Steinmeier zum Tag der Deutschen Einheit: „Es sind andere Mauern entstanden“
Zwei Wochen nach der Bundestagswahl sieht der Bundespräsident viele Fragen, Sorgen und Verunsicherung. „Abhaken und weiter so“ dürfe es nicht geben.
Ohne den Wahlerfolg der AfD direkt anzusprechen, betonte er beim Festakt zum Tag der Einheit: „Mauern aus Entfremdung, Enttäuschung und Wut“ seien bei manchen so fest geworden, dass Argumente nicht mehr durchdrängen. „Hinter diesen Mauern wird tiefes Misstrauen geschürt, gegenüber der Demokratie und ihren Repräsentanten.“ Steinmeier beklagte aber auch Mauern zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, offline und online – „Mauern rund um die Echokammern im Internet, wo der Ton immer lauter und schriller wird.“
Die Debatte über Flucht und Migration habe Deutschland aufgewühlt, sei aber auch Folge und Abbild einer aufgewühlten Welt. Viele Menschen sagten: „Ich verstehe die Welt nicht mehr.“ Dahinter stehe eine Sehnsucht nach Heimat und Orientierung, die nicht den Nationalisten überlassen werden dürfe. „Heimat weist in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit.“
Steinmeier verwies auf begrenzte Möglichkeiten zur Aufnahme von Flüchtlingen und forderte eine Unterscheidung zwischen Flucht aus Gründen der politischen Verfolgung und Armutsmigration. Es gehe darum, „die Wirklichkeit der Welt und die Möglichkeiten unseres Landes übereinzubringen“, sagte er.
„Sie fehlen der Demokratie“
„Die Not von Menschen darf uns niemals gleichgültig sein“, betonte Steinmeier. Auch aus historischen Gründen garantiere das deutsche Grundgesetz den Schutz vor politischer Verfolgung. „Doch wir werden den politisch Verfolgten nur dann auch in Zukunft gerecht werden können, wenn wir die Unterscheidung darüber zurückgewinnen, wer politisch verfolgt oder auf der Flucht vor Armut ist.“ Beide Gruppen könnten nicht die gleichen uneingeschränkten Ansprüche geltend machen.
Notwendig sei ein ehrlicher Umgang mit dem Thema. Dazu gehöre auch die Frage, „welche und wie viel Zuwanderung wir wollen und vielleicht sogar brauchen.“ Notwendig seien legale Zugänge, Steuerung und Kontrolle. Dann könne auch die Polarisierung der Debatte überwunden werden.
Nicht alle, die sich von den etablierten Parteien abgewendet hätten, seien Feinde der Demokratie, sagte Steinmeier. „Aber sie alle fehlen der Demokratie.“ Deshalb dürfe es kein „Abhaken und weiter so“ geben. Gefordert seien nicht zuletzt die Abgeordneten des neuen Bundestages. „Sie können beweisen, dass Wut am Ende die Übernahme von Verantwortung nicht ersetzt. Sie können beweisen, dass durch den Tabubruch vielleicht der nächste Talkshowplatz gesichert, aber noch kein einziges Problem gelöst ist.“
Mit Blick auf das Erstarken der Rechtspopulisten sagte er. „Viele schauen mit Fragen, mit Sorgen, mit Verunsicherung auf die innere Einheit unseres Landes“. Das Deutschland von heute habe einen weiten Weg zurückgelegt – „vom entfesselten Nationalismus, der Krieg und Verwüstung über Europa brachte, von einer geteilten Nation im Kalten Krieg hin zu einem demokratischen und starken Land in der Mitte Europas.“
Steinmeier forderte zugleich mehr Anerkennung für die Menschen in Ostdeutschland. Nach der Wiedervereinigung 1990 seien auch Fehler gemacht worden. Darüber dürfe nicht geschwiegen werden. Ostdeutsche hätten Brüche erlebt, die die Menschen im Westen nie kannten. „Wir sollten wieder lernen, einander zuzuhören: wo wir herkommen, wo wir hinwollen, was uns wichtig ist.“
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