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Sterbehilfe in FrankreichEin Grund zur Hoffnung

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Die Legalisierung der Sterbehilfe in Frankreich wäre ein ähnlich großer Fortschritt wie das Ende der Todesstrafe und die Entkriminalisierung von Abtreibungen.

Geben nicht auf: Geg­ne­r:in­nen der Sterbehilfe protestieren am 12. Mai in Paris Foto: Arnaud Journois/Le Parisien/imago

N och ist es nicht definitiv, dass Frankreich – wie andere europäische Ländereine Form der Sterbehilfe legalisiert. Nach dem Votum der Abgeordneten der Nationalversammlung könnte sich der Senat querstellen. Doch der Fortschritt ist nun in Griffnähe – auch wenn die vorwiegend aus religiösen Gewissens- und Glaubensgründen argumentierenden Gegner so schnell nicht aufgeben. Nicht nur in dieser Hinsicht erinnert die Debatte über die Sterbehilfe an die ideologischen Konfrontationen rund um das Recht auf Schwangerschaftsabbruch.

Genau wie bei der Entkriminalisierung von Abtreibungen oder der Abschaffung der Todesstrafe ist auch die Befürwortung des Rechts auf einen würdevollen Tod ein Markstein gesellschaftlicher Entwicklung im Sinne humanistischer Grundwerte. In diesem Sinne ist das Votum am Dienstag ein Grund zur Hoffnung. Abgeordnete aus allen politischen Lagern, quer durch die Fraktionen, zeigten Gehör für Mitmenschen, für die das Leiden unter einer unheilbaren Krankheit und unerträglichen Schmerzen kein „Leben“ mehr bedeutet – der Tod dagegen ein erstrebenswerter Abschluss ist.

Die Gesetzesvorlage ist, falls sie in Kraft tritt, vielleicht nur eine Etappe auf einem langen Weg durch die Institutionen. Vielen der Sterbewilligen geht sie nicht weit genug, da das Recht zu sterben vorerst nur für Extremfälle vorgesehen ist. Doch die Vorsicht der Gesetzgeber ist keine feige Rücksichtnahme auf moralische Skrupel der Opposition. Im Gegenteil: Sie erlaubt es, die ideologischen Argumente der Ultrakonservativen zu entkräften, die von einer Anstiftung zum Massensuizid sprechen.

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Auch dass die parlamentarische Debatte ausnahmsweise einmal nicht parteiisches Gezänk oder Paragrafen-Haarspalterei bedeutet, sondern sich mit so essenziellen Gesellschaftsfragen wie dem Lebensende beschäftigt, ist erfreulich. Die französischen Parlamentarier können sich so in den Augen der skeptischen Bür­ge­r*in­nen als nützlich erweisen. Die Tatsache, dass sich in allen Umfragen eine große Mehrheit der Menschen für eine gesetzliche Regelung zur Sterbehilfe ausspricht, war sicherlich mit ein Grund dafür, dass sich in der Nationalversammlung eine deutliche Mehrheit dafür fand.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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10 Kommentare

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  • Nun verstehe ich nicht ganz, warum die Einführung der Sterbehilfe zur gleichen politischen Linie gehört wie die Abschaffung der Todesstrafe.



    Wäre nicht eher die Abschaffung der Todesstrafe so ähnlich wie die Abschaffung der Sterbehilfe?

  • Man kann nur hoffen, dass die CDU/CSU Fanboys das auch kapieren, die tote Tiere essen, Bier trinken, und einen Kulturkampf gegen Cannabis betreiben.

  • Ich bin extrem skeptisch, was aktive Sterbehilfe anbelangt.

    Angehörige, die an das Erbe wollen. Angehörige, die das Leiden nicht mehr mit ansehen können und Sterbende, die ihnen "den Gefallen tun". Todkranke Einsame. Angehörige, die die Pflegekosten nicht tragen wollen.

    Missbrauch und Manipulation sind einfach zu wahrscheinlich. Da bleibe ich schon ganz rein pragmatisch bei der Ehrfurcht vor dem Leben.

    Im Übrigen sieht ein würdevoller Tod doch nicht so aus, dass man selbst sein Leben wegschenkt, sondern dass Sterbende im Kreise geliebter Personen Abschied nehmen können.

    Zunächst sollten wir vielleicht Pflege und Sterben humanisieren (z.B. durch Förderung von Hospizen), bevor wir den Tod aktiv herbeiführen lassen.

    • @Stavros:

      In NL und CH gibt es Sterbehilfe schon ziemlich lange, aber keine Nachweise, dass Erben die Oma zum Suizid drängen oder Opas Pflegekosten der Grund für den Suizid sind. Ja, es gibt einsame Sterbende, die keine Lust mehr haben, alleine zu leiden. Warum sollte "die Gesellschaft" das Recht haben, solchen Leute ein selbstbestimmtes Ende zu verweigern?

      Sterbehilfe ermöglicht ganz sicher einen würdevolleren Tod, als völlig dement oder von Opiaten benebelt in einem Heim- oder Krankenhausbett zu verrecken, während mir von überlasteten Pflegern zweimal am Tag die Windel gewechselt wird. Ich kann selbstbestimmt und schmerzfrei abtreten, die Leute, die mir wichtig sind, können dabei sein, wenn ich das will.

      Deine "Ehrfurcht vor dem Leben" ist genau das, was selbstgerechte Pfaffen auf ihren Kanzeln salbadern. Weder irgendeine Kirche noch irgendein Staat hat das Recht, mir vorzuschreiben, wie mein Leben zu enden hat.

      Dass wir über die Pflege von und den finalen Umgang mit Todkranken nachdenken müssen, ist unbestritten. Aber dazu gehört ganz sicher nicht, dass sie gezwungen werden, gegen ihren Willen weiterzuleben.

    • @Stavros:

      Das kann ich auch nachvollziehen.



      Das Geld darf nicht anfangen eine Rolle zu spielen - Alternde Gesellschaften.



      Nee! Umverteilung des Reichtums!

      • @Land of plenty:

        Das sowieso :-)

    • @Stavros:

      Ja, sehe ich auch so.



      Und solange "wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen" (Franz Müntefering 2006) weitgehend unwidersprochen im Raum steht (der Slogan hat seiner Karriere kein bisschen geschadet), können wir gar nicht sinnvoll über Sterbehilfe diskutieren.

      • @Eric Manneschmidt:

        Sehr gutes Beispiel! Die Diskurse sind überhaupt nicht human.

    • @Stavros:

      Nur, weil es solche Fälle gibt, in denen manche Menschen sich strafbar machen, sollte man nicht anderen verweigern, aus eigenem Willen und eigenen Vorstellungen menschenwürdig zu sterben.



      Niemand hat das Recht, anderen Menschen vorzuschreiben, wie sie sterben sollen, nur weil man selbst vielleicht sich im Kreise liebender Familienangehörigen am liebsten aus dem Leben scheiden sieht.

      • @Dreja:

        Es geht mir nicht um meine "persönlichen Vorstellungen und Wünsche".

        Es geht mir darum, dass wir immer mehr zu einer inhumanen, durchökonomisierten Gesellschaft werden. Die aktive Sterbehilfe ist nur ein Aspekt der "Verwertungslogik".

        Selbstbestimmung ist ein sehr hohes Gut, kann aber nicht unabhängig von gesellschaftlichen Zuständen praktiziert werden.