Stimmung nach Katalonien-Abstimmung: Traurig und ratlos
Am Tag nach dem Referendum fragen sich die Katalanen, wie es weitergehen soll. Viele hoffen, dass sich die EU jetzt einschaltet.
Die Tafel an der Eingangstür, auf die Bueso jeden Tag einen Satz zum Nachdenken schreibt, bleibt heute schwarz. Denn „Mir fällt einfach nichts ein.“ Am Tag vor dem Referendum stand da ein Satz von Machiavelli: „Das gegebene Versprechen war ein Bedürfnis der Vergangenheit; das gebrochene Wort ist ein Bedürfnis der Gegenwart.“
Bueso war letztendlich nicht einmal wählen, „und das obwohl ich das immer gefordert habe“. Als er mit seiner Frau zum Wahllokal in Badalona, einer 200.000-Einwohner-Stadt vor den Toren Barcelonas ging, hatte die Polizei bereits in mehreren Städten gewaltsam Präsenz gezeigt.
In Badalona kam die Polizei nicht. Doch vor dem Wahllokal kam es zu Diskussionen zwischen Menschen mit der spanischen und anderen mit der katalanischen Fahne. Das habe seiner Frau Angst gemacht: „Wir sind gegangen.“ Für Bueso haben am Sonntag beide Regierungen ihre Legitimität verloren: „Madrid wegen der Gewalt, und die katalanische Regierung weil sie weiter zum Wählen aufgerufen hat, obwohl sie wusste, dass die Polizei mit Gewalt reagiert und die Menschen gefährdet wurden.“ 893 Menschen wurden nach Angaben des katalanischen Gesundheitsministeriums verletzt.
„Es hätte einfach nicht soweit kommen dürfen. Wir leben doch im 21. Jahrhundert“, sagt Bueso und schüttelt den Kopf nachdenklich. „Wir haben ein richtig dickes Problem. Ich hoffe nur, dass die katalanische Regierung nicht einseitig die Unabhängigkeit ausruft, das führt doch nirgends hin.“
Margarita Cartagena sitzt an der Theke. „Mich würde es nicht stören, wenn die katalanische Regierung die Unabhängigkeit ausruft, aber ob das strategisch geschickt wäre? Da habe ich meine Zweifel“, sagt die 64-jährige Rentnerin, die wie ihre ganze Familie für die Unabhängigkeit gestimmt hat. „Meine Mutter ist 94. Sie ist zu Zeiten der Republik aufgewachsen und hat keinen sehnlicheren Wunsch, als erst dann zu sterben, wenn wir erneut eine Republik haben“, erzählt Cartagena und meint damit natürlich die unabhängige Republik Katalonien.
Für sie zeigt die Gewalt am Wahltag, dass „die Regierung in Madrid absolut machtlos angesichts der breiten und friedlichen Mobilisierung der Katalanen“ gewesen sei. Cartagena erwähnt ganz besonders diejenigen, die an die Urnen gingen, um gegen die Unabhängigkeit zu stimmen. „Die haben bewiesen, dass sie echte Demokraten sind, anders als die Regierung in Madrid“, sagt sie. Die Zukunft? Auch sie ist ratlos. Nach einer kurzen Pause sagt sie dann: „Egal was die katalanische Regierung macht, meine Unterstützung ist ihr gewiss.“
Draußen auf der Terrasse sitzt Jordi Pujol. „Nicht verwandt mit dem gleichnamigen ehemaligen katalanischen Regierungschef“, distanziert er sich ungefragt von seinem Namensvetter gegen den wegen Korruption ermittelt wird. Der 21-Jährige studiert Internationale Beziehungen in Barcelona. Er wählte – mit Ja versteht sich – in seinem Heimatdorf ViladeCavalls. Er hat in der Nacht vor der Abstimmung mit anderen in der Schule übernachtet, um zu verhindern, dass die Polizei die Räumlichkeiten versiegelt. Und am Wahltag selbst war er mit anderen den ganzen Tag vor dem Wahllokal um die Urnen zu schützen. „Wir sind nur 7.000 Einwohner. Egal ob für oder gegen die Unabhängigkeit, wir standen gemeinsam vor dem Lokal, denn das Recht abzustimmen ist uns allen wichtig“, sagt er. Die Polizei kam nicht.
Jordi Pujol, Student
„Gestern haben wir Katalanen uns endgültig von Spanien verabschiedet. Es gibt keinen Weg zurück“, sagt er. Eine einseitige Erklärung der Unabhängigkeit hält der junger Mann dennoch zum jetzigen Zeitpunkt für strategisch falsch. „Was den Diskurs betrifft, haben wir gewonnen“, sagt Pujol und hofft, dass sich die internationale Gemeinschaft des Katalonienproblems annimmt. „Vor allem die Europäische Union ist gefragt. Sie kann nicht mehr länger wegschauen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen