Stichwahl in Kolumbien: Ex-Guerillero gegen Multimillionär

Der linke Gustavo Petro und der Rechtspopulist Rodolfo Hernández liegen in Umfragen beieinander. Beide versprechen sie einen Wandel.

Rudolfo Hernandez hat graue, nach hinten gekämmte Haare und schaut ernst

Der Präsidentschaftskandidat Rodolfo Hernández Foto: Marco Bello/reuters

BOGOTÁ taz | Es dürfte knapp werden am kommenden Sonntag, wenn Kolumbien in einer Stichwahl entscheidet, wer der nächste Präsident wird. Der linke Kandidat Gustavo Petro und der parteilose Rechtspopulist Rodolfo Hernández liegen in den meisten Umfragen nur etwa zwei Prozentpunkte auseinander.

Beim ersten Wahlgang am 29. Mai hatte Petro klar vorne gelegen, die absolute Mehrheit allerdings verpasst. Kein Gegner macht es ihm so schwer wie Hernández. Beide hatten vor der ersten Runde gegen die herrschende politische Elite gewettert und für einen Wechsel geworben – von vollkommen unterschiedlichen Standpunkten aus.

Der 62-jährige Petro ist seit Jahrzehnten im politischen Geschäft. Der studierte Ökonom trat als Teenager der urbanen Guerilla M-19 bei, die 1990 den bewaffneten Kampf aufgab und sich auflöste. Später war er Bürgermeister der Hauptstadt Bogotá und zuletzt Senator.

Als Bürgermeister setzte er sich vor allem für die ärmsten Bevölkerungsschichten ein. Als Senator deckte er die Verbindungen zwischen Politikern aus dem Lager des Ex-Präsidenten Álvaro Uribe und den Paramilitärs auf. Das war seine Sternstunde als Parlamentarier, aus der er bis heute Anerkennung zieht.

Kolumbiens Trump zitiert Hitler

Der 77-jährige Rodolfo Hernández hat als Bauunternehmer ein geschätztes Vermögen von 100 Millionen US-Dollar angehäuft und ist neu in der nationalen Politik. Von 2015 bis 2019 war er Bürgermeister der Stadt Bucaramanga. Schon damals erklärte er den Kampf gegen die Korruption zu seinem Hauptthema.

Er will Ausgaben kürzen und Ministerien zusammenlegen. Mit ähnlichen Methoden hatte er damals die katastrophalen Finanzen von Bucaramanga saniert – eine seiner wenigen Errungenschaften, die Bestand haben. Er galt als überaus beliebt.

Landesweit bekannt wurde er 2018 mit einem Video, in dem er in einem cholerischen Anfall einem Stadtrat ins Gesicht schlug. Dafür wurde Hernández mehrere Monate suspendiert – wieder einmal. Und es ist nicht der einzige Clip, der von Hernández kursiert: 2016 sagte er in einem Radiointerview mit dem Sender RCN: „Ich bin ein Anhänger eines großen deutschen Denkers. Er heißt Adolf Hitler.“

Denn der habe gesagt, man könne nicht erwarten, dass sich etwas ändere, wenn man immer genauso weitermache. Jahre später entschuldigte sich Hernández: Er habe das bekannte Einstein-Zitat fälschlicherweise Hitler zugeordnet.

Hernández setzt ganz auf Social Media

Medienanfragen und öffentliche Debatten mit der Konkurrenz meidet er bis heute. Dank massiver Präsenz in den sozialen Medien hat sich Hernández nach vorne gekämpft. Sein Social-Media-Berater unterstützte schon El Salvadors autoritären Präsidenten Nayib Bukele und US-Präsident Donald Trump. Hernández ist Fan von beiden.

Die Angst davor, dass so jemand Präsident werden könnte, mobilisiert einen Teil der Ko­lum­bia­ne­r*in­nen an die Wahlurnen, selbst wenn sie keine begeisterten Petro-Anhänger*innen sind. Vermutlich etwa genauso viele allerdings treibt die Angst vor einem Präsidenten Petro um, dem sie unterstellen, den Castrochavismus, also das autoritäre staatssozialistische Regierungsmodell Kubas und Venezuelas, an die Macht bringen zu wollen.

Dabei ist Petro nach deutschem Maßstab eher ein Sozialdemokrat mit Hang zum Populismus als ein Linker. Er will Sozialprogramme einführen, das vor dem Kollaps stehende Rentensystem umkrempeln, die Reichsten stärker besteuern, die heimische Landwirtschaft stärken und mit allen bewaffneten Gruppen verhandeln, um im Friedensprozess voranzukommen, und Gespräche mit dem Nachbarland Venezuela wieder aufnehmen.

Mit einem notariell beglaubigten (aber rechtlich zweifelhaften) Versprechen, dass er niemanden enteignen werde, hat Petro versucht, seinen Geg­ne­r*in­nen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Seinen sonst angriffslustigen Diskurs hat er durch einen von der „Politik der Liebe“ ersetzt, die das Land einen solle. Das ist eine klare Abgrenzung von seinem cholerischen Konkurrenten Hernández. Dafür hat Petro vor allem seine Frau Verónica und seine Tochter Sofía eingespannt. Frauen und bisherige Nicht­wäh­le­r*in­nen dürften die Wahl entscheiden.

Petro umwirbt Frauen, Hernández macht auf Macho

Wenn dabei Frauenrechte eine Rolle spielen, dürfte Hernández keine Chance haben. Er zeigt sich mit nackter Brust, Goldkettchen und zwei Blondinen an seiner Seite, die vom Alter seine Enkelinnen sein könnten. Er äußert sich offen sexistisch, sieht den Platz der Frau in der Küche und bezeichnet den mühsam erkämpften Straftatbestand des Femizids als eine Erfindung der Regierung.

Petro ist für erneuerbare Energien, gegen Fracking und will die Ausweisung neuer Öl-Lizenzen stoppen sowie den Kohle-Tagebau in La Guajira. Von dort will Deutschland eigentlich künftig mehr Kohle importieren, um unabhängiger von russischen Importen zu werden.

Erdöl macht derzeit 40 Prozent der Exporteinnahmen Kolumbiens aus. Es gibt berechtigte Zweifel, dass sich dieses finanzielle Loch allein durch mehr Tourismus und Landwirtschaft und die Bekämpfung von Korruption stopfen ließe, wie Petro anstrebt.

Hernández hat es geschafft, auch bürgerliche und konservative Kreise in seinem Unterstützungskreis zu holen, etwa die kurz vor dem ersten Wahlgang zurückgetretene Kandidatin Ingrid Betancourt. Sie wird im Inland eher belächelt, im Ausland ist die bis heute als ehemalige Farc-Entführte hingegen berühmt und wird bewundert.

Sie hatte sich wie Hernández vor allem auf die Kritik einer „politischen Maschinerie“ konzentriert und in Interviews wilde Anschuldigungen ohne Beweise getätigt. Zuletzt veröffentlichte sie ein Video, in dem sie zur Jungfrau Maria für einen Wahlsieg für Hernández betet.

Korruptionsfall könnte Hernandez auch bei Sieg ausbremsen

Was dieser sonst politisch will, ist schwer zu sagen: Hernández widerspricht sich häufig und lügt offen. Bei Gesetzen, der Verfassung und internationalen Verträgen glänzt er mit Ignoranz. Zum Amtsantritt will er den Ausnahmezustand ausrufen, um per Dekret am Parlament vorbei durchzuregieren.

Zuletzt drehte sich im Wahlkampf die Debatte vor allem um die Frage, ob Kolumbien am Ende womöglich ohne Präsident dasteht. Hernández ist seit über einem Jahr offiziell wegen Korruption angeklagt. Dabei geht es um einen Fall aus Bucaramanga: Eine private Firma sollte sich um eine neue technische Lösung für die desolate städtische Mülldeponie kümmern.

Für die erfolgreiche Vermittlung des Deals hätte Hernández’ Sohn ein Schmiergeld von 1,5 Millionen Dollar eingesteckt. Der Termin für die mündliche Verhandlung ist am 21. Juli – der Amtsantritt des Wahlsiegers am 7. August.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.