Steuerreformpläne von SPD und Union: Lieber geringere Mehrwertsteuern
Niedrigere Einkommensteuer würde nur ein Drittel der Gesellschaft entlasten. Für den Rest wären weniger Mehrwertsteuern sinnvoller.
Berlin taz | Die Mehrwertsteuer zu senken käme Geringverdienern und der Mittelschicht stärker zugute als die derzeit diskutierten Reformen der Einkommensteuer. Schon eine Reduzierung des Mehrwertsteuer-Regelsatzes von 19 auf 18 Prozent könne VerbraucherInnen jährlich um 11 Milliarden Euro entlasten, sagte Stefan Bach, Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) am Mittwoch in Berlin. Würde man zusätzlich den ermäßigten Satz für Nahrungsmittel und den öffentlichen Nahverkehr von 7 auf 5 Prozent senken, summierte sich die Entlastung auf knapp 15 Milliarden Euro. „40 Prozent der Entlastung würden an die ärmere Hälfte der Bevölkerung gehen“.
Die Steuerreformvorschläge der SPD und der Union beziehen sich ausschließlich auf die Einkommensteuer. „Für Rentner, Hartz-IV-Empfänger, Geringverdiener, aber auch die Mittelschicht sind Einkommensteuer-Reformen allerdings kaum bedeutsam“, ergänzte Bach. Denn viele Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen zahlten keine oder nur sehr wenig Einkommensteuer. Lediglich die Bezieher des oberen Drittels der Einkommen würden von einer Einkommensteuersenkung mehr profitieren als von einer niedrigeren Mehrwertsteuer.
Eine Senkung der Mehrwertsteuer würde mittelfristig Konsum und Import in Deutschland stärken, so Bach. Trotzdem gab es seit 2009 keine nennenswerte politische Diskussion mehr darüber.
Ein Grund ist laut Bach die Befürchtung, dass Unternehmen ihre Preise erhöhen und nichts von den Mehrwertsteuersenkungen beim Verbraucher ankommen würde. Der Wirtschaftsforscher hält diese Sorge aber für unberechtigt. Spätestens nach drei bis fünf Jahren würde die Konkurrenz zwischen den Unternehmen dazu führen, dass sie die Steuererleichterungen an die Verbraucher weitergeben.
Doch für Politiker haben Mehrwertsteuersenkungen einen wichtigen Nachteil: Der Effekt solcher Beschlüsse ist dem DIW zufolge „nicht gleich als Betrag auf dem Konto sichtbar“.
Leser*innenkommentare
wxyz
Weniger Mehrwertsteuer wäre überwiegend eine Nullnummer:
Kaum etwas würde billiger werden, und obendrein wäre nicht auszuschließen, daß dann auch noch der Regelsatz der Grundsicherung gekürzt würde.
mensch meier
Wieder einmal kurzsichtiges "den armen helfen"!
Verbrauchssteuern sind die einzigen wirksamen ÖKOsteuern!
Der materielle Verbrauch muss gesenkt werden, Arbeit soll billiger werden. Das heißt Verbrauch besteuern statt Arbeit!
Erhöht die MWSt!
Als soziales Instrument gibt es Transferleistungen. Die können gerne auch erhöht werden.
Wenn schon an der MWSt schrauben, dann bitte nur Dienstleistungen verbilligen - z.B. durch den reduzierten Satz.
80576 (Profil gelöscht)
Gast
@mensch meier Den materiellen Verbrauch senken? Super Idee! Allerdings gibt es dann auch weniger umzuverteilen, wenn Sie die Wirtschaft runterfahren. Dumme Sache.
Hugo
Macht pro Einwohner keine 200 €/Jahr. Auf jeden Grundsicherungsrentner wohl weniger als 100. Tolles Team, das DIW...
Wenn, dann muß mensch die Sozialversicherungsbeiträge für die "Armen" reduzieren. Läßt sich ganz einfach gegenfinanzieren mit der Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze und der Abschaffung der PKV als Äquivalent zu AOK & Co. .
Normalo
Die Probleme, die die aktuellen Steuerpläne lösen sollten(!), sind landläufig unter den Spitznamen "Mittelstandsbauch" und "Kalte Progression" bekannt. Sie betreffen nicht die ganz großen Verdiener sondern genau den gehobenen Mittelstand, der der Konsummotor der Binnenwirtschaft sein sollte, aber trotz anständigen Einkommens immer weniger Geld auszugeben hat. Diese Probleme löst eine Gießkannen-Steuererleichterung bei der Umsatzsteuer nicht.
Merke: Es gibt auch dann und wann auch mal Handlungsbedarf, der NICHT die Ärmsten der Armen betrifft, aber TROTZDEM real ist.
80576 (Profil gelöscht)
Gast
@Normalo Den materiellen Verbrauch senken? Super Idee! Allerdings gibt es dann auch weniger umzuverteilen, wenn Sie die Wirtschaft runterfahren. Dumme Sache.
Hugo
@Normalo Nuja, das mit der "kalten Progression"; drüber gelabert wird seit Ewigkeiten, ändern tut sich nix. Dem käme mensch wohl mit angeglichenen Einkommensfreibeträgen und dann drüber konsequente Besteuerung aller Einkommen mit einem einheitlichen Steuersatz bei. Wie die Anteile genau aussehen, dafür gibts solche Institute wie das DIW, Wirtschafts-Fakultäten an Hochschulen und in den Ministerien eigentlich auch genug Fachpersonal... Und dann könnte endlich die Bescheißerei durch Steuerschlupflöcher bekämpft werden!