnahmen, heißt es in einer Stellungnahme, seien schockierend und entsprächen in keiner Weise dem Standard des Schlacht-Unternehmens. Die Verstöße sollen von per Werkvertrag eingesetzten Beschäftigten begangen worden sein . Diese würden nicht mehr eingesetzt. Zudem würden Alternativen geprüft, die Zusammenarbeit mit dem Subunternehmer schnellstmöglich zu beenden.
Das Tierschutzbüro erhebt allerdings einen weiteren Vorwurf, nämlich gegen die Veterinäre im Schlachthof. Sie sollen tatenlos zugesehen haben, wie die Tiere gequält und ohne Betäubung getötet worden seien.
Auch das belege das Videomaterial – und das erinnert an die Vorfälle in einem Schlachthof in Bad Iburg, die erst vor wenigen Wochen bekannt wurden: Dort wurden Rinder, die nicht transportfähig waren, angeliefert und gequält – und die Tierärzte, die vom Landkreis mit der Kontrolle des Schlachthofs beauftragt waren, sahen tatenlos zu. „Als Konsequenz hat die Landwirtschaftsministerin schärfere Kontrollen angekündigt, aber in Oldenburg scheint das keinen Eindruck hinterlassen zu haben, wie die Filmaufzeichnungen zeigen“, sagt Jan Pfeifer, Vorstandvorsitzender des Deutschen Tierschutzbüros.
Betroffene Ministerin
Das niedersächsische Landwirtschaftsministerium zeigt sich betroffen: „Wie hier mit Tieren umgegangen wird, ist in keinster Weise akzeptabel. Ich bin entsetzt, und es macht mich wütend“, heißt es in einer Stellungnahme von Ministerin Barbara Otte-Kinast (CDU). Auch ihr Ministerium habe Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg erstattet. Überdies, so Otte-Kinast, ließe sie derzeit juristische Möglichkeiten prüfen, verbindlich ein Kamerasystem in den Bereichen der Anlieferung, des Zutriebes, der Betäubung und der Schlachtung der Schlachthöfe anzuordnen.
Auch die Bundestagsfraktion der Linken fordert eine dauerhafte Videoüberwachung von Schlachthöfen. In Frankreich und Großbritannien sei dies bereits Pflicht, so Amira Mohamed Ali, tierschutzpolitische Sprecherin der Linksfraktion. Datenschutzrechtlich sei dies unter gewissen Bedingungen zulässig. Die Aufnahmen könnten zudem ausschließlich den amtlichen Tierärzten zugänglich gemacht werden, nicht dem Betrieb selbst.
Die Stadt Oldenburg hat nun einen Veterinär angewiesen, vorerst ununterbrochen die Schlachtungen in dem beschuldigten Betrieb zu beaufsichtigen. Zuvor, so ein Sprecher der Stadt, sei der Betrieb „nur drei- bis viermal am Tag stichprobenartig überprüft“ worden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen